"Jetzt kommt das Wirtschaftswunder. Der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder", ätzt Kabarettist Wolfgang Neuss 1956. Nach den mageren Nachkriegsjahren wird Schmalhans als Küchenchef arbeitslos; in der Bundesrepublik rollt die Fresswelle an.
Weil während des Wirtschaftswunders alles schnell gehen muss, präsentiert die Lebensmittelindustrie immer neue Ideen, um ruckzuck etwas Essbares auf den Tisch zu zaubern. Vor allem die Firma Maggi sorgt dafür, dass der Hausfrau das Kochen fix von der Hand geht.
Neues Konzept zur Kundenbindung
Mit seiner braunen Suppenwürze und Fleischbrühwürfeln ist Maggi schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts Stammgast in deutschen Küchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Unternehmen zum "Nationalsozialistischen Musterbetrieb" aufsteigt, fusioniert Maggi 1947 mit dem Nahrungsmittel-Riesen Nestlé.
Fertigprodukte wie Tütensuppen oder Dosenravioli, die 1958 in die Geschäfte kommen, finden reißenden Absatz. Weil es aber an Rezepten mangelt, um all die Instant-Nahrung in abwechslungsreiche Gerichte zu verwandeln, entwickelt Maggi die Idee einer "Lehrküche". Zur Stärkung der Kundenbindung startet das Unternehmen am 9. Juni 1959 in der Frankfurter Innenstadt ein völlig neuartiges Werbekonzept: das Maggi-Kochstudio.
Angeboten werden ein persönlicher Beratungsservice, tägliches Schaukochen und ein monatlicher Rezeptdienst. "Tatsächlich war das anfangs nur ein einfacher Büroraum", erzählt Silvia Sassenberg, die heutige Chefin des Kochstudios. Ein Herd, ein Tisch und ein paar Stühle, mehr nicht.
Nothilfe am heimischen Herd
Die Beraterinnen im Kochstudio werden überschwemmt von Anfragen rund um Ravioli, Rindsboullion und klumpenfreie Soßenzubereitung. Oft stehen telefonisch hilfesuchende Hausfrauen am Herd und brauchen sofort Rat – oder verzweifeln gerade beim Anblick eines verunglückten Sonntagsbratens.
In der Anfangszeit des Kochstudios stehen noch Rezepte aus der italienischen Küche ganz hoch im Kurs. Mit wachsender Reiselust steigt das Interesse an Spezialitäten aus Asien und Afrika oder an spanischen Tapas. Die Konkurrenz in der industriellen Lebensmittelproduktion wie Dr. Oetker oder Knorr erkennt schnell den PR-Wert des kundennahen Marketings und zieht mit eigenen Service-Ideen nach.
Maggi richtet insgesamt fünf Kochstudios ein. Drei werden allerdings 2014 wieder geschlossen. Die Ratlosen am Herd rufen nicht mehr an oder schreiben; sie schauen ins Internet, nutzen Social Media und besuchen das Kochstudio bei Youtube.
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