Malerisch eingebettet zwischen Bodensee und dem Rheinfall bei Schaffhausen liegt ein deutsches Unikum. Das 7,6 Quadratkilometer große Büsingen gehört zum Kreis Konstanz, ist aber völlig von Schweizer Staatsgebiet umschlossen. Seine rund 1.300 deutschen Einwohner haben lernen müssen, im Alltag mit einem Wust an widersprüchlichen Bestimmungen zurechtzukommen, die ihnen ihre Doppel-Lage beschert.
Büsingen ist die einzige Exklave der Bundesrepublik. 1693 war das Dorf als österreichisches Lehen zum Zankapfel mit der Schweiz geworden. Damals hatten Schaffhauser Bürger den aus Schaffhausen stammenden Lehnsherrn Büsingens gekidnappt und in den Kerker geworfen. Nach 150 Jahren Gezerre mit Österreich um den Flecken haben die Eidgenossen Pech. Beim Wiener Kongress 1815 wird Büsingen erst Württemberg, später Baden zugeschlagen – und damit deutsch.
Eine Insel mit zwei Zellen
Noch einmal zwei Jahrhunderte streiten die Eidgenossen um den fremden Fleck in ihrem Staatsgebiet. Schaffhausen will die Exklave unbedingt seinem Kanton angliedern. Dreimal seit Ende des Ersten Weltkriegs haben die Büsinger sogar mit großer Mehrheit dafür gestimmt. Doch der Landkreis Konstanz, empört die kollektive Bereitschaft zur Fahnenflucht, lehnt das Ansinnen bis zuletzt strikt ab. Schließlich wird am 15. Dezember 1962 ein Staats- und Zollvertrag paraphiert, der verbindlich den Status Büsingens als deutsche Exklave und Schweizer Enklave festschreibt. Nach weiterem Gefeilsche tritt er 1967 endlich in Kraft.
Seither absolvieren die Menschen dort täglich einen Hindernislauf durchs öffentliche Leben. Von Büsingen nach Deutschland kommen sie unkontrolliert nur über eine Transitstrecke. Auch deutsche Polizisten müssen diesen Weg nehmen. Sie dürfen nur dort und im Ort selbst tätig werden, während Schweizer Polizei auch in Büsingen Heimrecht genießt.
Die Exklave hat zwei Postleitzahlen, auf dem Rathausplatz steht neben der pinken Telekom-Telefonzelle eine der Swisscom und bezahlt wird eigentlich nur in Franken. Beim Geld beginnen die echten Probleme, denn Büsingen gehört zollrechtlich zur Schweiz, seine Bürger werden aber vom deutschen Finanzamt zur Kasse gebeten. Und weil die Währung offiziell deutsch ist, versteuert man dort 1.000 Euro wie 1.000 Franken, obwohl die nur 800 Euro wert sind.
Subventionierte Bratwürste
Derart gebeutelt, siedeln immer mehr Büsinger in die finanziell lukrativere Schweiz um, die Einwohnerzahl sinkt spürbar. In diesem Jahr wurden gerade noch sechs Kinder in der Exklave eingeschult. Bürgermeister Markus Möll ist froh, dass die Insulaner verbissen im deutschen Bürokratiedschungel um Steuergerechtigkeit und Änderungen am Staatsvertrag kämpfen: "Wir haben eine sehr rege Bürgerinitiative, die intensiven Druck auf die ganzen Bundestagsabgeordneten ausübt". Wenn nicht bald etwas passiert, so heißt es in Büsingen, werde man sich geschlossen an die Schweiz verschenken.
Als Soforthilfe gegen das Steuerjoch subventioniert der Bürgermeister sogar die Bratwürste beim traditionellen Sängerfest. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Und obwohl Büsingen wieder einmal mit Ausbürgerung droht, fördert es doch clever sein Image als skurriles "Asterix-Dorf" mitten in der Schweiz. Zum Sightseeing schaukeln die Tagesgäste auf Kamelen an den Zwillings-Telefonhäuschen vorbei zu jenem schauerlichen Ort, wo einst der regierende Schaffhauser Lehnsherr von seiner eigenen Familie entführt wurde.
Anschließend erleben sie im Café Waldheim hautnah das ganz spezielle Büsingen-Feeling. Unter den Biergartentischen markiert ein weißer Strich die Grenze. Mit einem Bein sitzt man in Deutschland, mit dem anderen in der Schweiz.
Stand: 15.12.2012
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