Grünen-Spitzenkandidat Habeck: "Die Union ist größer als Merz"

Stand: 03.02.2025, 06:14 Uhr

In der WDR-Reihe "Auf einen Döner mit ..." stellt Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck Bedingungen für eine Koalition mit der Union.

Von Lukas Fegers

Nach einer hitzigen und turbulenten Woche im Bundestag tourte Robert Habeck an diesem Wochenende durch NRW. Am Samstag besuchte der Grünen-Kanzlerkandidat zunächst Münster, ehe er abends in Köln-Mülheim die politischen Visionen seiner Partei präsentierte.

Der WDR-Foodtruck in Köln | Bildquelle: WDR/Claus Langer

Bevor es ihn am Sonntag zum nächsten Zwischenstopp seiner Wahlkampftour nach Aachen zog, traf sich der 55-Jährige in der Kölner Südstadt mit den Moderierenden des WDR-Newspodcasts 0630, Carolin Bredendiek und Florian Gregorzyk. Dort positionierte sich Habeck zu den großen politischen Fragen dieser Zeit - an einem Foodtruck.

Für die Reihe "Auf einen Döner mit ..." hat der WDR alle Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Nach Heidi Reichinnek (Linke), Sahra Wagenknecht (BSW) und Christian Lindner (FDP) war nun Habeck an der Reihe.

In Zentrum des Interviews standen dabei die Bereiche Wirtschaft, Krieg und Frieden sowie Migration. Drei Themenkomplexe, die laut dem ARD-Deutschlandtrend die Wählerinnen und Wähler am meisten beschäftigen. Doch insbesondere die Migrationspolitik bot gehörigen Redebedarf.

Abstimmung: Habeck wirft Merz "Erpressung" vor

Robert Habeck wählte Falafel | Bildquelle: WDR/Claus Langer

Am Foodtruck bestellte Habeck als Vegetarier eine Falafel ohne Knoblauchsoße, dafür ein "bisschen mehr scharf" - eine willkommene Abwechslung zum "Käsebrötchen-Leben", das der Politiker während des Wahlkampfs laut eigener Aussagen zurzeit führt. Bis er hineinbeißen konnte, vergingen jedoch viele Minuten. Denn unmittelbar nach der Bestellung forderte die Migrationsdebatte im Bundestag seine Aufmerksamkeit.

"Ich halte es wirklich für einen Bruch in der demokratischen Geschichte unseres Landes", sagte Habeck mit Blick auf die Ereignisse der vergangenen Tage, "und zwar nicht aus Versehen, weil man nicht aufgepasst hat, sondern sehenden Auges in Kauf genommen".

Die Union um Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte am Mittwoch einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik eingebracht, dem die Stimmen der AfD eine Mehrheit verschafften. Viele Menschen sehen darin einen Tabubruch, darunter auch die Grünen. Am Freitag war dann der Unions-Entwurf zum "Zustrombegrenzungsgesetzes" gescheitert - nach stundenlangen Diskussion, Verhandlungen, Vorwürfen und Wortgefechten.

Zwar seien die Parteien in der Vergangenheit nie zimperlich miteinander umgegangen, doch diese Plenar-Debatte sei anders gewesen, so Habeck. Dabei zog er einen Vergleich mit den USA: "Es gibt zwei Lager, die nicht mehr miteinander gesprächsfähig sind und die sich nur noch mit moralischen Vorwürfen überziehen, und zwar innerhalb der Demokraten. Ich muss noch atmen. Das ist jetzt nicht ein Moment, über den ich so einfach hinweggehen kann, weil es auch mein politisches Projekt so sehr infrage stellt."

Aus demokratischer Sicht müsse es Differenzen bei Sachfragen geben, aus denen bestenfalls "ein demokratischer Konsens" resultiere. Dies sei bei den Abstimmungen zur Migrationspolitik aber nicht der Fall gewesen.

"Wie immer Mehrheiten entstehen und wie immer man zu einzelnen Sachfragen steht: Demokraten arbeiten nicht mit Rechtsradikalen zusammen. Und das kann nicht aufgeweicht werden." Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat

Dem Unions-Vorsitzenden Merz warf Habeck in diesem Zusammenhang "Erpressung" vor, weshalb ein Bündnis in der demokratischen Mitte gescheitert sei: "Die Bedingung dafür ist, dass man die Pistole von der Brust genommen bekommt. Also wenn das nicht klappt, wenn ihr nicht so wollt wie ich es will, dann stimme ich halt mit der AfD. Das ist ja keine Gesprächs- oder Verhandlungssituation, die irgendwie akzeptabel ist."

Habeck schließt Koalition mit Union nicht aus

Trotz des Streits mit der Union um Kanzlerkandidat Merz schloss Habeck eine Koalition der Grünen mit CDU/CSU nicht kategorisch aus. Grundsätzlich müssten Demokraten nach der Wahl gesprächsfähig bleiben, sagte er im WDR-Interview, schränkte aber ein:

"Nicht zu den Bedingungen einer Erpressungssituation, mit der AfD zu schaffen. Das muss zurückgenommen werden (…). Und wir dürfen nicht einen Wortbruch zur Grundlage von Verabredungen machen. Auch das muss klargestellt werden." Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat

Die Union sei "größer als Friedrich Merz und die Leute um ihn herum. Das sind ja sehr viele kritische Stimmen", so Habeck, der die Frage aufwarf: "Wer möchte eigentlich einen Bundeskanzler haben, der schon als Oppositionspolitiker sein Wort nicht hält?"

