Flughafen Köln-Bonn, 4. September 1962, elf Uhr: Auf die Minute pünktlich verlässt der französische Präsident Charles de Gaulle die Sondermaschine. Nach 21 Salutschüssen wird er bei seinem ersten Staatsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland von Bundespräsident Heinrich Lübke begrüßt. Es ist ein historischer Augenblick: Zwei frühere Feinde reichen sich die Hand, beide hatten als Leutnants im Ersten Weltkrieg gedient. Bereits zwei Monate zuvor, Anfang Juli 1962, hat de Gaulle gemeinsam mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in der Kathedrale von Reims einen Versöhnungsgottesdienst gefeiert, um die jahrhundertealte Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen zu beenden. In der französischen Stadt Reims hatte Generaloberst Alfred Jodl 1945 die Kapitulationsurkunde unterzeichnet.
De Gaulle ist mit einem Plan über den Rhein gekommen: Er will ein europäisches Bollwerk gegen die kommunistische Bedrohung aus dem Osten errichten. Frankreich soll dabei das Kommando führen, die Bundesrepublik der Juniorpartner sein. Den Amerikanern und der Nato traut de Gaulle bei der Friedenssicherung nicht viel zu. Die engen Beziehungen der Bundesrepublik zu den USA missfallen ihm aus machtpolitischen Gründen.
Offerte auf Schloss Brühl
"Es lebe die französisch-deutsche Freundschaft!" Mit diesem Satz beginnt de Gaulle in der Bundesrepublik seinen Werbefeldzug in Sachen Aussöhnung und Zusammenarbeit. Bei seinen 14 öffentlichen Auftritten wiederholt er den Spruch wie ein Mantra. De Gaulle sprüht vor Herzlichkeit. Er spricht Worte, die für die schuldbeladenen Deutschen - 17 Jahre nach dem von ihnen angezettelten Zweiten Weltkrieg - wie eine Erlösung erscheinen: "Ich beglückwünsche Sie", ruft er dem jungen Publikum im Schlosshof von Ludwigsburg zu, "junge Deutsche zu sein, Kinder eines großen Volkes, jawohl, eines großen Volkes!"
De Gaulles strategische Charmeoffensive verfängt beim Kanzler wie bei den Bürgern von Bonn, Köln, Stuttgart oder München, bei Offizieren in Hamburg und bei den Stahlarbeitern von Thyssen in Duisburg. Die Deutschen sind hingerissen. De Gaulle macht bei einem Abendessen auf Schloss Brühl sogar den Vorschlag, die guten Beziehungen vertraglich festzuhalten. Nach sechs Tagen verlässt der 71-Jährige die Bundesrepublik schließlich müde und heiser - aber glücklich, sagt er zum Abschied.
Vertragsunterzeichnung im Elysée-Palast
Gut vier Monate später unterzeichnen Adenauer und de Gaulle im Januar 1963 im Elysée-Palast in Paris den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Es ist ein Abkommen über eine militärische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation ihrer Länder. Damals ahnt de Gaulle noch nicht, dass nur kurze Zeit später der Deutsche Bundestag eine Präambel einschmuggeln würde, die die Bindung der Bundesrepublik an Nato und USA bekräftigt.
Die deutsch-französische Freundschaft hält trotzdem: Die einstigen Erbfeinde sprechen miteinander über Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Kulturpolitik. Halbjährliche Regierungstreffen sind die Regel. Ab und zu geht es auch um die Frage: Wie viel Nähe zu den USA und zur Nato ist nötig, wie viel Unabhängigkeit für Europa ist möglich?
Stand: 04.09.2012
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. September 2012 ebenfalls an den ersten Staatsbesuch von Charles de Gaulle in der BRD. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.