Auch fast zwei Wochen nach dem schweren Angriff auf Einsatz- und Rettungskräfte mit einer Explosion in einem Hochhaus in Ratingen ist noch immer unklar, was hinter der Tat steckt. In einer Sondersitzung des Innenausschusses im NRW-Landtag sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag: "Die Ermittlungen sind noch in vollem Gange. Vieles ist noch unklar. Ich würde mir auch wünschen, ich könnte alle Fragen beantworten. Aber ich kann es nicht." Auf die Frage nach dem Warum gebe es noch keine abschließende Antwort.
Der 57 Jahre alte Mann, der die Explosion verursacht haben soll, stehe im Verdacht, der "Coronaleugner- und 'Prepper'-Szene" zugehörig zu sein. So seien in der Wohnung Unterlagen über Corona-Impfungen, einen angeblichen "Impfzwang" und ein ungewöhnlich hoher Vorrat an Lebensmitteln mit langer Haltbarkeit gefunden worden.
"Ob diese Haltung tatsächlich vorliegt, und wenn ja, ob sie im konkreten Fall vor allem handlungsleitend war, wissen wir aber noch nicht", sagte Reul und fügte hinzu: "Warum der Mann tat, was er tat, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Mit der Zeit werden wir wahrscheinlich klarer sehen."
Drei Verletzte noch in Lebensgefahr
Insgesamt wurden bei der Explosion 35 Menschen verletzt. Laut Reul schweben drei von ihnen noch immer in Lebensgefahr - eine Polizistin, ein Polizist und ein Feuerwehrmann. Auch die anderen fünf Personen, die noch mit schweren Verletzungen im Krankenhaus liegen, seien "noch nicht über den Berg".
Zum groben Ablauf der Tat konnte der Innenminister sagen, dass die Polizei vom Hausmeister des Gebäudes benachrichtigt wurde, dass eine Bewohnerin vermisst werde. Beim Versuch, in die Wohnung zu gelangen, sei dann festgestellt worden, dass die Tür verbarrikadiert sei. Mit Hilfe der Feuerwehr habe man sich Zutritt verschafft.
Dort sei eine Polizistin dann von dem Mann, vermutlich der Sohn der vermissten Frau, mit einer Flüssigkeit überschüttet worden. Laut Reul handelte es sich wahrscheinlich um Benzin. Der Mann habe eine Flamme verursacht und die Einsatzkräfte in Brand gesetzt.
Haftbefehl war bekannt
Spekulationen darüber, dass die Einsatzkräfte nicht Bescheid wussten, dass in der Wohnung ein Gewalttäter lebt, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, wies Reul am Montag zurück. Die Information zum Haftbefehl sei "unmittelbar" weitergegeben worden. Der Mann sei zudem nicht als Gewalttäter geführt worden.
Gegen ihn hätten lediglich drei einfache Körperverletzungsdelikte vorgelegen. Dabei sei es um Ohrfeigen und einen Schlag an die Schläfe in Nachbarschaftsstreitigkeiten gegangen. Der Haftbefehl habe vorgelegen, weil die entsprechenden Geldstrafen nicht gezahlt worden seien und er stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten sollte.
Reul widersprach damit Mutmaßungen, dass die Einsatzkräfte besser hätten gesichert sein müssen. "Das war ein ganz normaler Einsatz, wo eine solche Gefahr gar nicht zu erwarten war." Durch die Info, dass ein Haftbefehl vorlag, seien sie bereits sensibilisiert gewesen.
Die SPD-Fraktion hatte unter anderem wegen dieser Thematik die Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Vize-Fraktionschefin Elisabeth Müller-Witt rechtfertigte die beantragte Sondersitzung im Anschluss: "Nach solchen Angriffen auf unsere Einsatzkräfte kann man nicht ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen." Es sei richtig gewesen, dass Reul die Fragen soweit wie möglich beantwortet habe.
Leiche im Rollstuhl gefunden
Der 57-Jährige sitzt nach der Explosion in Untersuchungshaft. Ihm wird mehrfacher versuchter Mord vorgeworfen. In der Wohnung des Mannes war auch eine Leiche gefunden worden. Sie sei bereits teilweise skelettiert gewesen und habe in einem Rollstuhl gesessen, sagte Reul. Dabei dürfte es sich um die Mutter des Verdächtigen handeln. Die Ermittler gehen derzeit von einem natürlichen Tod der Frau aus.