
23.03.2025 – Mozart, "Don Giovanni" in Köln
Stand: 23.03.2025, 09:30 Uhr
Es fällt schwer, diesen Don Giovanni als Bösewicht zu sehen. Sein Kampf gegen den Komtur sieht in der neuen Kölner Inszenierung von Mozarts Oper eher aus wie Körperverletzung mit Todesfolge, nicht wie Mord. Er beugt sich bestürzt über das Opfer. Und sein ständiges Womanizing trägt Züge vielleicht von ADHS. Natürlich gibt es bei diesem "Edelmann", cavaliere, wie es im Libretto heißt, auch die Machtmissbrauchssymptomatik. Aber man sieht trotzdem einen Mann, der jederzeit zur Ekstase fähig ist, der körperlich präsent ist und sich etwa zu Beginn des zweiten Akts mit seinem Diener Leporello wie ein Schulbub balgt. Das alles arbeitet die Regisseurin Cecilia Ligorio in ihrer Kölner Neuinszenierung sehr genau heraus.
Seth Carico als der Titel-"Held" spielt das mit großer Bühnenpräsenz. Dazu kommt seine überragende stimmliche Präsenz, wenn er seine Champagnerarie im irren Tempo nicht nur wortgenau herausfeuert, sondern auch noch seinen volltönenden Bariton strömen lassen kann.
Er ist das Zentrum, demgegenüber werden die anderen ein wenig zu Begleitfiguren, was aber auch daran liegt, dass insbesondere Donna Anna (Emily Hindrichs) und Donna Elvia (Judith van Wanroij) stimmlich an diesem Abend nicht sehr auffallen. Anders als Adrian Sâmpetrean in der Rolle des Leporello und Giulia Montanari als Zerlina, die mit ihren beiden Arien "Batti, batti" und "Vedrai, carino" Masetto auf eine durchaus erotische Weise besänftig. In Ligorios Inszenierung wird sie zu Don Giovannis Gegenpol, weil sie zeigt, dass zärtliche Erotik die schönere ist. Leporello ist in dieser Produktion nicht Diener, sondern Don Giovannis rationales Alter ego. Die Registerarie zelebriert mit gesanglicher Variabilität nicht wie ein Buchhalter der sexuellen Eskapaden, sondern eher wie ein reflektierter Soziologe. Dazu werden auf der Bühne von dem auch sonst ständig präsenten Ballett (Choreographie: Daisy Ransom Phillips) alle besungenen Frauentypen (die Blonden, die Braunen, die Alten, die Jungen) auf Podesten in lasziver roter Wäsche ausgestellt.
Beide Akte spielen auf einer Drehbühne, auf der eine Säulenhalle mit Fries abstrakt angedeutet ist. Dieses Arrangement des Bühnenbildners Gregorio Zurla bietet viele Auftritts- und Versteckmöglichkeiten und trägt zum Tempo und den raschen Szenenwechsel bei. Allerdings entsteht Farbe erst durch die Requisiten, Möblierung und die Kostüme von Vera Pierantoni Giua. Die Don-Giovanni-Welt ist in Bordell-Rot getaucht, demgegenüber die Welt von Zerlina und Masetto (William Socolof) im angehnehmen Pastell mit Lichterketten und Fahrrädern. Im zweiten Akt, der ja vor allem in der Dunkelheit spielt, funktioniert dieses Konzept nicht mehr so gut. Auch die Personenführung wirkt auf einmal statisch, während noch im 1. Akt Don Giovanni wie ein Beserker durch eine Commedia dell’arte- und Slapstick-Welt gefegt ist.
Der Dirigent Tomáš Netopil folgt Mozarts Ausspruch, nach dem die Hauptsache in der Musik das Tempo ist. Die vorsichtig, fast tastend vorgetragene Arie "Dalla sua pace" von Don Ottavio (Dmitry Ivanchey) wird dadurch zu einer Art Ruhepol des ganzen ersten Akts. Das Verführungsduett "Là ci darem" entfaltet seine Wirkung ebenfalls durch das langsame Tempo im Gegensatz zu den Prestissimo-Arien von Don Giovanni und Zerlina.
Am Schluss dröhnen die Posaunen, singt ein Schauerchor von der Seite, pfeifen die Holzbläser schauerlich, und das Geschehen drängt (in durchaus schnellem Tempo) zum Ende. Das klingt bei Netopil wie eine richtige Höllenfahrt (Weber und Berlioz lassen hier schon grüßen). Stattdessen erleidet Don Giovanni aber einen Herzinfarkt.
Besuchte Vorstellung: 22.03.20225, Premiere: 09.03.2025 noch bis zum 06.04.2025
Besetzung:
Don Giovanni: Seth Carico
Donna Anna: Emily Hindrichs
Don Ottavio Dmitry Ivanchey
Komtur Christoph Seidl
Donna Elvira: Judith van Wanroij
Leporello Adrian Sâmpetrean
Masetto: William Socolof
Zerlina: Giulia Montanari
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Musikalische Leitung: Tomáš Netopil
Inszenierung: Cecilia Ligorio
Bühne: Gregorio Zurla
Kostüme: Vera Pierantoni Giua
Choreographie: Daisy Ransom Phillips
Licht: Andreas Grüter
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Svenja Gottsmann