Nach den Übergriffen auf Frauen rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht wird das Ausmaß der Taten immer deutlicher. Nach Angaben von Polizeipräsident Wolfgang Albers gibt es mittlerweile 60 Anzeigen, ein Viertel wegen sexueller Übergriffe (Anm. der Redaktion: Wir hatten zuvor fälschlich von 80 Opfern sexueller Übergriffe berichtet. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen). Auch andere Straftaten wie Diebstahl und Körperverletzungen sollen begangen worden sein. Die Zahl der Geschädigten liege insgesamt bei 80 Personen. Das gab Albers am Montag (04.01.2016) auf einer Pressekonferenz bekannt. Die Dunkelziffer könne aber noch höher liegen. Albers sprach von Sexualdelikten in sehr massiver Form und einer Vergewaltigung. Es sei "völlig unerträglich", dass so etwas in Köln passiere.
Opfer und Zeugen sollten sich dringend bei der Polizei melden. Dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handelte, sei nicht belegt, sagte ein Polizeisprecher. Noch versuche man, die Verdächtigen zu identifizieren.
Augenzeugin: "Hände an meinen Brüsten und an meinem Po"
Julia W. (40) war in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf. Sie schilderte dem WDR Fernsehen, was sie im Kölner Hauptbahnhof erlebte. Sie habe versucht Gleis 10 zu erreichen, doch im Hauptgang habe es wegen einer Sperrung der Polizei kein Durchkommen gegeben. "Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrabscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren."
Mit ihrem Freund habe sich Julia W. aus der Masse der Wartenden befreien können. In einem Mittelgang habe sie verstörte weinende Frauen gesehen. Polizisten mit Hunden hätten Personen abgeführt. "Immer wieder eskalierende Gewalt. Mein Freund hat mich dann mit dem Rücken an eine Plexiglaswand gestellt und sich vor mich gestellt, damit mir möglichst wenig passieren würde. Und so haben wir fast zwei Stunden auf unsere Bahn gewartet."
Mehrere Hundert Tatverdächtige
Die Ermittler gehen mittlerweile von mehreren Hundert Tatverdächtigen aus. Gruppen von jeweils bis zu 40 jungen Männern sollen an Silvester Opfer umzingelt, abgetastet, beleidigt, sexuell belästigt oder bestohlen haben. Gegenüber manchen Opfern sollen mehrere Delikte begangen worden sein. Zum Teil war das nach Angaben der Polizei zur Ablenkung geschehen, um Geldbörsen und Handys zu stehlen. Augenzeugin Julia W. berichtete, dass ihr im Kölner Hauptbahnhof viele alkoholisierte Männer aufgefallen seien, "die meist Ausländer waren". Tatverdächtige konnten in der Nacht nur mit viel Mühe überprüft werden. Die meisten der laut Polizei offenbar aus Nordafrika und dem arabischen Raum stammenden Männer hatten keine Papiere bei sich und sprachen auch kein Deutsch. Zudem konnten die Opfer mögliche Täter in der Menschenmenge nur schwer identifizieren.
Schärfere Sicherheitsmaßnahmen an Karneval
Polizeipräsident Albers nannte die Übergriffe "völlig unerträglich"
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) reagierte scharf auf die Übergriffe. "Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen", zitierte der Kölner "Express" (Dienstag) den Minister. "Deshalb ist es notwendig, dass die Kölner Polizei konsequent ermittelt und zur Abschreckung Präsenz zeigt." Polizeipräsident Albers kündigte an, dass die Polizei "alles tun" werde, damit sich so etwas nicht noch einmal wiederhole. Der Blick richte sich nun insbesondere auf die Karnevalstage Anfang Februar. Vor allem an Weiberfastnacht seien viele Menschen in der Stadt und Alkohol spiele dabei auch eine Rolle. Es bestehe die Gefahr, dass es dann wieder zu solchen Delikten komme wie an Silvester.
Am Dienstag (05.01.2016) wird es laut Albers ein gemeinsames Treffen von Bundes- und Landespolizei mit Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker geben. Reker sagte dem WDR: "Es kann nicht sein, dass Besucher in Köln, die hierherkommen um sich zu amüsieren oder zu feiern, Angst haben müssen, überfallen zu werden." Bei dem Treffen soll dann auch über konkrete Sicherheitsmaßnahmen für Karneval gesprochen werden. Der Polizeipräsident nannte bereits mögliche Konsequenzen. So müsse die Polizei personell stärker aufgestellt werden und auch eine temporäre Videoüberwachung diskutiert werden. Dadurch könnten die Beamten schneller einen Überblick über das Geschehen bekommen und besser agieren. Zudem sprach sich Albers dafür aus, potenziellen Gefährdern im Vorfeld Betretungsverbote für bestimmte Bereiche zu erteilen oder Meldeauflagen zu verhängen.
Die Kölner Polizei hatte nach den Vorfällen eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. Am Sonntag (03.01.2016) hatten Polizisten in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs fünf Männer festgenommen, die Frauen bedrängt und Reisende bestohlen haben sollen. Ob sie auch etwas mit den Taten in der Silvesternacht zu tun haben, ist nach Angaben der Ermittler noch unklar.
Polizeigewerkschaft: Neue Dimension der Gewalt
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigt sich angesichts der Übergriffe entsetzt. "Das ist eine völlig neue Dimension der Gewalt. So etwas kennen wir bisher nicht", sagte der NRW-Landesvorsitzende der GdP, Arnold Plickert, der Deutschen Presse-Agentur. Die stark alkoholisierten Täter seien "völlig enthemmt gewaltvoll" vorgegangen. "Ein Täter hat einer Zivilpolizistin in die Hose gefasst", berichtete Plickert. Bei den am Einsatz beteiligten Polizeibeamten herrsche eine "tiefe Betroffenheit".