WDR: Was wissen wir bislang über die Omikron-Variante?
Christian Karagiannidis: Das Problem ist, wir wissen noch nicht, wie krank sie wirklich macht. Das kann man so ehrlich sagen. Es gibt erste Hinweise, dass diese neue Variante die Ungeimpften genauso krank macht wie schon jetzt bei Delta. Bei den Geimpften oder Genesenen sehen wir eher milde Verläufe. Das Problem ist aber, dass sich Omikron viel schneller überträgt. Dadurch erkranken innerhalb kurzer Zeit viel mehr Menschen als bislang. Und das ist das eigentliche Problem.
WDR: Worauf müssen wir uns jetzt also einstellen?
Karagiannidis: Wenn wir nichts tun, werden wir etwas ähnliches erleben wie jetzt in England oder in Dänemark. Da gibt es explosionsartige Vermehrungen der Fallzahlen. Sollte so etwas auch bei uns passieren, wird das nicht nur das Gesundheitswesen, sondern die gesamte kritische Infrastruktur im Land vor erhebliche Probleme stellen. Denn dann erkranken zeitgleich sehr viele Menschen. Für den Krankenhausbereich bedeutet das: In normalen Zeiten haben wir in der Pflege einen Krankenstand von 10 bis 20 Prozent. Wenn jetzt wegen Omikron noch zusätzlich mindestens 20 Prozent ausfallen, ist die Patientenversorgung massiv beeinträchtigt. Dieses Szenario möchte ich nicht erleben.
WDR: Sie sind Teil des Corona-Expertenrates, der am Wochenende eine Stellungnahme abgegeben hat. Was schlagen Sie nun vor?
Karagiannidis: Im Endeffekt gibt es da zwei Säulen. Die eine ist das Boostern. Das scheint wirklich gut zu helfen gegen die Omikron-Variante. Aber im Expertenrat haben wir uns verschiedene Modelle angeschaut und die zeigen alle, dass wir mit dem Boostern nicht schnell genug sind. Deswegen brauchen wir als zweite Säule noch weitgehende Kontaktbeschränkungen.
WDR: Was genau meinen Sie damit?
Karagiannidis: Im Endeffekt ist das eine politische Entscheidung. Es muss geschaut werden, welche Kontaktbeschränkungen wie viel bringen und was die Vor- und Nachteile sind. Was können wir uns leisten? Was brauchen wir? Was müssen wir noch zusätzlich tun? Auf dieser Basis muss die Politik entscheiden. Ich denke gerne in verschiedenen Szenarien.
WDR: Das heißt, es muss jetzt nicht zwingend alles dicht gemacht werden?
Karagiannidis: Genau! Ich könnte mir auch Szenarien vorstellen, wo wir nicht alles schließen müssen. Damit bekommt man natürlich den stärksten Effekt. Aber vielleicht findet man einen Mittelweg, bei dem noch das ein oder andere offen gehalten wird, das nicht so viel zum Infektionsgeschehen beiträgt. Für all das ist es aber wichtig, dass noch diese Woche Entscheidungen getroffen werden, um jederzeit handlungsfähig zu sein - 24/7!
WDR: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Stellungnahme des Expertenrates auf Gehör stößt?
Karagiannidis: Wir haben schon den Eindruck, dass es wahrgenommen wird, was wir da geschrieben haben. Es ist ja schon ein sehr deutliches Zeichen, dass es morgen eine Ministerpräsidentenkonferenz gibt. Es braucht jetzt Entscheidungen für die Zeit nach Weihnachten oder für den Anfang des Jahres. Und die müssen dann wirklich gut an die Bevölkerung kommuniziert werden.
WDR: Wie kann man sich die Arbeit in diesem Expertenrat überhaupt vorstellen?
Karagiannidis: In diesem Gremium arbeiten unterschiedliche Menschen aus verschiedensten Richtungen zusammen. Und trotzdem haben wir es geschafft, dass alle 19 Mitglieder der Stellungnahme zugestimmt haben. Natürlich steckt da extrem viel Arbeit hinter. Aber ich glaube, dass es sich gelohnt hat und das hieraus ein Team erwachsen kann. Es ist schon ein Fortschritt, dass wir dieses Gremium jetzt überhaupt haben. Und man sieht, dass wir etwas angestoßen haben. Wir hatten alle die Befürchtung, dass die Politik jetzt einfach so in die Winterpause geht. Deswegen kam diese Stellungnahme zum richtigen Zeitpunkt.
WDR: Wenn es nun zu neuen Maßnahmen kommt, wie können die Menschen dann mitgenommen werden?
Karagiannidis: Es muss klar und stringent kommuniziert werden. Das ist wirklich essenziell. Einfache Worte und am besten noch Bilder dazu, anstatt ein 15-seitiges Dokument nach der Ministerpräsidentenkonferenz vorzulegen. Und wenn es Kontaktbeschränkungen gibt, müssen die nicht von heute auf morgen kommen. Für so was braucht es eine gute Vorbereitung, damit sich die Menschen darauf einstellen können.
WDR: Viele sind aber auch einfach nur noch müde nach fast zwei Jahren Pandemie …
Karagiannidis: Das stimmt. Aber ich bin ehrlich gesagt gar nicht so pessimistisch, was unsere Aussichten angeht. Da habe ich auch etwas Hoffnung. Denn Omikron bringt auch ein paar Vorteile, um aus dieser Pandemie zu kommen. Natürlich haben wir jetzt noch einmal schwierige Wochen vor uns. Aber dann wird ein großer Teil der Bevölkerung entweder geboostert oder infiziert worden sein. Es gibt dann also eine Grundimmunität in der Bevölkerung. Deswegen sehe ich ein bisschen Licht am Ende des Tunnels.
WDR: Wie werden Sie sich an Weihnachten verhalten?
Karagiannidis: Wir halten die Festtage eher klein und haben so wenig Kontakte wie möglich. Natürlich sind wir geboostert und testen uns, bevor wir mit den Großeltern etwas machen, und zwar täglich. Und wenn es in die Kirche geht, tragen wir auch eine FFP2-Maske. Die sollten auch Geimpfte tragen.
Das Interview führte Christian Wolf.