Seine Konzerte beginnt er immer mit demselben Ritual: Giora Feidman betritt den Saal, beginnt leise auf seiner Klarinette zu spielen und nähert sich durch die Reihen des Publikums langsam der Bühne. "Mein ganzes Leben lang habe ich das Konzert im Saal angefangen." Er könne nicht einfach auf der Bühne erscheinen nach dem Motto "Hier ist der Künstler und nun beginnt das Konzert". Das sei Quatsch. "Das Publikum ist meine Familie." Feidman, der die israelische Staatsbürgerschaft besitzt, gilt als Vater des weltweiten Revivals der jüdischen Klezmer-Musik seit den 1970er Jahren.
Geboren wird Gerardo ("Giora") Feidman am 26. März 1936 in Buenos Aires. Seine Eltern sind jüdische Einwanderer. Sie sind bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aus Bessarabien vor den zunehmenden Pogromen im Russischen Reich geflohen. Nach Argentinien mitgebracht haben sie ihre musikalische Tradition. "Ich bin Klezmer-Musiker in der vierten Generation", erinnert sich Feidman. Bereits mit 13 oder 14 Jahren habe er mit seinem Vater auf jüdischen Hochzeiten gespielt - bis vier Uhr morgens. "Das ist die beste Universität, die ein Mensch durchlaufen kann."
18 Jahre lang im Philharmonischen Orchester Israel
Mit 19 Jahren bekommt Feidman einen Job als Klarinettist am renommierten Teatro Colón in Buenos Aires. Sein Vater, der sein wichtigster Lehrer ist, sorgt dafür, dass ihm der Erfolg nicht zu Kopf steigt: "Du bist nichts Besonderes, weil du Kunst machst", habe sein Vater zu ihm gesagt. "Du bist ein Diener der Gesellschaft. Ärzte kümmern sich um das körperliche Leben der Menschen, du hast dich um ihr spirituelles Leben zu kümmern." Das habe er tief verinnerlicht, sagt Feidman.
In den 1950er Jahren zieht der Musiker in den neu gegründeten Staat Israel. Mit 20 Jahren wird er Mitglied des Philharmonischen Orchesters Israel. "18 Jahre war ich dort", sagt Feidman. In den 1970er Jahren zieht er nach New York, beginnt seine Solokarriere und konzentriert sich dabei wieder auf die Klezmer-Musik. Diese Volksmusik jüdischer Tradition entwickelte sich seit dem 15. Jahrhundert aus dem liturgischen Kantorengesang der Synagoge; ihre heutige Form entstand vermutlich im 19. Jahrhundert in Osteuropa. Trotz religiösem Ursprung ist Klezmer rein weltliche Instrumentalmusik. Klezmer ist für Feidman ein abstraktes Konzept: "Klezmer versteht sich als Gefäß für die Sprache der Musik." Darum gebe es für ihn nicht unterschiedliche Musikrichtungen wie Klassik, Jazz oder Tango. "Es gibt nur eine einzige Sprache, die sich Musik nennt."
"Ohne Liebe gibt es keinen Frieden"
Feidman hofft, mit seiner Musik die Welt zu einem besseren Ort zu machen: "Wenn ich mein Instrument in den Mund nehme, bin ich kein Jude, sondern trage eine spirituelle Botschaft vom Frieden in die Welt." Seit Jahrzehnten setzt sich der Vegetarier Feidman deshalb nicht nur für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ein, auch die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden liegt ihm besonders am Herzen. "Die Lösung heißt: Liebe. Ohne Liebe gibt es keinen Frieden", so Feidman. "Kunst kann einfach so viel dazu beitragen, die Energie zu wecken, die man Liebe nennt."
Einem breiten Publikum wird Feidman ab den 1990er Jahren durch seine Auftritte in den deutschen Filmen "Jenseits der Stille" und "Comedian Harmonists" bekannt. Er ist auch an der Filmmusik zu "Schindlers Liste" beteiligt. 2005 wird der zehnfache Großvater auf Wunsch von Papst Benedikt XVI. zum Weltjugendtag in Köln eingeladen. Während der Vigilfeier spielt er vor rund 800.000 jungen Christen. Die Schaffenskraft Feidmans ist ungebrochen. "Das liegt daran, dass ich 24 Stunden am Tag singe." Aber er singe nicht selbst, sondern eine innere Stimme. "Sie weint und lacht, ist warm und kalt und ist dein eigentlicher Lehrer."
Stand: 25.03.2016
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