Kaum hat sich die junge Bundesrepublik eine Verfassung gegeben, setzt sie Grenzen, wer von der darin festgeschriebenen Meinungsfreiheit Gebrauch machen darf. Im September 1950 schürt Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in seiner Regierungserklärung die Angst vor der Roten Gefahr: "Sie werden gleich einen Kabinettsbeschluss hören, den wir heute Morgen gefasst haben und der zum Ziele hat, alle Anhänger des Kommunismus aus den Stellen der Bundesrepublik - seien sie als Arbeiter, als Angestellte oder Beamte tätig - rücksichtslos zu entfernen."
Der "Erlass gegen Verfassungsfeinde" ist zwar neutral formuliert, aber seine Stoßrichtung ist klar: Von den darin genannten Organisationen sind elf kommunistisch, aber nur zwei rechtsextrem. Der Erlass bildet den Auftakt zu weiteren juristischen Maßnahmen gegen die linke Opposition. Im Visier hat Adenauer nicht nur die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und deren Sympathisanten, sondern auch den Widerstand der Bevölkerung gegen die von ihm angestrebte Remilitarisierung der Bundesrepublik. Der 74-Jährige, der auf Westbindung setzt, warnt unablässig vor dem Feind aus dem Osten: "Deutschland steht unmittelbar der sowjetrussischen Macht gegenüber. Im Fall einer russischen Aggression wären wir das erste Opfer", sagt er zum Beispiel auf dem ersten Bundesparteitag der CDU im Oktober 1950.
Adenauer drängt auf KPD-Verbot
Um Linke im eigenen Land zu bekämpfen, beschließt der Bundestag im August 1951 mit den Stimmen der SPD das erste Strafrechtsänderungsgesetz. Nun kann neben "Hochverrat" und "Landesverrat" auch "Staatsgefährdung" geahndet werden. "Jawohl, wir schaffen in gewisser Beziehung ein Gesinnungsstrafrecht", erläutert Ludwig Schneider, Abgeordneter der FDP-Regierungsfraktion. "Aber wir bestrafen nicht die Gesinnung, sondern die Tat, die aus der Gesinnung wächst." Nahezu jede oppositionelle Aktivität und Meinungsäußerung steht nun unter Hochverratsverdacht. Die "Süddeutsche Zeitung" spricht von einem "Hexeneinmaleins der kollektiven Schuldvermutung".
Tatsächlich geht von der 1918 von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründeten Partei keine Gefahr für die Bundesrepublik aus. Außer Weltrevolutionsrhetorik hat die KPD keinerlei Angriffe auf die parlamentarische Demokratie geplant, wie später der Verfassungsschutz einräumt. Ungeachtet dessen beantragt die Bundesregierung im November 1951 beim Bundesverfassungsgericht (BVG) nicht nur ein Verbot der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei (SRP), die sich selbst in der Tradition der NSDAP sieht, sondern auch ein Verbot der KPD. Das Verfahren gegen die SRP endet nach wenigen Monaten mit deren Verbot. Bei der KPD hingegen ringen die Richter fast fünf Jahre lang. BVG-Präsident Josef Wintrich habe sogar versucht, Adenauer von der Rücknahme des Verbotsantrages zu überzeugen, sagt Jurist und Buchautor Heinrich Hannover: "Aber Adenauer blieb hart."
Bis 1968 rund 10.000 Verurteilungen
Am 17. August 1956 ist es schließlich soweit: Am Vormittag erklärt das Bundesverfassungericht die KPD für verfassungswidrig und verbietet die Partei. In allen großen westdeutschen Städten stehen Polizeikommandos bereit, um das schon lange vermutete Urteil umzusetzen. Bis zum Nachmittag werden 199 Parteibüros durchsucht und geschlossen, Druckereien beschlagnahmt, Propagandamaterial sichergestellt, Zeitungen verboten, das Parteivermögen eingezogen und Funktionäre verhaftet. Max Reimann, der KPD-Vorsitzende und andere Führungskader haben sich bereits in die DDR abgesetzt, um ihrer Festnahme zu entgehen. KPD-Mitglieder, die in der Bundesrepublik bleiben, haben auch finanzielle Sanktionen zu befürchten. So wird zum Beispiel Heinz Renner - der wie Reimann als Mitglied des Parlamentarischen Rates an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt gewesen ist - seine Rente als NS-Geschädigter wegen seiner KPD-Zugehörigkeit rückwirkend aberkannt.
Das KPD-Verbot trifft nicht nur Kommunisten: "Alles, was nicht in die Richtung der Adenauerschen Politik passte, wurde in den kommunistischen Verdacht gebracht", sagt Rechtsanwalt Hannover. Der Gummiparagraph "Verstoß gegen das KPD-Verbot" sei auf alle möglichen, vermeintlich linksmotivierten Tatbestände angewendet worden. Bis 1968 gibt es über 125.000 staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und rund 10.000 Verurteilungen. Im Kalten Krieg habe es allerdings nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR politische Justiz und Unrechtsurteile gegeben, sagt Jurist Hannover. Während aber die Opfer der DDR-Justiz per Gesetz entschädigt worden seien, sei das in der Bundesrepublik nicht geschehen.
1972 folgt der Radikalenerlass
Das KPD-Verbot wird nie aufgehoben. 1968 wird die Gründung der DKP als Nachfolgeorganisation stillschweigend geduldet. 1969 entschärft die sozialliberale Koalition unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt das politische Strafrecht vorläufig. Drei Jahre später führen SPD und FDP mit dem sogenannten Radikalenerlass die Berufsverbote für den öffentlichen Dienst wieder ein. Bis Ende der 1980er Jahre werden rund 3,5 Millionen Bewerber auf ihre Gesinnung überprüft und rund 10.000 Berufsverbote ausgesprochen.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 17. August 2016 ebenfalls an das KPD-Verbot. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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