Kolumbianische Fußballfans am 15.6.1998 im Stade Gerland von Lyon mit Foto-Transparent, das an Andres Escobar erinnert

Stichtag

13. März 1967 - Nationalspieler Andres Escobar in Medellin geboren

Für Kolumbiens Nationalmannschaft geht es am 22. Juni 1994 in der Weltmeisterschafts-Vorrunde um die Qualifikation für das Achtelfinale. Nach der 1:3-Auftaktpleite gegen Rumänien ist das Duell mit Gastgeber USA schon ein Schicksalsspiel. Doch alle kolumbianischen Spieler wissen, dass für sie vor 93.000 Zuschauern in der brodelnden Rose Bowl von Pasadena, Kalifornien, viel mehr auf dem Spiel steht als nur ein blamabler WM-Abschied.

Die Südamerikaner gelten bei Fachleuten als Geheim-Favorit auf den WM-Titel; entsprechend hohe Summen hat die einheimische Drogenmafia auf einen Sieg "ihres" Teams gewettet. Und vor dem Anstoß jeden einzelnen Spieler wissen lassen, dass man so viel Geld ungern verlieren würde. Auch Andres Escobar kennt die Drohungen. Doch der 27-jährige Verteidiger aus Medellin kann nicht ahnen, dass er an jenem 22. Juni nicht nur das WM-Finale und das Geld der Drogenbosse, sondern auch sein Leben verspielen wird.

Ein Gentleman der Stadien

Im fußballverrückten Kolumbien, dem Land mit der höchsten Mordrate der Welt, steht Andres Escobar bei Atlético National, dem Club von Drogenboss Pablo Escobar, unter Vertrag. Der am 13. März 1967 geborene Spieler gilt als Musterprofi. Mit dem berüchtigten Kokain-Paten aus Medellin hat er nur den verbreiteten Nachnamen gemein. Andres Escobar genießt höchstes Ansehen, seit er mit Atlético 1989 zum ersten Mal die Copa Libertadores, die Champions League Südamerikas, gewonnen hat. Die Fans verehren den schlanken, besonnenen Abwehrspieler mit den höflichen Manieren  als "El Caballero de las Canchas", den Gentleman der Stadien.

Zum WM-Spiel gegen die US-Amerikaner muss Escobar ohne seinen Mittelfeldkollegen Gabriel Gomez antreten. Nach einer Morddrohung wenige Stunden vor dem Anpfiff hat Gomez die Mannschaft verlassen. In der 34. Spielminute nimmt das Schicksalsspiel eine tragische Wende. US-Angreifer Eric Wynalda flankt den Ball in den kolumbianischen Strafraum, Escobar wirft sich in Wynaldas Schuss und lenkt den Ball unhaltbar für Torhüter Oscar Cordoba ins eigene Netz. In der zweiten Halbzeit gelingt zwar noch der Anschlusstreffer, doch die USA gewinnen 2:1. Kolumbien, das sich zuvor so gut wie sicher im Achtelfinale gewähnt hatte, ist ausgeschieden.

Auftragsmörder oder rachsüchtiger Fan?

"Beschämend!" – "Wir sind erniedrigt worden" - "Der Stolz unseres Landes hat versagt", titelt die Presse in Medellin nach dem Debakel. Das Blatt "La Semana" hetzt gar: "Was Kolumbien in den USA gezeigt hat, ist ein Verbrechen." Trotz warnender Stimmen kehrt Andres Escobar sofort nach Medellin zurück, um sich der Kritik zu stellen. In einem Zeitungsartikel bittet er die Fans für das Eigentor um Verzeihung und schließt mit den Worten: "Ich sehe euch bald, weil das Leben damit nicht aufhört" – ein tödlicher Irrtum. In der Nacht zum 2. Juli 1994, zehn Tage nach seinem verhängnisvollen Fehler, verlässt Escobar mit seiner Verlobten die Bar "El Indio" in Medellin. Auf dem Parkplatz erwarten ihn zwei Männer und eine Frau in einem gestohlenen Jeep.

Einer der Männer eröffnet sofort das Feuer auf den Nationalverteidiger. Laut Augenzeugen-Berichten soll der Schütze dabei "Gooooooool" (Tor), wie ein südamerikanischer Sportreporter, geschrien haben. Von zwölf Schüssen getroffen, bricht Escobar zusammen und stirbt. Kurz darauf wird Humberto Muñoz Castro als Täter festgenommen und 1995 zu 43 Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung kommt er bereits 2005 wieder frei. Ob Castro als enttäuschter Fan aus purer Rachsucht geschossen oder Andres Escobar als Killer im Auftrag der Drogenmafia hingerichtet hat, ist bis heute ungeklärt.

Stand: 13.03.2012

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