Milliarden-Minus: Pflegekassen schlagen Alarm | Aktuelle Stunde

Aktuelle Stunde 14.03.2025 27:14 Min. UT Verfügbar bis 14.03.2027 WDR Von Mathea Schülke

Mediziner zu Gesundheit im Alter: Selbstwirksamkeit ist der Schlüssel

Stand: 14.03.2025, 18:54 Uhr

Die Menschen in Deutschland werden immer älter - und oft auch pflegebedürftig. Was man präventiv unternehmen kann.

Laut Zahlen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben die Pflegekassen im vergangenen Jahr ein Minus von 1,5 Milliarden Euro gemacht. Genau wie bei den Krankenkassen steigen ihre Kosten, weil sie für die Versorgung von immer mehr älteren Menschen zahlen müssen.

Das hängt einerseits damit zusammen, dass die Zahl der älteren Menschen in Deutschland immer weiter steigt - laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2023 mehr als 23 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre oder älter. Andererseits erreichen die Menschen in Deutschland auch ein immer höheres Alter. Lag die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2003 noch bei 76,10 Jahren, wurden die Menschen 2023 im Durchschnitt 79,61 Jahre alt.

Zahl der Pflegebedürftigen steigt seit Jahren

Diese Entwicklung hat auch ihre Schattenseiten. Denn mit dem höheren Alter werden auch immer mehr Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Ende 2023 waren es nach Daten des Statistischen Bundesamtes 5,69 Millionen Menschen.

Was kann man tun, um auch im Alter möglichst lange fit und selbstständig zu bleiben? Welche Faktoren spielen hier eine Rolle? Und welche Einstellung hilft, um die richtigen Entscheidungen zu treffen? Ein Gespräch mit den Allgemeinmedizinern Dr. Nils Vogel (35 Jahre) und Dr. Guido Marx (67 Jahre).

Nils Vogel ist Facharzt für Allgemein- und Palliativmedizin und Mitglied im Vorstand des Hausärzte- und Hausärztinnenverbands Nordrhein. Guido Marx ist Vorsitzender der Kreisstelle Köln des Hausärzte- und Hausärztinnenverbands Nordrhein.

WDR: Herr Dr. Marx, Herr Dr. Vogel, wenn Sie sich mit ihren Patienten und Patientinnen unterhalten, ist dann Pflegebedürftigkeit ein Thema?

Dr. Nils Vogel, Allgemeinmediziner aus Frechen

Dr. Nils Vogel, Allgemeinmediziner aus Frechen

Dr. Nils Vogel: Ich stelle immer wieder fest, dass das so gut wie gar nicht der Fall ist. Das Thema Pflegebedürftigkeit wird verdrängt. Erst, wenn die Menschen selbst davon betroffen sind, kommt es auf die Agenda. Auch wenn die Eltern oder andere Angehörige der Patienten davon betroffen sind, wird es so wahrgenommen, als sei das etwas, was nur andere betrifft. 

Dr. Guido Marx: Das hängt auch damit zusammen, dass alle gerne alt werden wollen, alt sein hingegen nicht. Man erlebt es so gut wie nie, dass jemand in die Praxis kommt und fragt: "Wie bleibe ich lange gesund?"

WDR: Aber warum kommen die Menschen dann in ihre Praxis, mal abgesehen davon, wenn sie aktuell krank sind oder akute Beschwerden haben?

Dr. Nils Vogel: Oft geht es dann nicht um Prävention von Pflegebedürftigkeit oder Krankheit, sondern viel mehr um "Leistungsfähigkeit". Viele Menschen verspüren einen Druck zu "funktionieren". Wenn die Belastbarkeit - zum Beispiel im Beruf - abnimmt, suchen sie einen Arzt auf.

Dr. Guido Marx, Allgemeinmediziner aus Köln Nippes

Dr. Guido Marx, Allgemeinmediziner aus Köln

Dr. Guido Marx: Da sind dann die Hausärzte die erste Anlaufstelle. Genau wie bei den typischen Volkskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes, die einerseits für die geringere Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen, aber auch dafür, wie fit man noch im Alter ist.

