Die Absurditäten des NRW-Lockerungsplans

Stand: 27.05.2021, 20:14 Uhr

Bordelle ja, Diskos nein: Mit einem Drei-Stufen-Öffnungsplan reagiert die Landesregierung auf sinkende Corona-Inzidenzzahlen. Nicht alle Regeln erscheinen schlüssig. Eine Analyse.

Von Martin Teigeler

Von Shopping bis Restaurant-Besuch - die Landesregierung erlaubt überraschend schnelle Schritte Richtung Normalität. Und das in drei Stufen. Inzidenzgrenzen, Auflagen, Ausnahmebestimmungen für Geimpfte - am Tag nach Verkündung der neuen Corona-Regeln werden die Vorschriften debattiert.

Kleine und große Ungerechtigkeiten

Der Lockerungsplan enthält Absurditäten und Widersprüche. Was ist der Unterschied zwischen einer privaten Veranstaltung (erlaubt in Kommunen mit einer Wochen-Inzidenz unter 50) und einer Privatparty (erlaubt unter 35)? Die Unterscheidung richte sich "nach dem geplanten Verhalten der Gäste", erklärte das NRW-Gesundheitsministerium auf Nachfrage. Anders gesagt: Das Tanzen macht den Unterschied.

Wieso dürfen Swingerclubs und Bordelle in Kommunen mit einer Inzidenz unter 35 sofort öffnen - Clubs und Diskotheken aber erst ab 1. September? Es mache "einen riesen Unterschied, ob 50 Menschen oder noch kleinere Gruppen sich potentiell anstecken oder eine Zahl von 200-500 Menschen oder mehr in einer Disko", sagte das Land dem WDR.

Unverständnis bei Gastronomen: Die Politik müsse das Interesse "auf die Bedürfnisse der Jugend und der jungen Erwachsenen richten", sagt der Düsseldorfer Gastronom Walid El Sheikh. Zugleich unterstützte er aber, dass Prostituierte wieder ihrer Arbeit nachgehen können.

Und warum darf FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart stolz verkünden, dass Messen ab sofort wieder stattfinden dürfen? Restaurants und Kneipen hingegen dürfen ihre Innenräume erst ab einer Landes-Inzidenz unter 35 komplett öffnen.

Teilweiser Wegfall der Testpflicht

Ein weiterer Widerspruch der Regierenden: Monatelang betonten Politiker, Schnelltests seien wichtig, um das Dunkelfeld des Infektionsgeschehens aufzuhellen. Ab Freitag fällt die Testpflicht plötzlich weiträumig weg - etwa im kompletten Handel in Kommunen unter einer 100er-Inzidenz, aber auch in der Außengastronomie bei einer Inzidenz unter 50.

Warum der plötzliche Sinneswandel der Regierung? "Weil wir schlicht und ergreifend jetzt die dritte Welle gebrochen haben", sagt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Es gebe auch keine Eile, sondern die Inzidenzen gäben das her. Außerdem bestehe ja weiter die Maskenpflicht beispielsweise beim Einkaufen.

Aktuelle Recherchen von WDR, NDR und SZ zeigen, wie unkontrolliert das Geschäft mit den Schnelltests auch in NRW abläuft.

Inzidenz-Zahlensalat statt verschiedene Kriterien

Ausdrücklich verteidigte Laumann, dass sich der Öffnungsplan an Inzidenzwerten orientiert. Politiker der schwarz-gelben Landesregierung - unter anderem Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Wirtschaftsminister Pinkwart (FDP) - hatten mehrfach erklärt, dass man die Inzidenzzahlen nicht zum alleinigen Kriterium für Ge- und Verbote machen solle. "Wir können unser Leben nicht nur an Inzidenzahlen abmessen", so Laschet im Februar.

Nun aber schafft die Landesregierung selbst ein neues, recht komplexes Öffnungs-Konstrukt aus Basis von Inzidenzstufen von unter 35, 35 bis 50 und 50 bis 100. Kleine Unterschiede bei Wochen-Inzidenzen können zum Beispiel für Kino-Besitzer einen massiven wirtschaftlichen Unterschied machen, ob sie 250, 500 oder 1000 Karten pro Saal verkaufen dürfen.

Grüne "irritiert" und fordern Klarstellungen

Von "Unstimmigkeiten" spricht Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer, wobei sie grundsätzlich einen Stufenplan richtig findet. Es werde zu viel und zu schnell gelockert - besonders kritisierte sie, dass Einkaufen im gesamten Handel wieder ohne Test möglich sei. "Ich halte das für zu risikoreich."

Die Grünen-Politikerin zeigte sich "irritiert", dass die Landesregierung für Schützenfeste bereits den 1. September als Starttermin festgelegt habe. "Da sind wir noch nicht", betonte sie. Die Regeln zu privaten Partys seien "unklar".

Wo zählen Geimpfte mit und wo nicht?

Schon zu Beginn der Pandemie hatte der schnelle Re-Start der Fußball-Bundesliga für kontroverse Debatten gesorgt. Auch im neuen NRW-Plan sind wieder diskutable Sport-Regelungen drin. Unterhalb einer 35er-Inzidenz dürfen Fußballstadien mit "höchstens einem Drittel der regulären Zuschauerkapazität" gefüllt sein.

Zugleich teilt das Land mit: "Soweit für Zusammenkünfte und Veranstaltungen eine Höchstzahl zulässiger Personen oder Haushalte festgesetzt ist, werden immunisierte Personen nicht eingerechnet." Heißt das, dass Geimpfte bei den Fans in Fußballstadien nicht mitzählen? Offenbar nein, Geimpfte werden nicht mitgerechnet, wenn es um private Treffen geht, laut Verordnung bei Kapazitätsgrenzen im Handel oder bei Veranstaltungen aber sehr wohl.

Es bleibt also kompliziert im Lockerungsland NRW.

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