Zwei Wochen nach der Erdbeben-Katastrophe gab es am Montagnachmittag am Brandenburger Tor in Berlin eine Gedenkveranstaltung für die Zehntausenden Opfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich angekündigt, um ein Zeichen der "Anteilnahme und Solidarität" zu setzen. Im Krisengebiet selbst ist es derweil noch zu früh für eine emotionale Aufarbeitung der Katastrophe: Die akute Gefahr für die Überlebenden ist noch längst nicht vorbei.
6.000 Nachbeben in 13 Tagen
Gebäude stehen kurz vor dem Einsturz
Denn immer noch bebt die Erde - jeden Tag und jede Nacht. Unzählige Gebäude sind so schwer beschädigt, dass sie jederzeit einstürzen können. Dennoch betreten Menschen immer wieder ihre Häuser auf der Suche nach Kleidung oder persönlichen Gegenständen. Ganz verhindern können die Behörden vor Ort das nicht - auch wenn sich die Menschen in Lebensgefahr bringen. Am Montagabend gab es erneut ein schweres Nachbeben - wieder starben Menschen und hunderte wurden verletzt.
In einigen abgelegenen Siedlungen warten die Menschen unterdessen immer noch auf Hilfe der Regierung. Noch seien keine Bagger angekommen, berichtet ARD-Reporterin Judith Schacht aus Küpelikiz, einem 800-Seelen-Dorf in der Region Kahramanmaraş. Die Dorfbewohner seien bei den Rettungs- und Aufräumarbeiten ganz auf sich selbst gestellt. Die Afad habe sich hier noch nicht blicken lassen.
Ein Grund für die Verzögerung sei die zerstörte Infrastruktur, sagte Kerstin Bandsom von der Welthungerhilfe dem WDR am Montag. Viele Straßen ins Krisengebiet seien immer noch nur schwer passierbar. Auch Hilfsgüter seien bisher noch nicht überall in ausreichender Menge vorhanden gewesen. "Es dauert leider noch ein bisschen."
Volles Ausmaß der Katastrophe noch unbekannt
Auf der anderen Seite der Grenze, in Syrien, sind offenbar noch weit mehr Menschen ganz auf sich allein gestellt. Speziell in den Gebieten, die von Milizen kontrolliert werden, kommen keine Hilfen der Regierung in Damaskus an. Auch für internationale Hilfsorganisationen ist der Zugang schwierig - und teilweise unmöglich. "Wir stehen noch am Anfang und haben das Schlimmste noch nicht gesehen", sagte der für Syrien zuständige UN-Nothilfekoordinator, Muhannad Hadi.
Auch wenn hin und wieder noch Menschen lebendig aus den Trümmern geborgen werden - viele solcher Wunder wird es wohl nicht mehr geben. In fast allen türkischen Regionen wurde die Suche nach Überlebenden mittlerweile eingestellt. Nur in den Provinzen Kahramanmaraş und Hatay gibt es noch letzte Suchaktionen.
Sorge vor einer Cholera-Epidemie
Nun müssen die Leichen schnell geborgen werden
Angesichts der unmenschlichen Lebensbedingungen vieler Erdbebenopfer warnen Ärzte bereits vor der nächste Katastrophe: Dem Ausbruch von Seuchen. Laut UN gibt es derzeit in Nordwestsyrien 47.000 Verdachtsfälle sowie 20 Todesfälle, die mit der Cholera in Verbindung gebracht werden. Die Durchfallerkrankung verbreitet sich über verseuchtes Trinkwasser. Tausende Leichen unter den Trümmern könnten auch die letzten sauberen Wasserquellen kontaminieren, warnt Arzt Thomas Geiner vom Verein Navis, der in der Region Katastrophenhilfe leistet.
Verhindern lassen sich Infektionskrankheiten nur durch den Aufbau einer geordneten Infrastruktur: mit sicheren Unterkünften, Versorgung mit fließendem Wasser, Hygiene und Müllentsorgung. Während sich in der Türkei - trotz aller Anlaufschwierigkeiten - solche Strukturen zumindest im Aufbau befinden, steigt die Gefahr auf der anderen Seite der Grenze von Tag zu Tag. Noch ist völlig unklar, wie viele Menschen in Syrien während des Erdbebens getötet wurden. Nur eins ist klar: Um das Sterben zu stoppen, muss die Hilfe endlich Gang kommen - überall.
Ein Anfang ist getan: Seit der Katastrophe fuhren mehr als 140 Lastwagen mit UN-Hilfsgütern aus der Türkei in den von Rebellen kontrollierten Nordwesten Syriens. "Wir wollen unsere Hilfsaktionen noch viel weiter ausdehnen", verspricht auch Katastrophenhelferin Bandsom von der Welthungerhilfe.