Otto Lilienthal ist ein erfahrener Pilot. Über 2.000 Mal ist er durch die Luft geschwebt und hat sich bei der Landung höchstens einen Fuß verstaucht. Aber im Sommer 1896 gerät er mit seinem Gleitflieger in einen abrupten Aufwind. "Der Apparat überschlug sich und er stürzte dann senkrecht ins Tal", so ein Augenzeuge. Lilienthal bricht sich einen Halswirbel und stirbt am 10. August 1896, einen Tag nach dem Unglück.
"Ich muss mich etwas ausruhen, dann machen wir weiter", sollen seine letzten Worte gewesen sein. Typisch für einen Mann, der sich durch nichts davon abbringen lassen will, seinen Traum zu verwirklichen: wie ein Vogel zu fliegen.
Erste Versuche mit Betttüchern
Lilienthal, am 23. Mai 1848 im norddeutschen Anklam als Sohn eines Kaufmanns geboren, beobachtet schon als Kind die Störche am Himmel. Er will es ihnen nachmachen, aber erste Flugversuche mit Betttüchern scheitern. Also studiert er Maschinenbau und beginnt, mit seinem Bruder Gustav Berechnungen anzustellen. Anders als die meisten Experten seiner Zeit glaubt er nicht an das Prinzip "Leichter als Luft": Die populären Ballons hält er für einen Irrweg.
Die Brüder suchen nach anderen Wegen, Gegenstände in die Luft zu heben, die eigentlich zu schwer sind - zum Beispiel Flugapparate. Sie finden heraus, dass es funktionieren kann, wenn die Tragflächen gewölbt und vorne dicker sind. Bahnbrechende Erkenntnisse, die Otto nach Abertausenden von Messreihen 1889 veröffentlicht: "Die Vogelkunde als Grundlage der Fliegekunst".
Viele Ideen, aber kein Geld
Den Praxistest mit eigenen Flugapparaten können die Brüder nicht machen: Es fehlt schlicht an Geld. Sie haben zwar viele Ideen jenseits der Fliegerei, erfinden zum Beispiel den berühmten Anker-Baukasten, aber sie verdienen nichts damit. Erst zwei Patente auf Konstruktionen für Dampfmaschinen bringen den finanziellen Erfolg.
Ein Sprung für die Geschichtsbücher
Lilienthal, inzwischen verheiratet und Fabrikbesitzer in Berlin, geht auch das Fliegen systematisch an: "Vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug". Er startet vorsichtig im heimischen Garten, macht erste Versuche auf Hügeln. Im Juni 1891 springt er mit seinem Hängegleiter vom Mühlenberg nahe Potsdam und gleitet 15 Meter weit - die offizielle Geburtsstunde der Luftfahrt.
Die Gleitflüge werden immer länger, bestaunt von den Berlinern, die sonntags in Scharen zu Lilienthals "Fliegeberg" pilgern. Auch die Apparate werden immer ausgefeilter. Einer davon ist der faltbare "Normal-Segelapparat", der in Serienproduktion geht - der US-Verleger William Randolph Hearst ist ein Kunde. Da ist Lilienthal schon weltberühmt, nicht zuletzt dank der Fotografien, die seine Flugversuche dokumentieren.
Traum vom ewigen Frieden
Lilienthal ist Realist und Idealist zugleich, beteiligt die Arbeiter seiner Fabrik am Gewinn und hofft darauf, dass die Fliegerei über alle Grenzen hinweg "zum ewigen Frieden" beiträgt. Das bleibt ein Traum - anders als die Fliegerei. "Von allen, die das Problem des Fliegens im 19. Jahrhundert behandelten, war Otto Lilienthal zweifelsfrei der Bedeutendste", schreibt Motor-Flug Pionier Wilbur Wright später. "Die Welt steht tief in seiner Schuld."
Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Ronald Feisel
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 10. August 2021 an Otto Lilienthal. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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