Psychisch krank und gewalttätig: Wie können solche Taten verhindert werden?
Aktuelle Stunde . 23.01.2025. 37:08 Min.. UT. Verfügbar bis 23.01.2027. WDR. Von Alexander Klein.
Nach Aschaffenburg: Umgang mit psychisch kranken Geflüchteten
Stand: 24.01.2025, 10:21 Uhr
Nach dem Messerangriff in Aschaffenburg stellen sich viele Fragen, wenn es um psychisch kranke Geflüchtete geht.
In Aschaffenburg wurden am Mittwoch zwei Menschen bei einem Messerangriff getötet, darunter ein Kleinkind. Der festgenommene Tatverdächtige ist ein Afghane, der in psychiatrischer Behandlung war und mittlerweile in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht wurde. Bereits der Täter von Magdeburg, der ein Auto in einen Weihnachtsmarkt gesteuert hatte, war ein Asylbewerber und psychisch auffällig.
Diese schrecklichen Taten werfen viele Fragen zu psychisch kranken Geflüchteten auf. Es geht dabei um Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland kommen, also viel durchgemacht haben. Natürlich wird dadurch nicht jeder zum Gewalttäter. Aber es gibt Handlungsbedarf.
Wie groß ist der psychosoziale Unterstützungsbedarf?
"87 Prozent aller geflüchteten Menschen in Deutschland haben potenziell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt", heißt es im Versorgungsbericht 2024 der "Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer" (BAfF).
Rund 30 Prozent davon seien von depressiven Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. "Inwiefern Gewalterlebnisse zu einer Traumafolgestörung führen, hängt stark von den Lebensbedingungen nach der Flucht ab", schreibt die BAFF.
Werden psychisch erkrankte Geflüchtete ausreichend begleitet?
Der Psychologe und Migrationsexperte Ahmad Mansour krisierte im Tagesthemen-Interview die monatelangen Wartezeiten für Termine beim Psychologen. Etwa fünf Monate dauert es durchschnittlich, um in Deutschland einen Therapieplatz zu bekommen. Eigentlich gibt es genügend Therapeuten - nur dürfen die nicht mit den Krankenkassen abrechnen.
Zur gleichen Einschätzung kommt auch der BAfF-Versorgungsbericht 2024: "In Deutschland fehlt es an einem angemessenen Zugang zu einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für geflüchtete Menschen." Grund dafür sei unter anderem der Umstand, dass Geflüchtete in den ersten drei Jahren nach ihrer Ankunft nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen Anspruch auf medizinische Behandlung haben.
Die medizinische Versorgung von Asylbewerberinnen und -bewerbern liegt in Deutschland im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer.
Wie sieht es mit der Betreuung in NRW aus?
"Es gibt viel zu wenig Kapazitäten", sagte Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW am Donnerstag dem WDR. Seit 2015 sei das NRW-Netzwerk der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) zwar ausgeweitet worden, doch es sei überlastet. "Das PSZ Siegen musste im vergangenen Jahr seinen Betrieb wegen Unterfinanzierung sogar einstellen."
Auch in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen reiche die psychologische Betreuung nicht aus. "Die Stellen können nicht ausreichend besetzt werden, weil ein Mangel an Fachkräften herrscht." Es sei auch eine höhere finanzielle Förderung notwendig, um ein nachhaltiges Arbeiten zu gewährleisten. "Normalerweise gibt es für Psychotherapeuten nur Jahresverträge."
Wie viele Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen gibt es in NRW?
Genaue Zahlen liegen nicht vor. Die Integrationsbeauftragte der Gemeinde Odenthal, Claudia Kruse, betreut seit über zehn Jahren Flüchtlinge in Odenthal. Ein Viertel von ihnen sei psychisch auffällig und behandlungsbedürftig, sagte sie dem WDR. Kruse betonte, dass es in NRW zu wenig Kapazitäten für die Betreuung dieser Betroffenen gebe.
Für ganz Deutschland wird von etwa 30 Prozent psychisch auffälligen Flüchtlingen ausgegangen. Frank Neuner, Professor für klinische Psychologie an der Uni Bielefeld, hat stichprobenartig Geflüchtete in Erstaufnahme-Einrichtungen befragt.
