Eine wichtige Aufsichtsratssitzung bei ThyssenKrupp Steel droht in mehreren Eklats unterzugehen. Wie das Handelsblatt als erstes berichtete, sollen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU) gefordert haben, die Sitzung um vier Wochen zu verschieben. Dem hat sich der Aufsichtsrat offenbar entgegen gestellt. Um 15 Uhr begann die Sitzung. Laut Betriebsrat wollen der Aufsichtsratsvorsitzende Sigmar Gabriel und sein Stellvertreter ihren Rücktritt erklären.
Vor der wichtigen Aufsichtsratssitzung bei ThyssenKrupp Steel in Duisburg ist die Stimmung aufgeheizt. Stahlkocher aller Standorte haben sich vor der Hauptverwaltung versammelt und fordern den Rücktritt des Konzernvorsitzenden.
Eigentlich sollte es heute um die Zukunft des Stahlriesen gehen. Wichtige Entscheidungen stehen an: Über die angestrebte Selbständigkeit der Stahlsparte, über Geldspritzen für den klimaneutralen Umbau und darüber, die Produktionskapazitäten zu reduzieren, um sich an die verringerte Nachfrage anzupassen.
Wütende Reaktionen auf Personalentscheidung
Doch seit gestern bekannt wurde, dass der Chef des Mutterkonzerns, Miguel Lopez, drei seiner Stahlmanager vor die Tür setzen will, ist alles anders. "Verbrecher Lopez!", schimpft Ali Güzel, Betriebsratsvorsitzender des größten Werks Hamborn/Beeckerwerth, mit erhobener Faust ins Mikrofon. Und immer wieder tönt es ihm entgegen: "Lopez raus!"
Sorge um 10.000 Arbeitsplätze
Güzel befürchtet, dass Lopez mehrere Werke schließen will. Unter Arbeitnehmervertretern kursiert die Zahl von 10.000 Arbeitsplätzen, die bedroht seien. Von betriebsbedingten Kündigungen ist die Rede – das wäre ein Novum bei ThyssenKrupp Steel. Bestätigt wird das alles aus dem Konzern nicht. "Aber es gibt auch kein Dementi", heißt es bei der IG Metall. Insgesamt arbeiten in der Stahlsparte von ThyssenKrupp 27.000 Menschen in Duisburg, Bochum, Dortmund, Hagen, Finnentrop, Neuwied, Kreuztal und Andernach.
Vor der Hauptverwaltung macht das Gerücht die Runde, Konzernchef Miguel Lopez werde nur per Videoschalte an der Aufsichtsratssitzung teilnehmen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Sigmar Gabriel zuckt die Schultern, als er darauf angesprochen wird: "Ich habe gehört, dass er angeblich Sorge hat, dass er bedrängt würde – ob das stimmt, weiß ich aber nicht." Mehr Fragen möchte Gabriel vor der Sitzung nicht beantworten. Für 17 Uhr hat er eine Pressekonferenz angesetzt.
Unter den Protestierenden sticht Detlef Gnatowski aus Dortmund heraus. Auf seinem glänzenden Silberhelm steht mit Filzstift "Stop Lopez". "Ich glaube nicht, dass wir heute bei der Sitzung Neues erfahren", vermutet er und fürchtet, dass "irgendwelche Marionetten von Lopez" künftig das Sagen haben werden bei ThyssenKrupp Steel. Er stellt sich auf einen großen Arbeitskampf ein.
Glocke mahnt Aufsichtsräte
Immer wieder ertönt Glockengeläut vor der Hauptverwaltung. Die Belegschaft des Bochumer Werks von ThyssenKrupp Steel hat eine historische Glocke auf einem Pritschenwagen mitgebracht. "Die wurde noch beim Bochumer Verein gegossen", erklärt Betriebsrat Dirk Marten die Ursprünge. "Mindestens 100 bis 120 Jahre alt!" Immer wieder kommen Stahlkocher vorbei, die am Glockenseil ziehen wollen.
Marten ist bestürzt über die Nachricht, dass drei Stahlvorstände gehen sollen. Er sieht auch ohne den Managerwechsel mehr Aufgaben zu bewältigen, als derzeit möglich sei: "Wir haben 30 Fußbälle auf dem Spielfeld – aber nur zwei Beine zum Wegschießen", sagt er. Und beschreibt damit die zweite Empfindung neben der Wut der Belegschaft: Ratlosigkeit, wie es bei ThyssenKrupp Steel weiter gehen soll.
Unsere Quellen:
- Betriebsräte und Beschäftigte von ThyssenKrupp Steel
- IG Metall
- Reporter vor Ort