Nach den Übergriffen auf Frauen und einer Serie von Diebstählen in der Silvesternacht ermittelt die Kölner Polizei jetzt gegen vier Männer, die aus Nordafrika stammen. Zwei von ihnen seien am Sonntagmorgen im Kölner Hauptbahnhof nach versuchten Diebstählen festgenommen worden, teilte die Polizei mit. Sie gehörten zu einer fünfköpfigen Gruppe, die einen Reisenden bestohlen und mehrere Frauen bedrängt haben sollen. Die Polizei bittet nun Zeugen oder Opfer, die am Sonntagmorgen von der Gruppe angegangen worden sind, sich zu melden.
Die anderen beiden Verdächtigen hatte die Bundespolizei bereits in der Silvesternacht auf der Kölner Hohenzollernbrücke nach Taschendiebstählen festgenommen. Alle Festnahmen, so räumte die Polizei ein, seien losgelöst von den Ereignissen am Hauptbahnhof erfolgt. Nach Angaben der Polizei gibt es aber Hinweise, dass die Männer an den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof beteiligt waren - zwei der Männer sollen sich in U-Haft, zwei auf freiem Fuß befinden.
Größere Ermittlergruppe
Die Polizei gab zudem bekannt, dass die Ermittlungsgruppe, die die Taten aufklären soll, auf 80 Mitarbeiter aufgestockt wurde. Bei Gründung der Gruppe am 1. Januar waren es nur neun Beamte gewesen. Zudem hat sich die Abteilung für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität der Staatsanwaltschaft Köln in die Ermittlungen eingeschaltet. "Tat- und Täterbeschreibungen lassen es derzeit zumindest nicht als ausgeschlossen erscheinen, dass das Geschehen organisierten Täterstrukturen zuzurechnen ist", teilte die Behörde am Mittwoch mit.
Übergriffe auch in Düsseldorf und Hamburg
Mittlerweile ist zudem klar, dass es in der Silvesternacht auch in anderen Städten zu ähnlichen Übergriffen kam. Die Düsseldorfer Polizei bestätigte dem WDR elf Anzeigen von Frauen wegen sexueller Nötigung und Diebstahls. In Hamburg verzeichnete die Polizei mehr als 50 Anzeigen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte im ZDF-Morgenmagazin: "Das Ganze scheint abgesprochen gewesen zu sein". Mögliche Zusammenhänge der Taten seien Gegenstand der Ermittlungen. Nach Informationen des WDR hat die Polizei schon länger Informationen über das Vorgehen von Banden, die sexuelle Übergriffe für Diebstähle nutzen.
Bundesweite Kritik an Kölner Polizei
Am Mittwoch stieg auch der Erklärungsdruck für die Kölner Polizei wegen ihres Verhaltens in der Silvesternacht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte mit Blick auf die Übergriffe auf Frauen auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs am Dienstagabend (05.01.2016) in den ARD-"Tagesthemen": "Da wird der Platz geräumt - und später finden diese Ereignisse statt, und man wartet auf Anzeigen. So kann die Polizei nicht arbeiten." Eine Kritik, auf die NRW-Innenminister Ralf Jäger verärgert reagierte. Er warf De Maizière schlechten Stil vor: "Es ist eine Frage des Stils, ob man ohne Detailkenntnisse, bei eigener Verantwortung, Polizeieinsätze in anderer Zuständigkeit beurteilt." Jäger kündigte an, dass er noch in dieser Woche einen offiziellen Bericht der Kölner Polizei zu den Ereignissen erwarte.
Polizeipräsident lehnt Rücktritt ab
Trotz der scharfen Kritik will der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers aber im Amt bleiben. "Gerade jetzt bin ich hier gefragt", sagte er am Mittwoch (06.01.2016) im WDR. Der Karneval stehe bevor. Darauf müsse man sich gut einstellen. "Da bin ich auch gefordert", sagte er. Zugleich verteidigte Albers das Vorgehen der Polizei. "Wir waren mit starken Polizeikräften dort", sagte Albers. Man habe den Opfern geholfen, soweit die Polizei es konnte. Dass die Polizei nur auf Anzeigen gewartet habe, stimme nicht. Am Neujahrsmorgen hatte die Kölner Polizei die vorangegangene Nacht noch als recht entspannt beschrieben - "auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte", hieß es von Seiten der Polizei. Der volle Umfang - insbesondere der sexuellen Übergriffe - sei erst am nächsten Tag klar geworden.
Laschet: Bahnhofsareal war "rechtsfreier Raum"
Die Deutsche Polizeigewerkschaft nahm die Beamten in Schutz. "Man kann bei bester Vorbereitung nicht alle Eventualitäten immer vorhersehen. Wir haben ja keine Glaskugel", sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft, Rainer Wendt, am Mittwoch (06.01.2016) im WDR. Dennoch räumte er ein: "Auf diesen Sachverhalt war sie in der Tat nicht vorbereitet. Er war aber auch vorher nicht bekannt." Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich zurückhaltend. "Natürlich ist es komisch, wenn am Tag nach Silvester eine Pressemitteilung gemacht wird, es sei alles in Ordnung gewesen und dann stellt sich heraus, es ist alles ganz anders gewesen", sagte er am Mittwoch (06.01.2016) im ZDF-"Morgenmagazin". Man müsse nun aber genau schauen, was am Hauptbahnhof tatsächlich passiert sei.
Die FDP im NRW-Landtag hat die Vorfälle in Köln mittlweile auf die Agenda im Innenausschuss gesetzt. "Der Innenminister muss klar darlegen, wie die Polizei in der Nacht aufgestellt war", sagte der FDP-Innenpolitiker in NRW, Marc Lürbke, dem WDR. Der CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet warf der Polizei "eine unglaubliche Fehleinschätzung" vor. Der Kölner Bahnhofsvorplatz sei in der Silvesternacht zum "rechtsfreien Raum" geworden: "Wenn Frauen so zu Freiwild werden" und die Polizei trotz Benachrichtigung nicht imstande sei, zu helfen, sei das Bahnhofsareal als "No-Go-Area" zu bezeichnen, so Laschet: "Allen gegenteiligen Beteuerungen des Innenministers zum Trotz". Letzterem legte Laschet indirekt nah, den Kölner Polizeipräsidenten zu entlassen: "Wenn ich Regierungschef wäre, wüsste ich, was ich tun würde." Es solle aber nicht nur über den Rücktritt diskutiert werden, so Laschet am Abend im WDR. Seine Forderung ist klar: "In der größten Stadt des Landes muss der Polizeipräsident die Sicherheit garantieren".
Zwei Anzeigen wegen Vergewaltigung
Nach Polizeiangaben hatten sich am Silvesterabend etwa 1.000 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt, die zunächst Raketen abfeuerten und Böller in die Menge warfen. Als die Polizei die Menge noch vor dem Jahreswechsel auflöste, bildeten sich viele kleinere Gruppen. Danach sollen Frauen sexuell bedrängt und ausgeraubt worden sein. Bis Mittwochvormittag sei die Zahl der Anzeigen auf mehr als 100 gestiegen, teilte die Polizei mit. Etwa drei Viertel der Anzeigen wiesen eine sexuelle Komponente auf. Oft berichteten Geschädigte, die etwa den Diebstahl ihres Handys anzeigten, erst auf Nachfrage von sexualisierter Gewalt. Darunter sind auch zwei Anzeigen wegen Vergewaltigungen. Über die Täter hat die Polizei bisher keine konkreten Erkenntnisse - nach Angaben von Augenzeugen und Opfern sollen sie dem Aussehen nach größtenteils nordafrikanischer oder arabischer Herkunft sein.