"Als das Ende des Hitler-Regimes vorherzusehen war, habe ich mir - wie viele meiner Freunde - gesagt: 'Das letzte Mal, vor 1933, haben wir andere Leute die Politik machen lassen", erinnert sich Gerd Bucerius. "Das nächste Mal bist du in der Politik drin und das nächste Mal bist du in der Presse drin." Nach dem Zweiten Weltkrieg bietet sich dem Hamburger Anwalt die Gelegenheit dafür: Er tritt in die CDU ein und beantragt zusammen mit drei Partnern bei der englischen Besatzungsmacht eine Zeitungslizenz. Neben Bucerius gehören zu den Mitbewerbern der ehemalige Stadtbaurat Richard Tüngel, der Verlagskaufmann Ewald Schmidt di Simoni und der Journalist Lovis H. Lorenz.
Mitte Februar 1946 erteilen die Briten die Erlaubnis. Nur eine Woche später, am 21. Februar 1946, erscheint die erste Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit". Darin schreiben die vier Herausgeber: "Es gilt heute die Trümmer nicht nur in den Straßen der zerbombten Städte wegzuräumen, sondern auch geistige Belastungen einer untergegangenen Epoche." Ganz unbelastet von der braunen deutschen Vergangenheit ist das "Zeit"-Personal allerdings nicht. Der erste Chefredakteur der Zeitung, Ernst Samhaber, zum Beispiel hatte während des Nationalsozialismus als Auslandskorrespondent aus Südamerika berichtet - unter anderem für das von Joseph Goebbels herausgegebene NS-Blatt "Das Reich". Im August 1946 wird Samhaber von einer einer deutschen Spruchkammer als belastet eingestuft und mit einem Berufsverbot belegt. Andere sind unbescholten - so wie Herausgeber Bucerius: Als Anwalt hatte er während des "Dritten Reichs", solange es ging, Juden vor Gericht verteidigt.
"Stern" finanziert "Zeit"
Neben Bucerius prägt Marion Gräfin Dönhoff die "Zeit" 56 Jahre lang als Chefredakteurin und Herausgeberin maßgeblich mit. Sie stößt als 36-Jährige im März 1946 zum Team und schreibt ab Ausgabe fünf für die Zeitung. In den ersten Jahren kritisiert sie vor allem die Rechtssprechung bei den Nürnberger Prozessen, unter anderem weil Gauleiter und höhere Polizeioffiziere nicht vor Gericht gestellt werden. Später sind Ost- und Außenpolitik ihre großen Themen. Willy Brandt (SPD) sagt später, die "Zeit" habe seine Ostpolitik als Bundeskanzler vorbereitet.
1951 gelingt Verleger Bucerius ein kluger Schachzug: Er kauft Henri Nannen den "Stern" ab und kann mit der gut gehenden Illustrierten die "Zeit" finanzieren, die jahrelang nur Unkosten verursacht. "Stern"-Gründer Nannen bleibt dennoch bis 1980 Chefredakteur der Illustrierten und bis 1983 ihr Herausgeber. "Ohne Henri Nannen und seine Leistung gäbe es die 'Zeit' heute nicht mehr", sagt Bucerius einmal. 1983 holt er Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) in die "Zeit"-Redaktion. Dieser wird Mitherausgeber und veröffentlicht gelegentlich Artikel. "Wir hatten am Anfang so ein bisschen Schwierigkeiten, uns aneinander zu gewöhnen", sagt der langjährige "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer. "Man musste ihm allmählich beibringen, dass der Chefredakteur kein weisungsgebundener Staatssekretär ist."
Kein Parteiblatt
Es ist immer wieder gerätselt worden, welcher Partei die "Zeit" nahe steht. Die Zeitung hat zwar einen liberalen Ruf, aber Marion Gräfin Dönhoff sagt: "Für mich ist Liberalismus was ganz anderes wie eine Partei." Nun wird befürchtet, dass sie sich mit Schmidt zu einem sozialdemokratischen Parteiblatt entwickelt. Doch Bucerius hat von Anfang an Wert auf eigenständige Redakteure und Autoren gelegt: "Liberalität ist schwer zu handhaben, Kommandos sind einfacher." Redaktionen seien zwar dressierbar, aber er glaube nicht, dass Kommandieren dem Produkt zugutekommen würde. "Zeit"-Leser schätzen diese Meinungsvielfalt und den Qualitätsjournalismus. "Das ist eine intelligente Schicht von Menschen", sagt der Hamburger Publizist Manfred Bissinger. "Man könnte vielleicht auch sagen: die Elite dieses Landes."
Nach Bucerius' Tod 1995 wird die "Zeit" auf seinen Wunsch an die Holtzbrinck-Gruppe verkauft. Giovanni di Lorenzo, der seit 2004 Chefredakteur ist, führt das zwischenzeitlich eingestellte "Zeit"-Magazin wieder ein. Die Auflage der Zeitung liegt heute bei 500.000 Exemplaren. Der Sprung in die Moderne ist gelungen: Die "Zeit" gibt es im Internet und Leser können sie als E-Paper und App für Tablet und Smartphone abonnieren. "Man kann sagen, die 'Zeit' hat sich sehr früh bewegt und auf die schwierigen Zeiten eingestellt", sagt Publizist Bissinger.
Stand: 21.02.2016
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