Gut neun Monate nach seiner Einsetzung ist es soweit: Der NSU-Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag vernimmt ab Mittwoch (19.08.2015) die ersten Zeugen. Bisher haben sich die Abgeordneten in Expertenanhörungen mit der Struktur von Sicherheitsbehörden und Justiz sowie der Entwicklung der rechtsextremen Szene im Land beschäftigt. Nach der Sommerpause beginnt nun die Beweisaufnahme.
Zunächst geht es um den Bombenanschlag in einem Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse im Jahr 2001, bei dem die damals 19-jährige Tochter des iranisch stämmigen Inhabers schwer verletzt wurde. Die Bombe war in einer Christstollendose versteckt. Es ist die erste von drei Taten in NRW, die dem NSU zugeschrieben werden. Vom Ausschuss wurden zum Auftakt am Mittwoch drei Zeugen geladen: Hans-Bernhard Jansen und Karl-Heinz Schlotterbeck waren als Staatsanwälte mit dem Anschlag in der Probsteigasse befasst. Der frühere Kriminalhauptkommissar Edgar Mittler leitete die Ermittlungskommission "Probst". Mittler hat bereits vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und im Münchner NSU-Prozess ausgesagt.
War V-Mann H. am Tatort?
Einer der zentralen Punkte für den Ausschuss ist die Frage: Weshalb wurde ausgerechnet dieser Laden als Anschlagsziel ausgewählt? Auf dem Schild des Geschäfts stand ein deutscher Name. Von außen war nicht erkennbar, dass es von einer Familie mit ausländischen Wurzeln betrieben wurde. Hatte der NSU, der sich in seiner Bekenner-DVD über "das kleine Bömbchen" und seine Auswirkungen lustig machte, sein Wissen vielleicht von Helfern vor Ort?
Darüber hinaus stellt sich für den Ausschuss die Frage, wer die Bombe im Geschäft kurz vor Weihnachten im Jahr 2000 deponiert hat - in einem angeblich vergessenen Geschenkkorb. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass es sich dabei um eines der beiden männlichen NSU-Mitglieder, Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos, gehandelt hat. Die ehemalige Leiterin des NRW-Verfassungsschutzes, Mathilde Koller, hatte im Februar 2012 allerdings in einem Vermerk eine Ähnlichkeit zwischen dem Kölner Neonazi-Aktivisten Johann H. und dem Phantombild festgestellt, das die Kölner Polizei 2001 veröffentlicht hatte. Johann H. wurde dazu aber nie von der Polizei vernommen. Sein Anwalt Ralf Höcker sagte dem WDR im Juni 2015: "Es liegen keine Verdachtsmomente gegen ihn vor. Es ist nie gegen ihn ermittelt worden, er ist nie vernommen worden." Höcker verwies außerdem darauf, dass sein Mandat zum Tatzeitpunkt kurze Haare getragen habe und deutlich kleiner sei als der Mann, den die Opfer als Täter beschrieben hatten. Höcker bestätigte, dass Johann H. 28 Jahre lang V-Mann des Verfassungsschutzes war.
Geladen sind Ermittler und Verfassungsschützer
Der NSU-Untersuchungsausschuss will auch klären, weshalb nicht ausreichend in Richtung eines rechtsextremen Hintergrundes ermittelt wurde. Und weshalb die Ermittlungen bereits im Juni 2001 eingestellt wurden, fünf Monate nach dem Anschlag. Zudem soll die Frage behandelt werden, warum sämtliche Beweismittel zu dem Anschlag nach fünf Jahren vernichtet wurden, obwohl die Verjährungsfrist für das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion mit schwerer Gesundheitsschädigung 20 Jahre beträgt.
Zu diesen und weiteren Fragen werden in den nächsten zwei Sitzungsterminen am Donnerstag (19.08.2015) und Dienstag (25.08.2015) weitere Zeugen vernommen. Darunter sind Ermittler des Polizeipräsidiums Köln, des LKA und des BKA sowie Verfassungsschützer. Die ehemalige Leiterin des NRW-Verfassungsschutzes Koller ist ebenfalls geladen. Später sollen auch der ehemalige V-Mann Johann H. und der frühere NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) von den Abgeordneten befragt werden. Behrens war bereits 2012 vom Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt worden.
Nagelbombenanschlag und Mord in Dortmund
Ab September will sich der Düsseldorfer Untersuchungsausschuss auch den Ermittlungen zum Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 zuwenden. Bis zum Jahresende soll die Beweisaufnahme zu beiden Bombenanschlägen abgeschlossen sein. Danach wollen sich die Abgeordneten mit den Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubasik befassen. Er war 2006 in seinem Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße erschossen worden.
Abhörsicherer Sitzungsraum ist bereit
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses fand zunächst unter erschwerten Bedingungen statt. Ende März war bekannt geworden, dass der Untersuchungsausschuss bis dahin noch keine Geheimakten lesen konnte. Der Grund: Im Landtag gab es keine gesicherten Räume, wo diese Akten unter Aufsicht eingesehen werden konnten. Es waren bauliche Maßnahmen notwendig, um die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Deshalb wurde eine Zwischenlösung gefunden: Ab April hatten die Abgeordneten die Möglichkeit, Geheimakten in einem speziellen Raum im NRW-Innenministerium zu lesen. Seit Juli besteht diese Möglichkeit auch im Landtag selbst.
Ein weiteres Problem wurde in der Sommerpause gelöst. Bis dahin fehlte ein abhörsicherer Tagungsraum. "Dieser Saal existiert nun, aber wir teilen nicht mit, wo er sich befindet", sagte Hans Zinnkann, Pressesprecher des Landtages, dem WDR. Der abhörsichere Raum könne genutzt werde, wenn zum Beispiel V-Leute zu vernehmen seien. "Die öffentlichen Sitzungen werden weiterhin in anderen Sälen stattfinden."