Seinem Konkurrenten Merz warf er einen dreifachen Bruch vor: einen Wortbruch, einen Bruch mit der Geschichte der deutschen Demokratie, nicht mit Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten, und den Bruch mit der politischen Kultur.

Für Friedrich Merz hat Robert Habeck einen Ratschlag | Bildquelle: WDR/Claus Langer

Ihm zufolge sollte Merz wie folgt vorgehen: "Selbsterkenntnis, Schritt zurückgehen und sagen: 'Okay, hätte ich gewusst, was das auslöst, hätte ich es nicht gemacht.' Das ist schwer als öffentliche Figur, als Politiker. Aber es ist möglich, und dann sollte es auch akzeptiert werden. Das würde ich dann auch tun, auch öffentlich."

Migration: Europäische Lösung statt "Germany first"

Bei der im Bundestag heftig diskutierten Migrationspolitik setzt Habeck auf die Reform des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, deren Inhalte ab Sommer 2026 in allen EU-Mitgliedstaaten gelten und vollständig angewendet werden müssen. Dieses sichere die Kontrolle und Registrierung an den Außengrenzen und soll für schnelle Verfahren sorgen.

Auf die Aussage, dass die EU-Reform erst im kommenden Jahr gelte, antwortete Habeck:

"Dann müssen wir es halt schneller machen." Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat

Deutschland könne vorangehen und an die anderen Länder appellieren, dies auch zu beschließen. "Wir werden die Frage der Steuerung von Migration und meinetwegen der Begrenzung von Migration nur in europäischer Gemeinsamkeit hinbekommen", sagte Habeck. Wenn ein Land ausschere, wenn Deutschland "Germany first" propagiere, breche das EU-Asylsystem zusammen.

Der von Unions-Spitzenkandidat Merz im Bundestag eingebrachte Vormarsch sei "erstens meiner Ansicht nach grundgesetzwidrig und zerstört das Recht auf Asyl. Und zweitens zerstört es Europa."

Wirtschaft: Deutschlandfonds und Sozialabgaben auf Kapitalerträge

In Sachen Wirtschaft waren Habecks Vorschläge zu Sozialabgaben auf Kapitalerträge ein Thema. Wie hoch er Freibeträge für Renditen aus Aktien ansetzen wolle, darauf ging der Wirtschaftsminister erneut nicht konkret ein. Dafür machte er klar:

"Es geht um diejenigen, die sehr hohe Kapitalerträge aus Aktienvermögen haben." Robert Habeck, Grüne-Spitzenkandidat

Diese sollten sich "stärker daran beteiligen, dass die Leute, die normale Einkommen und normale Sparfonds haben, entlastet werden. Es ist ein Entlastungsvorschlag für 90, 95, 98 Prozent der Bevölkerung."

Carolin Bredendiek und Florian Gregorzyk führten das Interview | Bildquelle: WDR/Claus Langer

Mit Blick auf die Schuldenbremse betonte Habeck, dass eine Neuaufstellung mit Ex-Finanzminister Lindner und dem einstigen Koalitionspartner FDP nicht machbar gewesen sei. Anschließend brachte er seine Idee eines Deutschlandfonds ein. Mit diesem solle all das angegangen werden, "was im Land die Leute nervt" - indem in die öffentliche Infrastruktur wie beispielsweise Bus und Bahn, Schulen und Kitas oder Stromnetze investiert werde.

Der Stagnation der deutschen Wirtschaft will Habeck mit einem "starken, steuerlichen Impuls" entgegenwirken. Dabei schlug der Grünen-Kanzlerkandidat eine steuerliche Abschreibung für Unternehmen vor, die hierzulande investieren.

"Wir werden erst einmal das vorfinanzieren müssen", so Habeck, "dann wächst die Wirtschaft, dann haben die Unternehmen auch wieder mehr Gewinne, dann zahlen sie mehr Steuern und dann kommt es wieder rein. Aber das dauert vielleicht zwei oder drei Jahre."

Krieg und Frieden: Keine Alleingänge in der Ukraine-Frage

Hinsichtlich Russlands Angriffskrieg in der Ukraine machte Habeck deutlich, dass er als Bundeskanzler nur dann mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin reden wolle, wenn das im Sinne der Ukraine und mit den Verbündeten abgesprochen sei.

"Alleingänge werden als in den Rücken fallen bewertet werden. Sodass man schon sehen muss, dass man die Solidarität da nicht verliert." Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat

Mit Blick auf den "Aggressor" Putin betonte Habeck, die aus seiner Sicht "richtige politische Analyse" sei: "Um zum Frieden zu kommen, es geht mir nur um den Frieden, müssen wir unsere Sicherheit besser verteidigen."

Damit argumentierte der Kanzlerkandidat analog zum Wahlprogramm seiner Partei. Darin sprechen sich die Grünen dafür aus, den freiwilligen Wehrdienst und die Reserve für eine breite Zielgruppe attraktiver zu machen und deutlich mehr als zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben.

Das komplette Interview zum Nachhören gibt es hier im WDR-Newspodcast 0630:

Unsere Quellen:

  • Interview mit Robert Habeck (Grüne)
  • Tagesschau-Artikel zum ARD-Deutschlandtrend

Über dieses Thema berichtet der WDR am 03.02.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.