Versteckt im Pelz von Schiffsratten und erjagten Wildtieren gelangte ein Floh aus Asien um die ganze Welt. Es ist der Floh, der die Beulenpest verbreitet. "Die Europäer wollten schöne weiche Felle haben und diese Felle waren belegt mit infizierten Flöhen", sagt Professor Jürgen Heesemann, Bakteriologe an der Universität München. "Die Flöhe springen zum Beispiel an die Wade und übertragen den Pesterreger ins Gewebe, von wo aus er die nächsten Lymphknoten befällt. Und dort entstehen die dicken Beulen", erklärt Heesemann. Darum heißt diese Art der Pest auch Beulenpest.
"Wo sich sonst die Massen drängen, ist es menschenleer"
Im Mittelalter tötet die Pest ein Drittel der europäischen Bevölkerung. Man hält die Krankheit mit den schwarzen Beulen für eine Strafe Gottes. Dass ein Flohbiss und ein Bakterium die Krankheit auslösen, ahnt lange Zeit niemand. Erst als 1894 in Hongkong eine verheerende Pestepidemie ausbricht, kommen Forscher der Krankheit auf die Spur.
"Die Pest hat der Stadt ihren Stempel aufgedrückt: Im Hafen liegen keine Schiffe vor Anker, der Seeverkehr ist praktisch eingestellt. Wo sich sonst die Massen drängen, ist es menschenleer … Überall tote Ratten. Heute Morgen sah ich Pestleichen sogar auf der Straße liegen", schreibt Alexandre Yersin, ein dreißigjähriger Mediziner, der die Pest im Auftrag der französischen Regierung untersuchen soll. Denn die Krankheit droht, sich auszubreiten – auf die französische Kolonie Indochina. Yersin, geboren am 22. September 1863 im schweizerischen Aubonne, hat sein Handwerk in Paris bei Louis Pasteur gelernt, einem Pionier der damals jungen Wissenschaft der Bakteriologie.
Yersins Labor ist eine Bambushütte mit Strohdach
"Pasteur hatte sehr früh die Idee, dass man mit Extrakten von Krankheitserregern eine Immunität im Körper erzeugen kann", sagt der Bakteriologe Jürgen Heesemann. Dafür muss man den Krankheiterreger jedoch kennen und isolieren. Genau das hat Yersin mit dem Pesterreger vor. Aber es gibt ein Problem: Drei Tage vor ihm ist der japanische Mediziner Kitasato Shibasaburō in Hongkong eingetroffen. Und er denkt nicht daran, mit Yersin zusammenzuarbeiten. "Den Pesterreger zu finden – das wäre natürlich eine Jahrhundertentdeckung gewesen, die einige für sich machen wollten", sagt Heesemann.
Kitasato sorgt dafür, dass Yersin weder ein Labor noch Pestleichen zur Verfügung gestellt werden. Aber der Franzose lässt sich etwas einfallen. In einem improvisierten Pestlabor – einer Bambushütte mit Strohdach – arbeitet er mit Proben aus Ratten und Leichen von der Straße. Yersins Glück ist, dass er in seinem notdürftigen Bambuslabor keinen Brutschrank hat. Was damals keiner weiß: Pestbakterien wachsen bei Raumtemperatur nämlich besser. "Auf den ersten Blick erkenne ich einen regelrechten Brei von Mikroben, die alle gleich aussehen: Kleine gedrungene Stäbchen mit abgerundeten Enden. … Die Chancen, dass es sich bei meiner Mikrobe um den Pesterreger handelt, stehen … nicht schlecht", schreibt Yersin. Doch auch der Japaner Kitasato ist überzeugt, dass in seinem Brutschrank Pestbakterien wuchern.
In den 1960er-Jahren wird der Pesterreger nach Yersin benannt
Jahrzehntelang diskutieren Wissenschaftler, wer denn nun den Pesterreger entdeckt hat. Und Kitasatos Ergebnisse geraten immer mehr in die Kritik: Vermutlich hatte er Pneumokokken isoliert, die Erreger der Lungenentzündung. Erst Ende der 1960er-Jahre wird der Pesterreger nach seinem wahren Entdecker benannt: Yersinia pestis.
Stand: 22.09.2013
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