Loïc Leferme trainiert Zwerchfell und Zwischenrippenmuskulatur
Drei Minuten und 22 Sekunden dauert der Tauchgang, der den Franzosen Loïc Leferme im Oktober 2004 so tief bringt, wie noch keinen Menschen zuvor. Der damals 34-Jährige ist Apnoetaucher. Das bedeutet, er taucht so weit oder so tief, wie es ihm ein einziger Atemzug erlaubt. Seine Disziplin heißt "No Limit": Alles ist erlaubt, um in die Tiefe und wieder zurückzukommen. Leferme, der aus einer Familie begeisterter Wassersportler stammt, sagt: "Ich suche meinen Platz an einem Ort, wo der Mensch nichts verloren hat." Um dorthin zu gelangen, benutzt er einen Schlitten, der ihn an einem Seil in die Tiefe zieht. Dorthin, wo das Meer dunkel ist und der Wasserdruck unerträglich hoch. Bei 171 Metern Tauchtiefe stoppt der Schlitten. Lefermes zuvor eng anliegender Tauchanzug hängt jetzt schlabbrig am Körper. "Wenn ich unten angekommen bin, öffne ich meine Augen und sehe absolut nichts. Dann stelle ich mir vor: Vor mir liegt die Unendlichkeit", sagt er.
Loïc Leferme stellt den Weltrekord im Tieftauchen auf
Um wieder nach oben zu gelangen, öffnet Loïc Leferme eine Luftpatrone. Daraufhin füllt sich ein Ballon und zieht ihn in rasantem Tempo hoch. Tauchversuche scheitern oft in dieser Phase, weil die Sportler ohnmächtig werden. Laut den Regeln des Apnoe-Sports wird ein bewusstloser Taucher disqualifiziert. Als Leferme 2004 die Wasseroberfläche bei klaren Sinnen erreicht, ist er mit einem Atemzug 171 Meter tief getaucht. Es ist der Tiefenweltrekord im Apnoetauchen.
Wenn der Mensch ein bisschen zum Meeressäuger wird
Nicht die Tauchdauer ist das Problem - viele Apnoetaucher schaffen es zwischen fünf und sechs Minuten unter Wasser zu bleiben - sondern der Wasserdruck, der mit zunehmender Tiefe steigt: Etwa ein Bar je zehn Meter. Die Lunge wird so stark zusammengedrückt, dass es sich für den Menschen bereits in einer Tiefe von 25 bis 35 Metern anfühlt, als ob er maximal ausgeatmet hätte. Mediziner glaubten lange, Tauchtiefen über 40 Meter zu erreichen sei ohne Atemgerät unmöglich, da die Lunge reißen müsse. Das ist aber nicht der Fall. Dr. Klaus Wagner, Vorsitzender von AIDA Deutschland, der deutschen Sektion des Wettkampfverbands für Apnoetaucher, erklärt das Phänomen: "Es fließt mehr Blut in das Gewebe des Brustraums. Auch wenn die Lunge stark zusammengepresst wird, kann sie den Sauerstoff deshalb noch immer absorbieren." Bloodshift nennen Experten dies. Dieser Vorgang bewahrt auch die Lunge eines Wals oder einer Robbe vor dem Zerreißen. "Letzten Endes gibt es Mechanismen, wie man sie von den großen Meeressäugern kennt, die auch beim Menschen rudimentär vorhanden sind", sagt Wagner.
Der Österreicher Herbert Nitsch taucht noch tiefer
Ein knappes Jahr später, 2005, wird Loïc Leferme um einen Meter übertrumpft: Der Österreicher Herbert Nitsch errericht 172 Meter Tiefe. Die deutsche Apnoetaucherin Ute Geßmann beschreibt die beiden Athleten als sehr unterschiedlich: "Herbert Nitsch ist mehr der Kämpfer, der das Meer bezwingen will. Und Loïc Leferme wollte eins werden damit." Am 11. April 2007 erreicht Leferme im Training noch einmal seine Bestmarke von 171 Metern. Doch diesmal taucht er nicht wieder auf. Man birgt ihn leblos in etwa 20 Metern Tiefe. Vermutlich war er beim Auftauchen in einem Sicherungsseil hängen geblieben. Noch vor Ort, in Villefranche-sur-Mer bei Nizza, stirbt er an Herzversagen. Zwei Monate später erreicht Herbert Nitsch die Tiefe von 214 Metern, das ist bis heute Weltrekord. Der Österreicher hat sein nächstes Ziel bereits angekündigt: die 300-Meter-Marke. Das sei ambitioniert, sagt Klaus Wagner. "Das ist Wahnsinn", meint hingegen Ute Geßmann.
Stand: 11.04.2012
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