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Erstes modernes Erbschaftssteuergesetz (Preußen)

30. Mai 1873 - Erstes modernes Erbschaftssteuergesetz in Preußen

Im Deutschen Reich erläßt Preußen 1873 das erste moderne Erbschaftssteuergesetz. Die Idee gefällt jedoch nicht allen. Bis heute ist diese Art der Umverteilung von Vermögen umstritten.

Von Adam Smith bis John Stuart Mill - die Urväter des Wirtschaftsliberalismus sprechen sich in der Regel für eine wirksame Erbschaftssteuer aus. Sie fühlen sich dem Leistungsprinzip verpflichtet. Von einer riesigen Erbschaft profitieren gehört für sie nicht dazu.

"Privateigentum bedeutet die Garantie für den Einzelnen, die Früchte seiner Arbeit zu genießen", schreibt zum Beispiel der britische Philosoph Mill. "Die Früchte der Arbeit anderer, die ohne eigenes Verdienst übertragen werden, gehören nicht zu den Zielen, die Privateigentum legitimieren."

Zunächst nur "Stempelsteuer"

Bis Ende des 19. Jahrhunderts werden in Deutschland vor allem Waren besteuert. Ein System, das die Unterschichten durch Umsatzsteuern stark belastet: "Je weniger ich verdiene und je mehr meines Einkommens ich für Waren des täglichen Gebrauchs ausgebe, desto härter treffen mich diese Steuern", sagt Marc Buggeln, Historiker an der FU Berlin und Autor eines Buches zur deutschen Steuergeschichte.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regt sich gegen diese Regelung immer mehr Protest. Während andere Staaten längst eine Erbschaftssteuer haben, gibt es in den deutschen Ländern nur eine "Stempelsteuer", die im Todesfall fällig wird.

Preußen führt ein modernes Erbschaftssteuergesetz ein

WDR Zeitzeichen 30.05.2023 15:07 Min. Verfügbar bis 30.05.2099 WDR 5


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Liberaler führt Erbschaftssteuer ein

Im gerade entstandenen Deutschen Reich soll sich das ändern. Am 30. Mai 1873 erlässt der liberale Finanzminister Otto von Camphausen für den wichtigsten deutschen Bundesstaat Preußen als Erster eine von der Finanzverwaltung erhobene Erbschaftssteuer. Da Ehegatten und Kinder davon ausgenommen sind, bleibt ihre Wirkung jedoch gering.

In den angelsächsischen Ländern ist das anders. Dort sei Finanzvermögen nach dem Tod an den Staat gefallen, sagt Historiker Buggeln. "Damit nicht wieder eine neue Form von Adel entsteht." So bringt die Erbschaftssteuer vor dem Ersten Weltkrieg in Großbritannien 15 Prozent der Steuereinnahmen, im Deutschen Reich nur 1,5 Prozent.

Erzbergers Reform wird zurückgedreht

In der Weimarer Republik reformiert Zentrumspolitiker und Finanzminister Matthias Erzberger 1919 das deutsche Steuersystem. Bei der Erbschaftsbesteuerung werden nun auch Ehegatten und Kinder miteinbezogen. Aber er macht sich viele Feinde. Bereits 1920 muss er zurücktreten. Ein Jahr später wird der demokratische Politiker von Rechtsradikalen ermordet.

Bald gelingt es den Konservativen im Reichstag, die Reform der Erbschaftssteuer weitgehend rückgängig zu machen: Der Höchststeuersatz für Kinder und Ehegatten sinkt von 35 wieder auf 15 Prozent - und gilt erst bei mehr als zehn Millionen Mark.

Großzügige Freibeträge

Für Erben bleibt Deutschland auch während des Nationalsozialismus ein Niedrigsteuerland. Nach 1945 versuchen die West-Alliierten, das zu ändern. Sie verordnen - nach eigenem Vorbild - einen Steuersatz bis 60 Prozent. Die Folgen bleiben gering. Bei der Erbschaftssteuer werden ab 1951 die Sätze wieder reduziert.

Ab 1955 liegt beim Erben der Höchststeuersatz für Kinder und Ehegatten erneut bei 15 Prozent. Nur einmal versucht eine Bundesregierung, die Erbschaftssteuer zu erhöhen: die sozialliberale Koalition 1974. Daraufhin verdoppeln sich die Einnahmen. Doch dank großzügiger Freibeträge betragen sie auch nach dieser Änderung nicht einmal zwei Prozent aller Steuereinnahmen.

Unter undemokratischen Verhältnissen erworben

Die Folgen der langfristig niedrigen Erbschaftssteuern in der Bundesrepublik wirken sich bis heute aus. "Ein Großteil dessen, was wir an Großvermögen haben, ist unter undemokratischen Verhältnissen von Urgroßeltern erworben worden und wird unverändert weitervererbt, weil es nicht besteuert wird." So lautet das Fazit von Karl-Martin Hentschel vom "Netzwerk Steuergerechtigkeit", das Gewerkschaften, kirchliche Gruppen und soziale Bewegungen vertritt.

Zu einer Umverteilung von oben nach unten hat die Erbschaftssteuergesetzgebung bisher wenig bis nichts beigetragen. Dafür sind die Steuersätze zu niedrig. Seit 1996 beschließen verschiedene Bundesregierungen zudem immer mehr Ausnahmen vor allem für Erben von Betriebsvermögen. Als zentrale Begründung dafür wird der Schutz von Arbeitsplätzen angeführt.

"Juristen sagen: 'Die Erbschaftssteuer ist heutzutage eine Dummensteuer.' Wer viel Vermögen hat, kann über bestimmte Stiftungskonstruktionen oder Unternehmenskonstruktionen, in denen man Verschuldung in einigen Bereichen aufbaut, seine Erbschaftssteuer sehr leicht reduzieren." Marc Buggeln, Historiker

Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Pfaff
Redaktion: Gesa Rünker

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. Mai 2023 an das erste moderne Erbschaftssteuergesetz in Preußen. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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