Er geht in der gesamtdeutschen Bevölkerung von etwa 25 Prozent Menschen mit einer psychischen Erkrankung aus, sagt Neuner. Dass der Anteil bei den Geflüchteten höher ist, sei aufgrund ihrer oft traumatischen Erlebnisse nicht überraschend. Wichtig sei, dass die psychischen Erkrankungen überhaupt erkannt würden - auch mithilfe standardisierter Befragungen in Erstaufnahme-Einrichtungen. Denn die gibt es noch nicht.
Welche Angebote für Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen gibt es in NRW?
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) verwies im WDR darauf, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge eine psychosoziale Erstberatung angeboten werde. Zusätzlich gebe es in den Einrichtungen Gewaltschutz- und Präventionsbeauftragte, die frühzeitig dafür sorgen sollen, dass bei Radikalisierungen oder psychischen Auffälligkeiten Betroffene psychische Beratungsangebote bekämen.
Doch Anspruch und Wirklichkeit driften offenbar auseinander. WDR-Reporter telefonierten mit mehreren Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge in NRW. Dort war mehrfach von psychisch auffälligen und gewalttätigen Flüchtlingen zu hören, die aber aus Kostengründen und teils über Jahre keine Hilfe bekämen. Nur ein Teil von ihnen bekomme Hilfe. "Der Rest fällt durchs Raster, muss irgendwie klarkommen", sagt Prof. Frank Neuner, der Psychologe an der Universität Bielefeld dem WDR.
"Es müssen diese Zuspitzungen identifiziert werden. Personen, die dann doch in sehr dramatischen Zuständen in Flüchtlingsunterkünften sind: Da müsste festgestellt werden, ob eine unmittelbare Gefährdung für sich selbst oder für andere besteht." Prof. Frank Neuner, Psychologe an der Universität Bielefeld
Was müsste verbessert werden?
Der Flüchtlingsrat NRW verlangt für Geflüchtete den gleichen Zugang zu niedergelassenen Psychotherapeuten, wie er dem Rest der Bevölkerung zustehe. Durch den eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung für Geflüchtete in den ersten drei Jahren ihres Aufenthaltes müsse eine Psychotherapie vor Beginn durch das Sozialamt bewilligt werden.
Selbst wenn der Zugang zur Versorgung bestehe, sei immer noch das Sprachproblem zu lösen. Es müsse ein Anspruch auf sogenannte Sprachmittler bestehen, die medizinisch und sozial für diese Tätigkeit weitergebildet worden seien. "Es ist zum Beispiel wichtig, dass sich Sprachmittler innerhalb einer therapeutischen Situation neutral verhalten", so Birgit Naujoks vom NRW-Flüchtlingsrat.
Der Täter von Abschaffenburg war dreimal vor seiner Tat in der Psychiatrie, erklärt Psychiaterin und Neurologin Barbara Wolf dem WDR am Freitagmorgen. Doch für eine gute psychiatrische Behandlung müsse man mit den Menschen reden können.
"Wenn man nicht gerade das große Glück hat, dass ein muttersprachlicher Psychiater vor Ort ist, dann braucht man Dolmetscher. Und die Dolmetscher werden nicht bezahlt. Wir haben da keine Sprachvermittlung. In unseren BAfF-Zentren haben wir Dolmetscher zur Verfügung, aber wir können keine schweren psychiatrischen Fälle behandeln." Barbara Wolf, Psychiaterin und Beisitzerin im BAfF-Vorstand
Eine bessere psychische Betreuung von Geflüchteten muss politisch gewollt sein. Denn am Ende würde sie der Steuerzahler zahlen.
Unsere Quellen:
- Psychosozialer Versorgungbericht 2024 des BAfF e.V.
- WDR 5 Morgenecho Interview mit Barbara Wolff, Psychiaterin und Beisitzerin im Vorstand der BAfF e.V.
- WDR-Gespräch mit Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW
- WDR-Interview mit Anja Kruse, Flüchtlingsbeauftragte der Gemeinde Odenthal
- WDR-Interview mit NRW-Flucht- und Integrationsministerin Josefine Paul
- WDR-Interview mit Professor Frank Neuner, Uni Bielefeld
Über dieses Thema berichtet der WDR am 23.01.2025 auch im Fernsehen, in der Aktuellen Stunde um 18.45 Uhr.