Gerade einmal 94 Wählerstimmen trennen im ersten Wahlgang die ehemalige Greenpeace-Chefin Monika Griefahn (SPD) von ihrem Konkurrenten Marc Buchholz von der CDU. Beide hatten sich um den Oberbürgermeister-Posten in Mülheim an der Ruhr beworben.
Weil aber keiner von beiden mit rund 25 Prozent Zustimmung auch nur annähernd die absolute Mehrheit erreichte, müssen sie in der Stichwahl gegeneinander antreten. Gut 130.000 Wahlberechtigte gibt es in Mülheim. Knapp 16.500 hatten jeweils für Buchholz und Griefhahn gestimmt, weniger als 13 Prozent aller Menschen, die in Mülheim wählen dürfen.
Knappe Ergebnisse auch in anderen Orten
Ähnlich knapp fiel das Ergebnis für die beiden OB-Kandidaten in Emsdetten aus: Dort erhielt der grüne Kandidat 5.258 Stimmen, sein SPD-Konkurrent 4.910 - von 25.542 Wahlberechtigten. Ohne Stichwahl hätte der Gewinner immerhin knapp 18 Prozent der Wahlbevölkerung hinter sich.
In Orten wie Unna, Fröndenberg, Kleve oder im Kreis Steinfurt ist die Lage vergleichbar. Auch dort stehen Stichwahlen an zwischen Kandidaten, die im ersten Wahlgang nur einen kleinen Teil der Wähler für sich gewinnen konnten.
Gäbe es die Stichwahl nicht, stünden in all diesen Städten nun gewählte Politiker den Verwaltungen und den Räten vor, denen nur ein kleiner Bruchteil der Wähler ihre Zustimmung gegeben hat. Bei keinem könnte man davon sprechen, dass sie die Mehrheit in der Stadt repräsentieren.
Zweikampf um die Rathäuser
In insgesamt 128 NRW-Kommunen kommt es am 27. September zur Stichwahl um die Posten der Bürgermeister, Oberbürgermeister oder Landräte: überall dort, wo keiner der Kandidaten im ersten Durchgang am 13. September die absolute Mehrheit der Stimmen, also mindestens 50 Prozent, erreichte. Bei der Stichwahl stehen sich nur noch die zwei Kandidaten gegenüber, die aus dem ersten Wahlgang als Nummer eins und Nummer zwei hervorgingen. Wahlsieger ist, wer am Ende die meisten Stimmen bekommt.
Allein in 15 von 22 kreisfreien Städten müssen sich OB-Kandidaten einem Duell stellen. Und in 11 von 31 Kreisen gibt es Zweikämpfe darum, wer Landrat oder Landrätin wird.
Düsseldorf: Spannender als erwartet wird es in der Landeshauptstadt. Amtsinhaber Thomas Geisel (SPD) muss nicht nur in die Stichwahl gegen den Stadtdirektor aus Köln, Stephan Keller. Mit seinen 26,3 Prozent ist Geisel sogar mit deutlichem Abstand auf Platz zwei hinter Keller (34,2 Prozent) gelandet. Nun hofft die CDU auf einen prestigeträchtigen Erfolg in Düsseldorf am 27.09.2020.
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Langer Streit um Stichwahl
In der Vergangenheit war die Stichwahl für Bürgermeister und Landräte ein echter Zankapfel. Die Regierungsfraktionen von CDU und FDP hatten die Stichwahl im April 2019 per Landtagsbeschluss abgeschafft. Doch das NRW-Verfassungsgericht erklärte dies im Dezember 2019 für rechtswidrig.
Zuvor gab es ein ständiges Hin- und Her: Eingeführt 1994 von der SPD-Regierung, schaffte die von Jürgen Rüttgers (CDU) geführte schwarz-gelbe Koalition die Stichwahl 2007 wieder ab. Zentrales Argument: Sinkende Wahlbeteiligung. Zu viele Wahlen führen zu Wahlmüdigkeit.
Fortan reichte bei den Kommunalwahlen die relative Mehrheit für die Wahl von Bürgermeistern oder Landräten. 2011 sorgte die von SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geführte rot-grüne Regierung für eine Wiedereinführung der Stichwahl.
"Problematisch" für die Demokratie
Das Argument für die Stichwahl war stets, dass mit relativer Mehrheit gewählte Bewerber nicht die Mehrheit der Wähler vertreten. Allein eine relative Mehrheit sei keine ausreichende demokratische Legitimation für ein derart herausgehobenes Amt, stellte Frank Bätge, Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, in einer Bewertung für den Landtag fest.
Und er verweist auf den Umkehrschluss: "Ein Wahlrecht, das bei einer Wahl des Hauptverwaltungsbeamten keine Stichwahl zulässt, akzeptiert es als hinreichend legitim, das im Falle des Erreichens einer nur relativen Mehrheit eine Mehrheit nicht für den Gewählten gestimmt hat." Mülheim, Emsdetten oder Unna wären für dieses Argument gute Beispiele.
Bei einer Direktwahl ohne Stichwahl bliebe ungeklärt, ob die Wähler der unterlegenen Kandidaten dem Sieger, der nur mit relativer Mehrheit ans Ziel kam, ihre Stimme gegeben hätten. Unter dem Aspekt der Demokratie sei das "problematisch", so Bätge. Besonders dann, wenn Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit ganz deutlich verfehlt hätten.
Ob es stimmt, dass die Sieger des zweiten Wahlganges meist mehr Stimmen erringen, als die der ersten Runde, werden wir sicherlich nach der Stichwahl berichten.
Idee "Integrierte Stichwahl"
Der Verein "Mehr Demokratie" plädiert zwar unbedingt für das Instrument der Stichwahl - aber in einer besonderen Form mit nur einem Wahlgang. Damit am Ende wirklich die Personen an die Spitze der Stadt oder Kommune kommen, mit denen der größte Anteil der Wählerinnen und Wähler am ehesten leben könnte, sollte es auf dem Wahlzettel die Möglichkeit geben, sämtliche Kandidaten mit Präferenzen durchzunummerieren, angefangen mit der eins für den persönlichen Favoriten.
Bei der Auszählung werden dann zunächst die Stimmzettel des Kandidaten mit den wenigsten Erstpräferenzstimmen auf die übrigen verteilt. Danach werden von den Übriggebliebenen wiederum die Stimmzettel des Kandidaten mit den wenigsten Stimmen auf die restlichen verteilt. Das Ganze setzt sich so fort, bis einer übrig bleibt, der oder die mehr als 50 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinen kann.