Razzia gegen Rechtsextreme
"Auch eine Radikalisierung ist denkbar"
Stand: 23.08.2012, 09:55 Uhr
Drei rechtsradikale Gruppen hat Innenminister Ralf Jäger (SPD) verboten. Was bringen die Verbote bei der Bekämpfung der Neonazis? Welche Erfolge der neuen repressiven Linie gegen Rechtsextreme sind bisher sichtbar? Ein Experte analysiert im WDR.de-Interview den Zustand der rechten Szene.
WDR.de: Herr Virchow, Innenminister Jäger will mit den Razzien und Verboten große Löcher in das Netzwerk der Neonazis reißen. Sind die Rechtsextremisten wirklich geschwächt durch das Vorgehen der Behörden?
Fabian Virchow: Entscheidend ist, wie groß die Löcher bleiben, die durch die Verbote gerissen werden. Zunächst verstärken die Razzien die Verunsicherung in der Neonazi-Szene. Das vorangegangene Verbot der Kameradschaft Köln und der Prozess gegen Rechtsextreme im nahen Rheinland-Pfalz hat die NRW-Rechtsextremisten bereits getroffen. Unklar ist, wie nachhaltig die Verbote die Handlungsmöglichkeiten der Neonazis einschränken oder ob sich einfach neue Gruppen bilden werden.
WDR.de: Was sind jetzt die direkten Konsequenzen für Neonazis?
Virchow: Das hängt davon ab, was die Behörden bei den Durchsuchungen finden. Seit dem Bekanntwerden der NSU ist die Szene natürlich alarmiert. Die meisten Aktivisten werden schon so schlau gewesen sein, ihre Wohnungen aufzuräumen und möglicherweise belastendes Material verschwinden zu lassen. Strafrechtliche Konsequenzen drohen den Kameradschaftsmitgliedern nur, wenn sie sich unmittelbar in der gleichen Organisationsform weiter betätigen oder aus den beschlagnahmten Unterlagen eine Beteiligung an kriminellen Handlungen ersichtlich wird.
WDR.de: Wie arbeitet eine rechte Kameradschaft?
Virchow: Im Unterschied zu rechtsradikalen Parteien sind Kameradschaften relativ lose Zusammenhänge. Gleichwohl halten sie zusammen, sammeln Geld, bilden eine Einheit. In Dortmund waren rund 50 bis 60 Männer im Alter zwischen 20 und 40 Mitglied der dortigen Kameradschaft. Es gab auch Kontakte zur NPD und zu anderen rechtsextremen Organisationen.
WDR.de: Seit dem Bekanntwerden der NSU setzt Innenminister Jäger verstärkt auf Repression gegen Rechts. Ist das Aktionismus?
Virchow: Aktionismus nicht, aber sicherlich hätte man bereits vor dem Herbst 2011, als das Zwickauer Trio aufflog, härter gegen rechtsextreme Organisationen in NRW vorgehen müssen. Aber immerhin geschieht dies jetzt seit einigen Monaten.
WDR.de: Die NRW-Sicherheitsbehörden wollen vor allem in Dortmund, Aachen, Wuppertal und Köln den Neonazis „buchstäblich auf den Springerstiefeln stehen“, wie Jäger sagt. Wie beurteilen Sie diese Ende 2011 in Gang gesetzte Strategie?
Virchow: Die Intensivierung des Ermittlungsdrucks hat die Neonazi-Szene tatsächlich aufgescheucht. Einige Rechtsextremisten haben den Staat an der Stelle offenbar auch unterschätzt. Die mittelfristigen Konsequenzen sind aber unklar. Neben der Schwächung ist theoretisch auch eine Radikalisierung einiger Neonazis nach dem Motto "Jetzt müssen wir zurückschlagen" denkbar.
Das Interview führte Martin Teigeler