Eine Hütte, drei Quellen und Kühe - auf einer Wiese am Vierwaldstättersee im Zentrum der Schweiz soll der Legende nach die Eidgenossenschaft gegründet worden sein. Auf dem "Rütli" (kleine Rodung) treffen sich am 8. November 1307 angeblich die Vertreter der sogenannten Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden zum Schwur. Das schreibt zumindest der Glarner Politiker und Gelehrte Aegidius Tschudi in seinem in den 1530er Jahren verfassten Werk "Chronicon Helveticum". Ohne Nennung von Belegen nennt er auch den 1. Januar 1308 als Datum eines Aufstands der Waldstätten-Kantone gegen die sie drangsalierende Habsburger Obrigkeit.
In Szene gesetzt wird die Geschichte schließlich 1804 von Friedrich Schiller in seinem Bühnenstück "Wilhelm Tell". Im zweiten Aufzug, zweite Szene versprechen sich die drei Eidgenossen: "Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, In keiner Not uns trennen und Gefahr." Doch was gut klingt, hat offenbar keinen historischen Hintergrund. "Es gibt einfach absolut keine zeitgenössischen Quellen zum Rütli in jener Zeit", sagt Georg Kreis, emeritierter Professor für die Geschichte der Schweiz an der Universität Basel.
Wilhelm Tell - der erste Schweizer Terrorist?
Erst im späten 15. Jahrhundert entsteht der Mythos um die Wiese. Und erst im 19. Jahrhundert wird das Rütli zum nationalen Heiligtum verklärt, als 1848 die moderne Schweiz gegründet wird. Tatsächlich scheint der Aufstand der Urschweizer gegen fremde Unterdrücker, die Vögte der Habsburger, reine Fiktion zu sein. Keine feindlichen Burgen sind geschleift worden; sie haben nicht einmal existiert. Kein Dokument - weder aus Schweizer noch aus Feindeshand - berichtet zeitnah von Schwur und Aufstand.
Zum Schweizer Mythos zählt seit Schillers Drama nicht nur das Rütli, sondern auch Wilhelm Tell - der wortkarge Einzelgänger, der seinem Sohn den Apfel vom Kopf schießen muss, weil ihn Hermann Gessler, der böse Vogt, dazu zwingt. Auf Bildern des Rütlischwurs steht er dabei und hebt die Hand, obwohl er - laut Ursprungsmythos und selbst laut Schiller - auf dem Rütli gar nicht dabei war. Historiker Kreis erinnert in diesem Zusammenhang an ein Bonmot: "Man weiß nicht, ob Tell je gelebt hat. Aber eines ist sicher: Dass er den Gessler, den Tyrannen erschossen hat."
Als Nationalfeiertag hat sich der 1. August durchgesetzt
Lange Zeit gilt der 8. November 1307 als "Geburtstag" der Schweiz, dann wird nach längeren Beratungen 1891 erstmals der 1. August als Nationalfeiertag begangen. "Während einer gewissen Zeit gab es in der Schweiz eine Parallelität von zwei Gründungsdaten", so Professor Kreis. Der Grund: Der sogenannte Bundesbrief der drei Urkantone von 1291, der auf den Anfang August datiert ist, wird erst 1760 erstmals vollständig editiert. Es dauert dann noch mehr als 100 Jahre bis sich dieses Datum bei Historikern und Politikern durchsetzt. Seither wird die Gründung der Schweiz jeweils am 1. August gefeiert.
Das Rütli gilt in der Schweiz nach wie vor als nationales Symbol. Die Wiese wird jährlich von rund 70.000 Menschen besucht - meist kommen sie mit dem Schiff über den Vierwaldstättersee. Allerdings nur tagsüber, denn Übernachten ist auf dem Rütli verboten. Der Ort soll möglichst unverfälscht erhalten bleiben.
Stand: 08.11.2012
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