Nur wenige Wissenschaftler sind so bekannt geworden wie Konrad Lorenz. Viele erinnern sich an ihn als den weißbärtigen Herren, der mit einer Schar Graugänse im Schlepptau über eine Wiese läuft. "Unter den Verhaltensforschern war er wirklich ein Superstar, der weltweit rezipiert worden ist", sagt Klaus Taschwer, der gemeinsam mit einem Kollegen eine Biografie über Lorenz verfasst hat. Der zufolge konnte Lorenz zwei Dinge besonders gut: Tiere beobachten und Menschen dafür begeistern. "Beides hat dazu beigetragen, dass er 1973 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie bekommen hat", sagt Taschwer.
Auch Verhaltensweisen sind erblich
Konrad Lorenz gilt als einer der Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung. Nach langen Beobachtungen von Gänsen, Enten, Dohlen und Reihern kommt er zu einem Schluss: Gemäß Darwins Evolutionslehre sind nicht nur der Körperbau der Tiere, sondern auch ihre Verhaltensweisen zum Teil erblich. So beobachtet er zum Beispiel Graugänse, die ein aus dem Nest gefallenes Ei mit dem Schnabel zurückrollen können – ohne die Bewegung jemals geübt zu haben. Lorenz denkt weiter: Vergleicht man das Verhalten von Tieren, so kann man auf ihre Abstammung und Verwandtschaft schließen.
Lorenz nähert sich den Nazis an
Konrad Lorenz wird am 7. November 1903 in Wien geboren. Er wächst in Altenberg bei Wien auf, in einer Familienvilla mit riesigem Garten. "Er wurde in eine sehr reiche Familie hinein geboren, war das umhegte, geliebte Kind. Ihm ist praktisch jeder Wunsch erfüllt worden", sagt Klaus Taschwer. So sieht es auch Lorenz selbst. "Ich war ein furchtbar verwöhntes Kind und hab' etwas Gescheites damit gemacht. Ich habe das Geld, das mir meine Eltern nicht vorenthalten haben, dazu verwendet, einen kleinen Privatzoo aufzubauen." Auf Wunsch des Vaters studiert er erst Medizin, dann endlich Zoologie. Lorenz sieht, dass die Biologie im Gegensatz zu Österreich in Deutschland gefördert wird. Er nähert sich den Nationalsozialisten an – mehr als lange bekannt –, denn er hofft auf ein eigenes Forschungsinstitut. Klaus Taschwers Kollege fand einen Brief, in dem Lorenz am 28. Juni 1938 - kurz nach dem Anschluss Österreichs - um Aufnahme in die NSDAP bittet. "Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist", schreibt er darin. Sein Antrag wird angenommen, Lorenz als "Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP mit Redeerlaubnis" geführt. "Dabei hat er zeit seines Lebens geleugnet, überhaupt in dieser Partei gewesen zu sein", sagt der Biograf Klaus Taschwer.
Weiterforschen nach 1945
Zudem arbeitet Lorenz im Krieg als Heerespsychiater und betreibt rassenkundliche "Studien" in Polen. Auch Biograf Taschwer konnte nicht herausfinden, woran Lorenz in dieser Zeit genau arbeitete. Der schweigt und kann nach Kriegsende neu beginnen. Er wird Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen. Seine Triebtheorie ist in ihren wesentlichen Aspekten bis heute anerkannt, wird aber ständig weiterentwickelt. Statt der Motivation von Verhalten untersuchen Forscher heute eher die Evolution von Reaktionsweisen. Am Ende seiner Laufbahn kehrt Lorenz heim in die Villa in Altenberg, wo er im Februar 1989 stirbt. In Bezug auf seine Vergangenheit hat Lorenz ein sehr menschliches Verhaltensmuster gezeigt. "Dieser Prozess des Verdrängens und Vergessens hat ihm das Überleben nach 1945 und das Weiterforschen gestattet", sagt Klaus Taschwer.
Stand: 07.11.2013
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