Mittwoch, 15 Uhr. Vor mir liegt ein neues Handy und eine neue SIM-Karte. Um herauszufinden, was in den Netzwerken der Verschwörungserzähler passiert, muss ich meine Identität wechseln. Ich darf nicht auffallen. Also ändere ich meinen Namen, erstelle eine falsche E-Mail-Adresse und tippe meine geänderte Handynummer ab.
Ich bin nervös, viele Fragen schwirren mir durch den Kopf: Was passiert, wenn ich auffalle? Wie einfach schaffe ich es in die Gruppen? Erwarten mich radikale Ansichten? Einmal kurz durchatmen – dann logge ich mich bei Telegram ein, einem beliebten Messenger von Verschwörern, und trete in erste Gruppen ein: "Eva Herman Offiziell, Michael Wendler Offiziell, impfen-nein-danke"
Gruppen auf Telegram: Nachrichten im Sekundentakt
Kaum angemeldet, ploppen die Nachrichten auf. Sie fluten mein Handy im Sekundentakt: "FFP2 Masken sind Bullshit!"
"Hier ist Krieg!"
"Das Corona-Virus gibt es nicht!"
Ich bin schnell überfordert. Und es wird noch schlimmer. Ich entdecke ein Video von Attila Hildmann, selbst ernannter "Verschwörungsprediger" und einer der führenden Köpfe der Szene. Gegen ihn wird wegen Volksverhetzung ermittelt.
Attila Hildmann: "Seine Botschaften sind am widerlichsten"
Bei seinen Aussagen leuchtet mir schnell ein, warum: "Wie lange schaut die Mehrheit hier noch zu, wie Merkel die ganze Bevölkerung abschlachtet – auf Basis dieser Kommunisten-Lügen-Pandemie?" Und weiter: "Es werden gerade die ersten Quarantäne-Straflager errichtet, Menschen werden in Deutschland degradiert zu Vieh."
Mir wird schlecht. Die rechtsextremen Ansichten von Hildmann sind die widerlichsten, die mir bei meiner Recherche begegnen werden. Doch sie finden offenbar Anklang.
Experte erklärt: Darum sind Verschwörungen erfolgreich
Über 114.000 Follower hat der Account von Hildmann, seine Botschaften werden von Menschen geteilt und verbreitet. Ich frage mich: Wie kann das passieren, dass Menschen darauf eingehen? "In Extremlagen wie bei einer Pandemie sind viele Menschen unsicher oder haben Angst. Die Verschwörer geben ihnen vermeintlich einfache Antworten, vielen gibt das Hoffnung. Sie haben etwas, woran sie glauben können", erklärt Rüdiger Reinhardt, Experte für Verschwörungserzählungen im Medizinbereich
Reinhardt will mit der gemeinnützigen Organisation „Goldener Aluhut“ über Machenschaften der Verschwörer aufklären: "Das sind Leute, die glauben, sie hätten eine Erkenntnis, die andere nicht haben. Zum Beispiel die, dass das Coronavirus nicht existiert. Das hat nichts mehr mit Fakten zu tun, sondern ist eine reine Glaubenssache."
Die Top-Drei der Impf-Lügen
Was mir auffällt: Gerade halten sich besonders die Lügen und Mythen rund um die Impfungen gegen das Coronavirus sehr hartnäckig. Das sind meine Top-Drei der skurrilsten Impf-Lügen.
Lüge 1: Die Impfung macht Frauen unfruchtbar
Lüge 2: Hersteller geben zu, dass Impfstoffe nicht wirken
Lüge 3: Mit der Impfung soll die Menschheit ausgerottet werden
So wird aus Nachricht eine Verschwörung
Alle drei Behauptungen sind falsch und doch setzen sie sich in den Gruppen fest. Viel geteilt werden aktuell auch Meldungen wie diese: "23 Menschen sind in Norwegen offenbar nach der Impfung gegen das Coronavirus gestorben." Eine willkommene Sache für Verschwörer, erklärt Rüdiger Reinhardt: "Verschwörer nutzen an dieser Stelle berechtigte Fragen und Ängste, um diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren."
Der berechtigte Kern der Meldung, dass aufgetretene Nebenwirkungen bei alten und schwer kranken Patientinnen und Patienten dazu geführt haben, dass sich Krankheiten verschlimmert haben, wird verdreht und zur Aussage umgedreht: Die Impfung sei für alle Menschen tödlich. Das Problem: Dieser Teil geht dann viral und wird hunderttausendfach konsumiert – ein Mechanismus, der Ängste weiter schürt.
WDR-Team beobachtet Subkulturen
Genau diese Strategie beobachtet ein WDR-Team aus der "Taskforce Impfen" seit mehreren Monaten: „Wir finden es ziemlich bemerkenswert, wie heftig Emotionen und Fakten vermischt und vertauscht werden, stellen Kolleginnen und Kollegen fest. Und: „Es ist schockierend, wie gut diese Gruppen vernetzt sind. Es gibt Gruppen mit hunderttausenden Mitgliedern, die auch nicht davor zurückschrecken, dort aufgestellte Behauptungen absolut unreflektiert weiterzuverbreiten.“
Mitglieder antworten schnell
Ich möchte mehr über die Menschen wissen, die in genau diesen Sog geraten. Bei meiner Suche nach ihnen stoße ich auf eine Gruppe, die sich "Corona-Rebellen" nennt. Der Unterschied zu meinen bisherigen Beobachtungen: Hier schreibt nicht nur eine Einzelperson, hier tauschen sich Mitglieder sogar untereinander aus. Ich trete ein und schreibe einige von ihnen an.
Die Antworten kommen direkt.
"Herzlich willkommen. Ich habe dir hier einmal ein paar Gruppen zusammengestellt. Viel Spaß bei deiner Erkenntnisgewinnung."
Wohlfühloase als Lockmittel
Ich schaue mir die genannten Gruppen an. Hier geht es zwar etwas gemäßigter im Ton zu, aber die inhaltliche Richtung bleibt doch dieselbe: Corona wird verharmlost und es wird dazu aufgerufen, sich nicht mehr an die Maßnahmen zu halten.
Ich bin überrascht, wie leicht ich Einblick bekomme. Keine Nachfragen, kein Abblocken. Wenn ich nicht wüsste, was hinter manchen Gruppen steckt, würde ich mich fast wohlfühlen. Für Rüdiger Reinhardt ein typisches Stilmittel, um Menschen empfänglicher für Botschaften zu machen: "Besonders Menschen, die in einer Notlage stecken, sind dafür empfänglich. Sie fühlen sich endlich willkommen und verstanden und denken, dass sie neue Freunde gefunden haben."
Auch ich erkenne diese Strategie – und die Tricks, die dahinter stecken. Donnerstag, 15 Uhr, mein Versuch ist beendet. Und ich kann zum Glück sagen: Komm, ich gehe lieber raus aus den Gruppen und mache das Handy aus.