Die Corona-Zahlen steigen und steigen, die Intensivstationen kommen an Kapazitätsgrenzen. Warum gibt es keine einheitlichen Gegenmaßnahmen? Stattdessen: politischer Streit um die Einhaltung der verabredeten Notbremse-Maßnahmen, Uneinigkeit bei den Ministerpräsidenten.
Dazu eine Kanzlerin, deren Drängen auf einheitliche Regeln nicht von allen gehört wird. Wissenschaftliche Appelle verhallen. Das macht den Frust nach mehr als einem Jahr Pandemie bei vielen noch größer.
Was muss jetzt geschehen? Darüber haben wir unter anderem mit dem Youtuber Mirko Drotschmann alias MrWissen2go geredet.
Mangelhafte Krisenkommunikation
Gegenüber dem WDR beklagte Journalist und Youtuber Mirko Drotschmann alias MrWissen2go eine mangelhafte Krisenkommunikation: "Der eine Ministerpräsident sagt das, der andere sagt das. Man weiß überhaupt nicht mehr: Was stimmt jetzt, was stimmt nicht?"
Mirko Drotschmann: Politiker haben Fehler gemacht
Im Livestream zeigt sich Drotschmann überzeugt: Die Politiker haben Fehler gemacht. Rund ums Impfen und Testen sei vieles schiefgelaufen. Im Zuge der ersten Welle im Frühjahr 2020 habe man gehofft, dass die Pandemie bald vorbei sei. Als dies nicht eintrat, sei versäumt worden, Konzepte zu beschließen.
Was Drotschmann auch glaubt: Wenn im September die Bundestagswahl nicht anstehen würde, hätten die Politiker anders gehandelt. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg habe es unmittelbar vor den Landtagswahlen Öffnungen und Lockerungen gegeben, die es eigentlich nicht hätte geben dürfen angesichts der Infektionslage.
Wütende Worte von Youtuber Rezo
Der Youtuber Rezo sagte Anfang der vergangenen Woche: "In einer Krise - das weiß jeder: Nicht-Handeln ist das Schlimmste! Das Radikalste, das Krasseste, das Destruktivste, was Du tun kannst, ist: nicht zu handeln!"
Unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung
Damit scheinen MrWissen2go und Rezo für viele zu sprechen: Laut ARD-Deutschlandtrend sind 64 Prozent weniger oder gar nicht mehr mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden - deutlich mehr als im Monat zuvor. Die Zufriedenheit mit Armin Laschet ist auf dem Tiefststand seit seiner Wahl zum NRW-Ministerpräsidenten, so eine neue Umfrage von "Infratest dimap" im Auftrag von "Westpol".
#mütend: Müde und wütend
Diese Unzufriedenheit zeigt sich auch im Netz. "Mir macht diese Zeit große Angst", schreibt etwa Bettina Schäfer auf der Facebook-Seite von WDR aktuell. Holger Drewicke ist sauer auf "die Bundesregierung und die Länderchef*innen": "Ihr Unvermögen kostet uns unsere Freiheit, unsere Gesundheit, ja, unser Leben."
In den Sozialen Netzwerken kursiert der Hashtag #mütend - eine Wortkombination aus müde und wütend. Den Stein ins Rollen gebracht hatte die bloggende Oberärztin Dr. Caro Holzner.
"Ich bin schon weit über #muetend hinaus. Ich habe nur kein Wort dafür", schreibt zum Beispiel Nina Diercks. Sie beklagt, dass seriöse Wissenschaftler nicht ernst genommen würden: "Politiker/innen: 'Nö, ich mach das aber nicht, wenn der andere das sagt! Bätschie!'"
Das beklagt auch Instagram-Userin mistraline_30 auf einen Post der "Aktuellen Stunde": "Dieses hin und her statt Einigkeit! Und nach den Wahlen? Dürfen dann endlich die Wissenschaftler zu Wort kommen?"
Werden Wissenschaftler nicht gehört?
Das Problem, dass die Wissenschaft kein Gehör mehr finde, nimmt auch Maximilian Doeckel von der WDR-Wissenschaftsredaktion Quarks wahr. Die Politikerinnen und Politiker würden die Empfehlungen der Wissenschaftler zwar hören, "aber sie hören einfach nicht mehr drauf", sagt er. "Das regt uns schon ziemlich auf, ja."
Auch Instagram-Userin teacher0810 zeigt sich unzufrieden. "Mal ehrlich, die Modellregionen brauchen haufenweise Tests und für die PFLICHTtests an Schulen sind keine (rechtzeitig) da", schreibt sie. "Ich hätte nur gerne mal einen Verantwortlichen, der meinen Kindern einmal alle Fragen beantwortet, die sie haben. Ich kann es nicht mehr, weil ich es selbst nicht mehr verstehe oder nachvollziehen kann."
"Da wird sehr viel geschimpft"
Die Kommentare in den Social-Media-Kanälen des WDR laufen gerade über. Es sei mehr Frust als sonst zu spüren, berichtet Community-Managerin Ana Polubotko. "Da wird sehr viel geschimpft, aber auch leider sehr viel beleidigt." Was ein Karl Lauterbach oder ein Armin Laschet abbekomme, wolle sie gar nicht erst zitieren.
Vorwurf: Politiker hören nicht mehr auf Wissenschaft
Vielleicht sind viele auch einfach deshalb mütend, weil es offenkundig an der Krisenkommunikation hapert. "Niemand redet direkt mit den Bürgerinnen und Bürgern. Dabei müsste man den Menschen viel mehr erklären", sagte kürzlich Politikberater Daniel Dettling im Interview mit dem WDR.
Mirko Drotschmann: Homeoffice-Pflicht einführen
Was also tun? "Mehr Pragmatismus würde uns allen gut tun", sagte Mirko Drotschmann heute im WDR-Livestream. Dazu gehöre, Dinge über Bord zu werfen, die man immer macht. "Im Bereich Digitales ist noch so viel möglich", so Drotschmann. Und auch in Sachen Gleichberechtigung von Jung und Alt. Es gebe noch immer viele Unternehmen, die trotz Corona nach wie vor in Großraumbüros arbeiteten. Warum keine Homeoffice-Pflicht? Schülern etwa werde in diesen Pandemie-Zeiten so viel zugemutet, warum nicht auch Älteren? Und gut wäre auch, wenn Jüngere sich endlich mehr Gehör verschaffen könnten. Dies wäre möglich, wenn das Wahlalter auf 16 Jahren herabgesetzt würde. Nicht zuletzt auch bei Bundestagswahlen.