AfD-Parteitag in Marl, 18.01.2020:  Delegierte halten ihre Abstimmungskarten hoch

Fake-Mails, Hausbesuche und ein Parteiausschluss: Es gärt in der NRW-AfD

Stand: 06.02.2024, 06:00 Uhr

Der AfD-Landesvorstand will sein Mitglied Nils Hartwig rauswerfen. Der Funktionär der "Jungen Alternative" soll eine Parteikollegin bedrängt und bei ihrem Arbeitgeber denunziert haben.

Von Christoph Ullrich Christoph Ullrich

Der "Fall Hartwig" löst in der AfD große Nervosität aus, er könnte entscheidend im Streit um die Zukunft des Landesverbandes sein. Ende Februar wählt die NRW-AfD einen neuen Vorstand. Martin Vincentz möchte mit seinem Team im Amt bleiben und damit nach außen weiter das Bild einer gemäßigten Partei repräsentieren.

Dass vieles davon oftmals nur Schein ist, zeigt ein anderes Lager in der Partei: das des Dortmunder Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Unlängst hat er in sozialen Netzwerken angekündigt, er behalte sich vor, "auf dem kommenden Landesparteitag für das Schiedsgericht oder den Landesvorstand zu kandidieren."

Drohender Gau für die AfD

Sollte Helferich gewählt werden, wäre es für den amtierenden Landes- und Fraktionschef Martin Vincentz eine Art Super-Gau. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus seinem Umfeld, dass es für ihn ein Grund zum Bruch mit der AfD sei, sollte jemand aus dem Helferich-Lager Teil des neuen Vorstandes sein. Vincentz selber bestreitet dies offiziell, nennt solche Gendankenspiele "fern jeder Realität".

Warum diese Bewertung dennoch so drastisch ausfällt, liegt an der Rolle, die das Lager des ultrarechten Dortmunders spielt. Er bezeichnete sich in Chats als das "freundliche Gesicht des NS", weswegen er nach der Bundestagswahl 2021 nicht in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen wurde.

Erst kürzlich hielt er in seinem Wahlkreis ein Treffen mit dem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek ab. Im Bundestag sagte er in einer Rede "Kein Sellner ist illegal", womit er die Galionsfigur der sogenannten Identitären Bewegung, Martin Sellner, meinte.

Ideologische Spuren nach Potsdam?

Der österreichische Rechtsextremist war bei dem Treffen in Potsdam dabei und hatte dort seine Ideen unter anderem über einen "Regime-Change von rechts" gesprochen.

Helferichs Aussicht, in den Landesvorstand gewählt zu werden und damit tatsächlich einen Massenaustritt der bisherigen Spitzenfunktionäre zu verursachen, ist eher unwahrscheinlich. Sein Lager hat sich auf den vergangenen Parteitagen als deutlich zu klein erwiesen.

Welche Rolle spielt Nils Hartwig?

Der AfD-Politiker Nils Hartwig als Marionette des Dortmunder Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich

Nils Hartwig als Helferich-Marionette

Für mehr als gelegentliche Teilerfolge reichte es nicht. Aber die Partei wird ihn nicht los, Versuche scheiterten, ihn auszuschließen. Deshalb wird er beim Parteitag in Marl dabei sein. Und da Dynamiken in der Partei bei Vorstandswahlen oft unerwartete Wendungen nehmen können, ist ein Überraschungserfolg Helferichs nicht ganz auszuschließen.

Ein Schlüssel dafür könnte die Situation um Nils Hartwig sein. Am 17. Februar - eine Woche vor dem Parteitag - will das Schiedsgericht der Partei über den Parteiausschluss des stellvertretenden Landes-Vorsitzenden der Jungen Alternative (JA) entscheiden. Hartwig gilt als einer der engeren Vertrauten Helferichs - in internen AfD-Telegram-Chats gibt es Karikaturen von ihm, die ihn als Helferichs Marionette darstellen.

Der Grund für seinen möglichen Rauswurf war eine Mail von einem Account, der ihm gehören soll. Im vergangenen Sommer bekam eine soziale Einrichtung von dort einen Hinweis, wonach eine Mitarbeiterin in Probezeit eine "knallharte Nazi" sei. Beigefügt waren Bilder von ihr und ihrem Mann aus sozialen Profilen, die sie mit Nazi-Symbolen zeigen.

Anzeige mit unangenehmen Folgen?

Der Arbeitgeber, so schreibt es der Landesvorstand der AfD in seinem Antrag zu Hartwigs Rauswurf, solle zu der Frau gestanden haben - trotz der Bilder und ihrer Partei-Mitgliedschaft. In dem Papier, das dem WDR vorliegt, kam es vor der Mail bei den "letzten Kreisvorstandswahlen im KV Unna zu Spannungen" zwischen der Frau, ihrem Ehemann und Hartwig.

Als die Betroffene durch ihren Arbeitgeber von der anonymen Mail erfuhr, erstatte sie laut AfD Anzeige gegen Unbekannt. Dem Antrag auf Parteiausschluss liegen die Ermittlungsakten der Polizei bei - demnach sei die mit der anonymen Mailadresse verbundene Mobilfunknummer die von Nils Hartwig.

Ein Hausbesuch mit Folgen?

Auf WDR-Anfrage will sich Hartwig zu der Mailadresse nicht äußern. Er bestreitet lediglich die im Parteiausschlussverfahren gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Zudem wolle er juristisch gegen Behauptungen vorgehen, er habe im Januar mit seinem Rechtsanwalt die Frau und ihren Mann an deren Haustür darum gebeten, die Anzeige gegen ihn zurückzunehmen.

Dokumente, die dem WDR vorliegen, legen den Eindruck nahe, dass es an der Haustür zu einem Gespräch über den juristischen Rückzug der Frau gegeben hat.

Eine brisante Mailadresse

Vor allem aber die Mailadresse dürfte in AfD-Landeskreisen von großem Interesse sein. In der Vergangenheit hat es von ihr aus mehrere anonyme Hinweise auf Fehlverhalten einzelner AfD-Mitglieder gegeben. Zahlreiche solcher Mails liegen dem WDR vor.

Der Landesvorstand will sich zu dem Verfahren nicht äußern. Man kommentiere keine laufenden Verfahren, schreibt ein Sprecher auf Anfrage. Auch Nils Hartwig hält sich mit Beurteilungen zurück und verweist darauf, dass es"weder ein Strafverfahren gegen mich gibt noch einen zivilrechtlichen Anspruch, der gegen mich geltend gemacht wird", so Hartwig auf Nachfrage.

Der Fall gewährt einen tiefen Blick in die aktuellen Kämpfe innerhalb der AfD. So heißt es aus Kreisen des amtierenden Landesvorstandes, dass man vor dem Parteitag deutlich Position gegen Leute wie Hartwig - und damit auch gegen Helferich - beziehen wolle.

Der rechte Rand bleibt undefiniert

Andererseits könnte dieses Vorgehen auch zu einem offenen Rennen um den Parteivorsitz führen. Als Martin Vincentz vor zwei Jahren als Landeschef antrat, wollte er die Partei einen und vor allem eines beenden: Das dauernde Durchstechen von Dokumenten aus Parteikreisen.

Der Fall Hartwig zeigt nun einmal mehr, dass die Landes-AfD noch weit entfernt ist von einem inneren Frieden und einer klaren Antwort auf die Frage, wie weit nach Rechts man sich noch wagen will.

Der braune Kern der AfD

WDR RheinBlick 26.01.2024 41:25 Min. Verfügbar bis 24.01.2029 WDR Online


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