Landtags-Debatte: Was gegen Armut getan werden soll
Stand: 14.12.2023, 13:28 Uhr
Mehr Tafeln? Mehr staatliche Leistungen? Mehr Chancen am Arbeitsmarkt? Darüber debattierte der NRW-Landtag. Sozialminister Laumann wies den SPD-Vorwurf zurück, Hilfe für Arme zu vernachlässigen.
Von Martin Teigeler
Der Landtag hat am Donnerstag auf Antrag der SPD über Konzepte zur Bekämpfung von Armut debattiert. Deren Sozialexpertin Lena Teschlade warf der Landesregierung vor, zu stark auf die Tafeln zu setzen. Die Tafeln, die Lebensmittel an arme Menschen verteilen, könnten "sozialen Härten abfedern", dürften aber "kein Regelinstrument" sein. Wichtiger seien staatliche Leistungen gegen Armut, so die Sozialdemokratin.
Widerspruch kam von der Grünen-Abgeordneten Jule Wenzel. Die Landesregierung setze nicht nur auf Tafeln, sondern mache aktiv etwas für "armutsbetroffene" Menschen. So habe das Land 2023 einen Stärkungspakt "NRW gegen Armut" in Höhe von 150 Millionen Euro aufgelegt.
Dieser Stärkungspakt von Schwarz-Grün sei jedoch eher "Aktionismus" und zu bürokratisch gewesen, sagte die FDP-Abgeordnete Susanne Schneider. Es bleibe "nebulös", wie die Landesregierung Armut bekämpfen will. Martin Vincentz (AfD) behauptete, die SPD fordere die Aufnahme von immer mehr armen Menschen aus anderen Ländern.
Laumann: Menschen in Arbeit bringen
NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU)
Armut könne man am nachhaltigsten bekämpfen, indem Menschen "in eine gute Arbeit kommen", sagte Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Hier sei die Landesregierung ziemlich erfolgreich: Seit 2017 gebe es in NRW eine Zunahme von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen von 470.000. Mehr als zwei Drittel dieser Arbeitsplätze seien von Menschen mit Migrationshintergrund besetzt worden.
Ziel müsse es sein, noch mehr junge Menschen in Arbeit und Ausbildung zu bringen, um den "Zufluss von einer nächsten Generation in die Armut zu unterbrechen". Außerdem wolle er mit den Unternehmen mehr tun, um die besonders hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen zu senken. In der aktuellen Debatte um das Bürgergeld bekannte sich Laumann zu dieser Sozialleistung - aber man müsse mehr Empfänger der Grundsicherung in Arbeit bringen. Er sagte die Fortsetzung von Hilfsangeboten für obdachlose Menschen zu.
Laumann betonte erneut die Wichtigkeit der Tafeln. Bei diesen Einrichtungen gehe es einerseits darum, dass keine Lebensmittel verschwendet werden. Zudem würden sich arme Menschen freuen, dass der Kühlschrank auch am Ende des Monats nochmal gefüllt werden kann, so der Minister. Er wolle den Sozialstaat nicht mit Tafeln ersetzen, aber diese so lange wie nötig unterstützen. Die SPD hingegen ist auf dem Standpunkt, Tafeln und ähnliche Formen von "Almosen" sollten überflüssig werden.
Die Tafeln in NRW hatten Anfang Dezember einen Mangel an Nahrungsmittelspenden von Supermärkten und Discountern beklagt. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs habe sich die Zahl der Kunden der Tafeln von 350.000 auf jetzt mehr als 600.000 fast verdoppelt. Zugleich schränkte der Lebensmittelhandel seine Spenden ein.
Das Land NRW finanziert die Arbeit der Tafeln - nach eigenen Angaben als einziges Bundesland - für 2024 mit 1,6 Millionen Euro. Auch in der Vergangenheit habe man gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise mit 1,3 Millionen Euro ausgeglichen.
Verfestigte Armut trotz Sozialrhetorik
Von den rund 18 Millionen Einwohnern in NRW waren im vergangenen Jahr 3,3 Millionen Menschen armutsgefährdet, so das Statistische Landesamt. Vor allem Alleinerziehende, Paare mit mehr als zwei Kindern und Alleinlebende hatten demnach ein überdurchschnittliches Armutsrisiko.
Rhetorisch bekennen sich Landesregierungen seit vielen Jahren zum Kampf gegen Armut - oft verbunden mit der Losung, NRW sei das "soziale Gewissen" der Republik. Der einstige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) versprach etwa mehr Schulmittagessen für hungrige Kinder. Seine Nachfolgerin Hannelore Kraft (SPD) betonte, man wolle "kein Kind zurücklassen". Auch die Regierungschefs Armin Laschet und Hendrik Wüst (beide CDU) setzten immer wieder aufs Soziale. Dennoch hat sich die Armut in NRW laut Experten verfestigt. Laumann sprach in der Debatte von "verhärteter Armut". Man müsse an dem Problem weiter arbeiten.
Vor wenigen Tagen sagte der Sozialforscher Marcel Helbig vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe: "Das Ruhrgebiet hat unter den westdeutschen Städten einen eigenen Entwicklungspfad eingeschlagen, der zu immer stärkeren Ungleichheiten führt." Und diese führten noch stärker als in Ostdeutschland zu einer Ballung von Armut, besonders von Kinderarmut. Helbig: "Heute sehen wir dort eine ganze Reihe von Stadtvierteln, in denen zum Teil mehr als die Hälfte der Kinder von Transferleistungen lebt."
Der SPD-Antrag wurde im Landtag abgelehnt. Das Thema Armut aber wird auf der Tagesordnung des Landesparlaments bleiben.