Bei ThyssenKrupp Steel sind vier Aufsichtsräte zurückgetreten, darunter der Vorsitzende Sigmar Gabriel, Elke Eller, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Detlef Wetzel und der neutrale Aufsichtsrat Wilfried Schäffer. Die vier rechneten in deutlichen Worten mit dem Führungsstil des Konzernvorsitzenden Miguel Lopez ab, insbesondere was den Umgang mit Vorstandsmitgliedern des Unternehmens angehe. Der Konzern äußert sich bislang nicht.
Grund für die Rücktritte war der vorherige Rauswurf von drei Stahlvorständen durch den Chef des Mutterkonzerns, Miguel Lopez. In einer Pressekonferenz nach der Aufsichtsratssitzung sprach Gabriel von einer "beispiellosen öffentlichen Kampagne", mit der Lopez seine Stahlmanager öffentlich demontiert habe.
Betriebsratsvorsitzender: "Belegschaft hat Angst"
Zum Rücktritt von Sigmar Gabriel und weiteren Mitgliedern des Aufsichtsrats äußerte sich der Betriebsratsvorsitzende am Standort Duisburg/Beeckerwerth, Ali Güzel, im WDR-Interview: "Ja, ich bin enttäuscht über die aktuelle Situation, in der wir zurzeit stecken. Das ist der Essener Vorstand, der uns hier reingetrieben hat. Die Belegschaft hat Angst um ihre Arbeitsplätze. Der Vorstand muss gehen, aber die Probleme bleiben, das reicht nicht. Da kommen noch mal 50 Probleme dazu, es hat sich nichts geändert."
Zur Rolle des Konzernvorsitzenden Miguel Lopez sagte Ali Güzel weiter: "Miguel Lopez eliminiert hier drei Fachleute, die einen Businessplan erstellt haben, uns genau beschrieben haben, was wir brauchen, um diese Stahlsparte zu verselbständigen. Dieser Mensch ist beauftragt worden, uns in die Insolvenz zu treiben und uns loszuwerden aus dem Konzern. Da muss irgendjemand langsam die Hand drauflegen."
Die IG Metall kritisierte die Vorgänge. "Die Ablösung der drei erfahrenen Stahlvorstände wirft uns meilenweit zurück", erklärte der Zweite Vorsitzende Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft sitzt. Mit diesen Personalentscheidungen werde vom Stillstand bei den eigentlichen Problemen abgelenkt. "Gut ein Jahr nach dem Amtsantritt von Herrn Lopez als CEO stehen wir vor einem Scherbenhaufen."
Emotionale Worte von Sigmar Gabriel
Der zurückgetretene stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Detlef Wetzel erklärte, er stimme den "Lopez raus"-Rufen der Belegschaft zu, betonte jedoch, dass auch andere für die aktuelle Krise mitverantwortlich seien. In emotionalen Worten richtete sich Sigmar Gabriel an die Belegschaft des Stahlkonzerns: "Ich wünsche Euch, dass Ihr so gute Chefs bekommt, wie Ihr sie bis jetzt hattet!"
Er betonte, dass die nun geschassten Vorstände die richtigen Konzepte für die Zukunft des Stahlkonzerns gehabt hätten. Vor der Tür verfolgten hunderte von Stahlkochern aus allen acht NRW-Standorten die Abrechnung. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Tekin Nasikkol sprach von einem traurigen Tag, den er so noch nie erlebt habe, versuchte aber Zuversicht zu verbreiten: "Morgen werden wir wieder Stahl produzieren!"
Starke Konfrontation und Unsicherheit für die Zukunft
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass Konzernchef Miguel Lopez unter anderem seinem Stahlchef Bernhard Osburg einen Aufhebungsvertrag vorgelegt haben soll. Das Verhältnis der beiden galt im Ringen um die Zukunft von ThyssenKrupp Steel als zerrüttet. Lopez hatte den Chef der Stahltochter immer wieder gedrängt, stärker den Rotstift anzusetzen. Osburg hatte im Gegenzug mehr Geld für die Stahlsparte gefordert, um den klimafreundlichen Umbau der Stahltochter zu finanzieren.
