Wer die Strafbarkeit von Ehebruch antastet, bahnt "sozial schädlichem Verhalten" den Weg, warnt der Bundestagsabgeordnete Franz-Josef Würmeling. Vehement setzt sich der Christdemokrat 1969 im Bonner Bundestag dafür ein, den Strafrechtsparagrafen 172 beizubehalten. Der besagt: "Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden wird, an dem schuldigen Ehegatten sowie dessen Mitschuldigen, dem Nebenbuhler, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft."
Justizminister Horst Ehmke von der SPD dagegen überzeugt die Mehrheit des Bundestags, den anachronistisch anmutenden Sittenparagrafen ersatzlos zu streichen. Damit wird die Bundesrepublik Deutschland zum Vorreiter der sexuellen Revolution im europäischen Strafrecht. Kurz darauf schafft Italien den Ehebruch als Straftat ab. Selbst im erzkatholischen Spanien dürfen Ehebrecherinnen von 1978 an nicht mehr per Gesetz mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt werden. Nur im Nachbarland Österreich droht ein außerehelicher Seitensprung weiter, hinter Gittern zu enden.
30 Pfennig Strafe für Mord am Nebenbuhler
Dabei können untreue österreichische Eheleute schon froh sein, nicht mehr nach mittelalterlichem Wiener Stadtrecht abgeurteilt zu werden. Verheiratete, heißt es da, die beim Ehebruch ertappt werden, "soll der Richter beide zum Tod durch Pfählen verurteilen". Dem gehörnten Ehemann gestehen die Wiener allerdings zu, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Tötet er seine Frau samt Nebenbuhler, wird er nicht bestraft. Im Gegenteil: Wenn er den Anderen tötet, seine Frau aber am Leben lässt, muss er nur 30 Pfennig Strafe zahlen.
Im 20. Jahrhundert passt die Alpenrepublik ihre Gesetze gegen Untreue den deutschen Paragrafen an. Ein Seitensprung kann polizeilich verfolgt und mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis oder einer empfindlichen Geldbuße bestraft werden – allerdings nur, wenn der betrogene Ehepartner Anzeige erstattet. Das Gesetz wird in den nächsten Jahrzehnten zwar selten angewendet; eine Streichung jedoch scheitert immer wieder am Widerstand der konservativen Parteien. Noch im Juli 1995 kassiert eine 19 Jahre alte Wienerin eine Geldstrafe von 1.200 Schilling, ersatzweise 20 Tage Haft, weil sie mit dem Mann ihrer Schwester ein intimes Verhältnis hat.
Entscheidung nach Marathonsitzung
Erst im August 1995 schlägt Justizminister Nikolaus Michalek dem Nationalrat, der Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments, vor, den Tatbestand des Ehebruchs aus dem Strafrecht zu eliminieren. Im November 1996 dann debattiert der Nationalrat in einer Marathonsitzung über die von Michalek eingebrachte Novellierung der Sittengesetze im österreichischen Strafrecht.
In den frühen Morgenstunden des 28. November stimmt eine Mehrheit der Abgeordneten dann für die völlige Abschaffung des Ehebruch-Paragrafen 194. Außerdem dürfen homosexuelle Österreicher künftig ungestraft Vereine bilden. Selbst das Werbeverbot für "Unzucht mit gleichgeschlechtlichen Personen", die zuvor der Werbung für "Unzucht mit Tieren" gleichgestellt war, verschwindet aus dem österreichischen Strafrecht. Erheblich verschärft werden dagegen die Gesetze gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie.
Stand: 28.11.2011
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