Seit geraumer Zeit schon wird sie als Arbeitsmodell der Zukunft diskutiert: die Vier-Tage-Woche. Die IG Metall forderte sie bereits und hat nun, vor Beginn der Tarifverhandlungen der Stahlindustrie im November, den Druck bei dem Thema erhöht.
Neben einer Lohnsteigerung von 8,5 Prozent will die Gewerkschaft eine Verkürzung der Arbeitszeit auf vier Tage pro Woche - bei vollem Lohnausgleich. Die Zahl der Wochenstunden soll sich von 35 auf 32 Stunden reduzieren.
Schon am Mittwoch hatte die Tarifkommission der nordwestdeutschen Eisen- und Stahlindustrie diese Forderungen beschlossen, am Donnerstag zog die der ostdeutschen Stahlindustrie nach. Die Kolleginnen und Kollegen in den Stahlbetrieben erwarteten "völlig zu Recht einen Ausgleich für die rasant gestiegenen Lebenshaltungskosten", sagte Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen am Donnerstag.
Weniger Stress, weniger Krankenstand
Der Bezirksleiter der IG Metall in NRW, Knut Giesler, hatte am Mittwoch gesagt, eine Verkürzung der Arbeitszeit sei eine Win-Win-Situation für Arbeitnehmer und -geber zugleich: Sie wirke stressreduzierend, was voraussichtlich weniger Krankheitsfälle und eine höhere Produktivität der Beschäftigten zur Folge habe.
Ein weiteres Argument: Wegen sich verändernder Technologien stehe die Stahlbranche vor "fundamentalen Veränderungen", sagt Giesler im WDR Interview. Man müsse damit rechnen, dass der Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren Beschäftigung verloren gehe. Daher sei es jetzt, in Zeiten guter Beschäftigung, wichtig, vorzusorgen, "damit die Menschen auch nachher in der Stahlbranche arbeiten können".
Die Personalkosten machten ohnehin nur zehn Prozent aus. Der Stahlbranche gehe es derzeit gut, insofern sei eine Erhöhung der Löhne um 8,5 Prozent über mehrere Jahre "durchaus verkraftbar".
Ford-Mitarbeiter begrüßen die Idee
Auch am Werkstor des Autoherstellers Ford in Köln ist man mehrheitlich angetan von der Idee: Er hätte dann mehr Zeit für die Familie, sagt ein junger Mann am Donnerstag auf WDR-Anfrage, räumt dann aber ein, dass der Zeitpunkt während einer Inflation vielleicht nicht der richtige für solche Maßnahmen sei.
Er habe 40 Jahre gearbeitet, sagt ein anderer Mann, doch die Zeiten hätten sich geändert. Er stelle jetzt fest, dass man "den jungen Leuten das Arbeiten vielleicht ein bisschen schmackhafter machen müsste".
Alltägliche Dinge wie Arzttermine bekommen man in einer Vier-Tage-Woche besser erledigt, meint eine junge Frau. Weniger Arbeit bei gleichem Gehalt klinge schön, sagt sie, aber: "Wo soll das denn noch hinführen, wenn die Leute nur noch zuhause rumsitzen?"
Arbeitgeber: Falscher Zeitpunkt
Die Arbeitgeber hatten die Forderung der IG Metall am Mittwoch zurückgewiesen. "Wir haben in Deutschland die höchsten Energiepreise und die kürzesten Arbeitszeiten Europas, das passt nicht zusammen", sagt Gerhard Erdmann, Geschäftsführer Arbeitgeberverband Stahl. Hinzu komme der Fachkräftemangel: "Arbeitszeitverkürzung macht man üblicherweise dann, wenn man zu wenig Arbeit für zu viele Leute hat." Die Stahlindustrie aber habe derzeit das umgekehrte Problem: zu viel Arbeit für zu wenig Leute. "Da macht eine Arbeitszeitverkürzung gar keinen Sinn."
Vier-Tage-Woche in der Praxis
In NRW gibt es bereits in mehreren Branchen Firmen, die die Vier-Tage-Woche ausprobieren. So hat beispielsweise die Firma Daub CNC Technik aus Wenden die tägliche Arbeitszeit auf neun Stunden erhöht, dafür bekommen die Angestellten einen zusätzlichen Tag frei.
"Der Arbeitsmarkt hat sich völlig gedreht", sagt Hans Jörg Hennecke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer NRW: "Sinnerfüllung" bedeute heute für viele nicht mehr alleine der Beruf: Die Azubis von heute könnten sich bereits mehr oder weniger aussuchen, wo sie arbeiten wollen - und zu welchen Bedingungen.
Arbeitgeber müssten sich zunehmend auf solche Vorstellungen einstellen, sagt Hennecke. Das könne für viele Branchen auch positive Auswirkungen haben: Durch die Möglichkeit, flexibler zu arbeiten, kehrten vielleicht mehr Menschen zurück auf den Arbeitsmarkt, die das bislang aus verschiedenen Gründen mit ihrem Leben nicht vereinbaren konnten.
Unsere Quellen:
- Agenturmaterial der DPA
- Pressemeldung der IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen
- WDR-eigene Interviews