Friedrich III. ist schon sterbenskrank, als er 1888 nach dem Tod seines fast 91-jährigen Vaters Wilhelm I. endlich Deutscher Kaiser wird. Nur 99 Tage bleiben dem politisch aufgeschlossenen Friedrich – zu wenig, um der reaktionären, preußisch-militaristisch geprägten Führung einen neuen Kurs zu geben. Am 15. Juni 1888 stirbt Friedrich III. und sein Sohn Wilhelm II. übernimmt mit 29 Jahren die Macht in Deutschland.
Das Dreikaiserjahr markiert für viele eine schicksalhafte Weichenstellung in der Geschichte - nicht nur der deutschen. Die Frage drängt sich auf: Wäre 1914 der Weltkrieg ausgebrochen und hätte 1918 der Kaiser abdanken müssen, wenn statt des großmachtsüchtigen Wilhelm II. sein Vater regiert hätte? Immerhin galt Friedrich als freiheitlich denkender Hoffnungsträger, der, beeinflusst durch seine englische Frau Victoria, einen pro-britischen Kurs steuern wollte. Der Bonner Historiker Andreas Rose bezweifelt, dass die Geschichte bei einer langen Regierungszeit Friedrich III. wesentlich anders verlaufen wäre.
Enttäuschte Hoffnungen
"Richtig ist, dass Friedrich eine liberale Einstellung hatte und auch früh äußerte", bestätigt der Preußen-Experte Rose. "Die Frage ist nur, wie viel er davon hätte umsetzen können oder umgesetzt hätte. Und da muss man klar sagen, dass von der Struktur des Kaiserreiches die Möglichkeiten begrenzt waren. Die einzigen politischen Handlungen, die noch von ihm ausgehen, sind die Nobilitierung einiger liberaler Politiker und die Absetzung des reaktionären preußischen Innenministers Puttkammer." An Otto von Bismarck hält der Kaiser fest – obwohl seine Frau den eigenmächtigen Reichskanzler verabscheut.
"Zu spät! Der furchtbare Gedanke verfolgt mich Tag und Nacht", schreibt Kaiserin Victoria verzweifelt, als Friedrich am 9. März 1888 seine Regierung antritt. Lange hat sie darauf warten müssen, Kaiserin zu werden. Doch inzwischen kann sich Friedrich wegen seines Kehlkopfkrebses nur noch über Zettel verständigen. "Wie viel Gutes hätte er tun können! Möge die Zeit ihm gegeben und es ihm gegönnt sein, seinem Volk und Europa zum Segen zu gereichen." Wie Victoria erhoffen sich auch viele Arbeiter Fortschritt und Freiheit von Friedrich. Sie leiden unter Bismarcks "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", mit dem der Reichskanzler die aufstrebende Arbeiterklasse in Schach zu halten versucht.
Der kurze Arm des Kaisers
Von Bismarck, den Ministern und dem Hofstaat werden der stumme Übergangskaiser und seine Gattin kaum ernst genommen. "Wir werden im Allgemeinen nur als vorüberhuschende Schatten angesehen, die bald von der Wirklichkeit in der Form von Wilhelm ersetzt werden", klagt Victoria. Ihre Beziehung zu ihrem ältesten Sohn ist von Beginn an problematisch. Weil Wilhelms linker Arm bei der Geburt verkrüppelt wurde, lässt sie zu, dass der Junge furchtbaren medizinischen und pädagogischen Torturen ausgesetzt wird. Liebe und Anerkennung erfährt der sensible Wilhelm kaum. So wächst der Kronprinz zu einem jungen Mann heran, der seine innere Unsicherheit zeitlebens durch Kraftmeierei kompensiert.
Nach dem Tod des siechen 99-Tage-Kaisers feiern das Volk und die erzkonservative Reichsregierung einmütig den ungestümen Wilhelm. Bismarck aber fürchtet die Unberechenbarkeit des "Brausekopfes", seine großmäuligen Auftritte und engen Kontakte zu den Kriegstreibern. Das Verhältnis zwischen beiden kühlt rasch ab. Nach zwei Jahren entlässt Wilhelm den Eisernen Kanzler, der ihm in der Sonne steht, und verkündet: "Zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen. Mein Kurs ist der richtige und er wird weiter gesteuert."
Stand: 20.08.2013
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