WDR: Und was raten sie den Patientinnen und Patienten dann?

Dr. Guido Marx: Das sind meist die selben Dinge: ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung, einen gesünderen Lebensstil.

Dr. Nils Vogel: Ja, nichts hat so einen großen Einfluss auf die Gesundheit, wie ein aktiver Lebensstil. Dennoch hoffen viele Menschen, die zu uns kommen, darauf, dass wir ihnen etwas verschreiben, das ihre Beschwerden lindert oder sie wieder "fit macht", und verkennen ihre Selbstwirksamkeit, also was sie selbst dafür tun können, um lange gesund zu bleiben.

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WDR: Wie glauben Sie, könnte sich diese Haltung ändern?

Dr. Nils Vogel: Es ist wichtig, dass wir Menschen uns auch mal selbst hinterfragen und nicht nur die einfachste Lösung suchen. Als Arzt sollte man seine Patienten hierbei unterstützen und sie in Ihrer Selbstwirksamkeit bestärken.

Dr. Guido Marx: Dabei ist es wichtig, die Menschen in ihrer Lebensrealität abzuholen. Ich hatte einen Diabetes-Patienten, dem ich Jahre lang gesagt habe, er solle sich mehr bewegen. Weil er aber einen körperlich sehr fordernden Job hatte, konnte er sich nicht motivieren. Irgendwann kam er zu einer Routineuntersuchung und seine Werte waren besser als je zuvor. Es stellte sich heraus, dass er sich einen Hund angeschafft hatte, mit dem er jeden Tag spazieren ging.

WDR: Inwiefern spielt das soziale Umfeld dabei auch eine Rolle?

Dr. Guido Marx: Das spielt eine ganz entscheidende. Ich sehe immer wieder Jogger, die allein durch Köln laufen. Die Bewegung ist gut, aber diese Einzelkämpfer sehen dabei nie wirklich glücklich aus. Wenn man aber jemanden hat - den Partner, Freunde, eine Sportgruppe - mit dem man zusammen aktiv ist, erleichtert das die Sache ungemein.

Dr. Nils Vogel: Alleinsein ist insgesamt ein Risikofaktor. Umgekehrt tragen soziale Kontakte jedoch dazu bei, dass Menschen länger fit bleiben. Deswegen ist ein Rat von mir auch schon an junge Menschen, sich ein stabiles soziales Netzwerk aufzubauen, das bis ins Alter hält.

WDR: Aber je älter man wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass gerade gleichaltrige Freunde und Bekannte weniger werden.

Dr. Nils Vogel: Das stimmt. Aber da ist es dann umso entscheidender, wie der familiäre Zusammenhalt ist. Ich habe unter meinen Patienten Ehepaare, die immer zusammen in die Praxis kamen. Als einer der beiden gestorben war, kam in manchen Fällen dann die Tochter oder der Sohn mit Vater oder Mutter zu den Terminen. Das war nicht nur hilfreich, ich hatte auch den Eindruck, dass es für die Psyche der älteren Menschen wichtig war, zu wissen, dass sie unterstützt werden und Rückhalt haben. 

Dr. Guido Marx: Ähnlich verhält es sich mit Altenheimen. Oft leben ältere Menschen, die ins Alten- oder Pflegeheim kommen, nachdem sie ihren Lebenspartner oder -partnerin verloren haben, dort noch einmal auf. Das hat diverse Gründe. Beispielsweise ein Rentner, der seine Frau verloren hat, mit der er zusammen gelebt hat, wird für sich allein nicht mehr so regelmäßig kochen, wie vorher. Im Heim ist das aber verlässlich geregelt. Zudem hat er dort die Möglichkeit, wieder am Leben mit anderen teilzunehmen oder Angebote wie Sport wahrzunehmen. Vorausgesetzt er oder sie lässt sich darauf ein.

Das Interview führte Jörn Kießler

Unsere Quellen:

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 14.03.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18:45 Uhr.