7. Juni 1971 - Sowjetische Raumstation Saljut 1 geht in Betrieb

Stand: 07.06.2016, 00:00 Uhr

Als Neil Armstrong 1969 den Mond betritt, ist das nicht nur "a giant leap for mankind", ein riesiger Sprung für die Menschheit. Mitten im Kalten Krieg ist es vor allem ein riesiger Sprung für die USA im Weltraum-Wettlauf mit der UdSSR. Die Sowjets legen nach – mit zwei erfolgreichen Landungen von rollenden Robotern auf dem Erdtrabanten. Sie konzentrieren alle Kräfte auf eine neue Strategie, der die NASA damals noch nichts entgegenzusetzen hat: die Errichtung einer dauerhaft bemannten Weltraumstation.

Keine 18 Monate nach der Mondlandung startet im April 1971 im kasachischen Weltraumzentrum Baikonur die Raumstation Saljut 1. Vier Tage später schwebt sie auf ihrer berechneten Umlaufbahn und eine dreiköpfige Sojus-10-Besatzung bricht zum ersten Rendezvous mit Saljut auf. Doch das Andockmanöver an die Raumstation misslingt. Erst nach mehreren Fehlversuchen können die Kosmonauten ihr Raumschiff wieder abkoppeln und kehren unverrichteter Dinge zur Erde zurück. Unter Hochdruck bereitet sich schon die Mannschaft von Sojus 11 auf ihren Einsatz vor.

Learning by doing im All

Die überstürzte Entwicklung des Saljut-Programms stellt die sowjetischen Konstrukteure vor enorme Schwierigkeiten. Geräte an der Raumstation können nicht in Betrieb genommen werden, die Steuerung der Flugbahn bereitet Probleme und auch die Bordcomputer arbeiten selten störungsfrei. Zudem wird bei Bordingenieur Waleri Kubassow ein Schatten auf der Lunge entdeckt: Verdacht auf Tuberkulose, die gesamte Kosmonauten-Crew muss ausgetauscht werden. Völlig überraschend erfahren Georgi Dobrowolski, Wladislaw Wolkow und Wiktor Pazajew 72 Stunden vor dem Countdown, dass sie nun als erste Saljut-Besatzung Geschichte schreiben sollen.

Die drei sind alles andere als ein eingespieltes Team. Sie kennen sich kaum und waren nicht als Ersatzmannschaft, sondern nur zur Unterstützung der Sojus-Kosmonauten trainiert worden. Dennoch heben Dobrowolski, Wolkow und Pazajew planmäßig in Baikonur ab. Zwölf Stunden nach dem Start von Sojus 11 docken sie am 7. Juni 1971 um 7.10 Uhr MEZ erfolgreich an Saljut 1 an. Sie klettern durch einen Verbindungsgang hinüber und nehmen die 16 Meter lange Orbitstation in Betrieb. 22 Tage, so lang wie nie ein Mensch zuvor, kreisen sie auf engstem Raum um die Erde. Ihr dichtes Programm an Experimenten ist reines Learning by doing. Ständig werden sie von Materialversagen, Systemausfällen und Fehlinstruktionen in Atem gehalten. Die All-Pioniere meistern die Probleme und treten am 29. Juni den Rückflug zur Erde an.

Tödliche Panne vor der Landung

Im Kontrollzentrum Baikonur macht sich Erleichterung breit, als die Sojus-Kapsel am Morgen des 30. Juni sanft in der kasachischen Steppe landet. Doch als das Bergungsteam Minuten später die Luke öffnet, liegen Dobrowolski, Wolkow und Pazajew mit verfärbten Gesichtern tot in ihren Sitzen. Nach der Bekanntgabe der Katastrophe rätseln sowjetische wie amerikanische Raumfahrtexperten über die Ursache. Hat der Hitzeschild der Kapsel versagt? Waren giftige Gase ins Innere gedrungen? Oder ist der menschliche Organismus nach langer Schwerelosigkeit der Belastung beim Eintritt in das Gravitationsfeld der Erde nicht gewachsen? Das würde das Ende für die Vision bemannter Raumstationen bedeuten.

Die Untersuchung der Todesumstände ergibt: Die drei Kosmonauten sind erstickt. Beim Absprengen von Modulen der Sojus vor dem Eintritt in die Erdatmosphäre waren zwei Detonationen gleichzeitig statt nacheinander erfolgt. Dadurch hatte sich ein Ventil geöffnet und den gesamten Sauerstoff der Kapsel ins All geblasen. Ohne den Schutz durch ihre Raumanzüge war die Sojus-Crew nur 110 Sekunden nach dem Abtrennen der Module tot. Als Helden der Sowjetunion erhalten Georgi Dobrowolski, Wladislaw Wolkow und Wiktor Pazajew ein Ehrengrab an der Kremlmauer. Nach diesem Desaster verzichtet Moskau auf weitere Flüge zur Raumstation; im Oktober 1971 wird Saljut 1 über dem Pazifik zum Absturz gebracht. Erst mit Saljut 3 glückt der UdSSR 1974 erstmals der erfolgreiche Abschluss einer Mission zu einer Raumstation.

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.

"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. Juni 2016 ebenfalls an die Raumstation Saljut 1. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast