Jede freie Minute verbringt die 30-jährige Heba gerade vor dem Fernseher oder am Handy. Live verfolgt sie die israelischen Angriffe auf den Südlibanon, ihre zweite Heimat. Die Bocholterin lebt seit 21 Jahren hier. Ihre Eltern kamen 2001 aus dem Libanon nach Deutschland, um ihr und ihren Geschwistern ein besseres Leben zu ermöglichen.
„Ich schlafe gar nicht mehr, ich habe richtig Schlafprobleme. Nachts wache ich auf und schaue auf mein Handy, ob irgendetwas passiert ist.“ erzählt Heba am Telefon.
Fast jedes Jahr fährt sie in das Land um ihre Verwandten zu besuchen. Bereits vergangene Woche mussten viele von ihnen aus dem Südlibanon, aus der Nähe der Stadt Tyros fliehen. Die meisten sind noch in Beirut untergekommen, eine Tante von Heba ist jetzt im Norden des Landes.
„Das Haus von meinem Onkel wurde während eins Angriffs auch stark beschädigt. Zum Glück war niemand da. Ich habe gerade gehört, dass eine Familie mit kleinen Kindern, Bekannte von uns, bei einem Angriff gestorben sind“, berichtet Heba, ihre Stimme ist voller Sorge.
„Netanjahu setzt auf Momentum“
Am Dienstagabend kündigte das israelische Militär an, eine „begrenzte“ Bodenoffensive auf libanesischem Gebiet zu starten um „terroristische Ziele und Infrastruktur“ der Terrormiliz Hisbollah auszuschalten.
Das israelische Militär intensiviert damit seinen Einsatz gegen die pro-iranische Hisbollah-Miliz, die vor allem im Süd-und Ostlibanon aufgestellt ist. Am Mittwochmorgen orderte das israelische Militär ganze Dörfer im Südlibanon auf, zu evakuieren. Laut israelischer Regierung möchte man sicherstellen, dass die etwa 60.000 israelischen Bewohner und Bewohnerinnen der Grenzregion wieder in ihre Häuser zurückkehren können. Denn seit dem 8. Oktober 2023 beschießt die Hisbollah das Grenzgebiet. Ihre Forderung: Ein Waffenstillstand in Gaza. Israel antwortete bis dato mit Raketen und Drohnenangriffen und der großangelegten Pager-Attacke.
„Netanjahu verfolgt eine militärische Lösung, die auf Momentum setzt. Man wähnt sich in einem günstigen Zeitraum und übertüncht so vielleicht auch die Kriegsziele, die man in Gaza nicht einholen konnte, wie z.B. die Geiseln zurück zu holen“, bewertet der stellvertretende Chefredakteur des Nah-Ost Magazin Zenith, Robert Chatterjee, die israelische Strategie.
Bereits eine Million Geflüchtete
Die Leidtragenden des Kriegs zwischen der Hisbollah-Miliz und der israelischen Armee seien die vielen vertriebenen Zivilisten, warnen die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen. Die libanesische Regierung verzeichnet mehr als 1000 Tote durch die Angriffe in den letzten zehn Tagen. Angaben, wie viele der Opfer Zivilisten sind, machte sie keine.
Robert Chatterjee zweifelt an einer Bodenoffensive als endgültige Lösung: „Die Aussage ‚begrenzt‘ ist mit Vorsicht zu genießen. Die Kriterien für eine Beendigung sind nicht konkret benannt.“
Hisbollah, zwischen Schutzmacht und Terrormiliz
Ab 1982 besetzte die israelische Armee fast zwei Jahrzehnte den Südlibanon. Im Zuge der Besatzung und aufgerüstet vom Iran formierte sich die Hisbollah und wuchs zu einer mächtigen Terrormiliz, von vielen Libanesen wird sie bis heute noch als eine Art Schutzmacht gesehen.
Ob die Offensive die Hisbollah für immer eliminieren kann, bezweifelt Robert Chatterjee. „Die Hisbollah ist bei vielen nicht beliebt. Aber der Hauptaggressor ist für viele Libanesen gerade Israel. Die Vorstellung, dass man nur mit militärischen Lösungen auch politische Lösungen erzwingen kann, ist naiv.“
Die libanesische Gemeinschaft in NRW mache sich große Sorgen um eine Eskalationswelle, so Mohammad Masri, Vorsitzender des Libanesischen Zedernvereins in Essen. „Ich habe mit vielen verschiedenen Personen im Libanon zu tun, von verschiedenen Religionen, alle plädieren dafür, dass Frieden herrscht.“ Man müsse jetzt auf Diplomatie setzen, unterstreicht Masri.
So hofft auch Heba darauf, dass der Krieg bald ein Ende findet. Ihre Angst vor den kommenden Wochen ist groß:
Unsere Quellen:
- Interview mit Robert Chatterjee, stellv. Chefredakteur beim Nah-Ost Magazin Zenith
- Interview mit Heba aus Bocholt
- Interview mit Mohammad Masri, Vorsitzender des Libanesischen Zedernvereins Essen
- Nachrichtenagenturen Reuters und AP