Schon seit Wochen ziehen immer wieder Stahlkocher demonstrativ vor das Tor 1 bei ThyssenKrupp Steel (TKS) in Duisburg. Der Betriebsrat lädt regelmäßig zu "Informationsveranstaltungen" über einen möglichen Stellenabbau. Die Arbeitnehmervertreter beklagen, trotz Mitbestimmung zu wenig an den Diskussionen um den künftigen Kurs beteiligt zu werden. Eine erste Aufsichtsratssitzung über die Zukunftsthemen war am Anfang August nach sechs Stunden vertagt worden.
Dabei stehen dringende Entscheidungen an: Nicht nur darüber, die Produktionskapazitäten an die gesunkene Nachfrage anzupassen. Konzernchef Lopez möchte seine Stahltochter außerdem in die Selbständigkeit entlassen, um Risiken für den Mutterkonzern zu minimieren.
Hoher Investitionsbedarf für klimafreundlichen Umbau
Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften verlangen, dass ThyssenKrupp den Stahlbereich vorher finanziell ausreichend ausstattet, um den Umbau auf klimafreundliche Stahlproduktion stemmen zu können. Rechtsanwalt und Rheinmetall-Aufsichtsratsmitglied Marc Tüngler schätzt den Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre auf zehn bis 15 Milliarden Euro – Voraussetzung dafür, dass TKS dann erfolgreich grünen Stahl verkaufen könne.
Aktuell ist ein Standort akut gefährdet: Die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden, ein Gemeinschaftsunternehmen von ThyssenKrupp Steel (50 %), Salzgitter (30 %) und Vallourec (20 %). Nach der TKS-Aufsichtsratssitzung am 9. August hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Sigmar Gabriel verkündet, HKM werde verkauft oder geschlossen. Im zweiten Fall würden den Beschäftigten andere Arbeitsplätze angeboten.
Wirtschaftsjournalistin Kirsten Bialdiga warnt vor den möglichen Konsequenzen: "Das ist ein ganz, ganz schlechtes Zeichen. Es stehen mehrere 1.000 Arbeitsplätze im Stahl auf dem Spiel zurzeit. Und wenn es nicht gelingt, dass man da zu einem konsensualen Weg findet, dann kann es sein, dass noch viel, viel mehr Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, weil auch die Zeit drängt. Die Stahlkonjunktur läuft sehr schlecht. Grüne Transformation muss vorangehen und die finanziellen Mittel des Konzerns sind begrenzt."
Politik in der Verantwortung – Der Kampf der Belegschaft
Mit Blick auf die Zukunft und wie es jetzt weitergehen könnte, betont Betriebsratsvorsitzende Ali Güzel: "Die Politik darf sich auch nicht aus der Verantwortung ziehen. Wir haben 2 Milliarden Steuergelder bekommen für die Transformation des Betriebes, was richtig und wichtig ist. Wir als Belegschaft werden den Kampf annehmen. Wir werden den Herren in Essen zeigen, was Kampf heißt, uns kann man nicht so einfach rasieren."
Erinnerungen an Arbeitskampf in Rheinhausen
Bei langjährigen Stahlkochern werden in diesen Tagen immer wieder Erinnerungen an den Arbeitskampf um Krupp Rheinhausen Ende der 1980er Jahre wach: An dessen Ende wurde das traditionsreiche Werk geschlossen. Die Beschäftigten wurden damals unter anderem in ein neu formiertes Unternehmen übernommen: die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann auf der gegenüberliegenden Rheinseite – genau jener Betrieb, der jetzt auf der Kippe steht.
Unsere Quellen:
- Betriebsrat ThyssenKrupp Steel
- Unternehmenskommunikation ThyssenKrupp Steel
- Betriebsratsvorsitzende am Standort Duisburg/Beeckerwerth, Ali Güzel, im WDR-Interview
- Nachrichtenagentur dpa
- Reporter vor Ort
Über dieses Thema berichtet der WDR auch im WDR Hörfunk: WDR aktuell auf WDR 2 und WDR 5 ab 19 Uhr.