In Sarajewo scheint am 28. Juni 1914 die Sonne. Das Gewitter vom Vorabend ist verzogen. Darum will Sophie, die Frau des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, in einem Wagen mit offenem Verdeck durch die bosnische Hauptstadt fahren. Die Visite der beiden Hoheiten ist nicht unproblematisch. 1908 hatte das Habsburgerreich Bosnien und Herzegowina annektiert und damit unter anderem das benachbarte Serbien gegen sich aufgebracht. Doch die Polizei hat nur drei Dutzend Männer für die Sicherung der Strecke zu Verfügung. Die anderen sind noch südlich von Sarajevo bei den Manövern der kaiserlichen und königlichen Armee eingesetzt, die der Erzherzog an den Tagen zuvor inspiziert hatte.
Die Fahrtroute ist in allen Zeitungen abgedruckt worden. Das macht es den Verschwörern leicht. Sieben Attentäter postieren sich. Einer von ihnen ist Gavrilo Princip, ein 19-jähriger bosnischer Serbe. Seine nationalistische Gruppe will einen eigenen Staat: Bosnien als Teil eines Großserbiens. Dafür müssen die Österreicher abziehen, so ihr Plan. Dem ersten Attentäter versagen allerdings die Nerven. Der zweite hat Mitleid mit der Erzherzogin. Der dritte schleudert eine Handgranate. Da der Fahrer aber geistesgegenwärtig auf das Gaspedal tritt, fällt die Granate nicht ins Wageninnere, sondern nur auf das zurückgeklappte Verdeck, fällt dann hinunter und explodiert vor dem nachfolgenden Wagen. Die Kolonne rast zum Rathaus. Die Gefahr scheint überstanden.
Zwei Kugeln aus nächster Nähe
Doch dann will der Thronfolger einen verletzten Begleit-Offizier des Handgranaten-Attentats im Krankenhaus am anderen Ende der Stadt besuchen. Der erste Fahrer der Kolonne biegt allerdings wieder auf die ursprüngliche Route ab - und hält an, als er den Fehler bemerkt. Ausgerechnet an dieser Stelle steht noch immer Gavrilo Princip. Er feuert zwei Mal aus einer Distanz von wenigen Metern. Erzherzogin Sophie wird als erste getroffen, in den Unterleib. Sie stirbt noch vor Franz Ferdinand, der am Hals verletzt wird und später an seinem Blut erstickt.
Das Attentat von Sarajevo wird zum Auslöser des Ersten Weltkriegs. Österreich-Ungarn vermutet Serbien als Drahtzieher des Doppelmordes. Die Donaumonarchie versichert sich der Unterstützung Deutschlands, lässt sich einen Blankoscheck ausstellen und erklärt Serbien nach einem Ultimatum den Krieg. Daraufhin erhält Serbien Beistand von Russland. Moskau reagiert mit einer Mobilmachung. Die deutschen Militärs drängen auf eine schnelle Entscheidung, darum erklärt die Reichsregierung am Abend des 1. August 1914 Russland den Krieg. Am Tag darauf besetzen die deutschen Truppen ohne offizielle Kriegserklärung Luxemburg und marschieren in Belgien ein.
Tod durch Knochen-Tuberkulose
Da die deutschen Militärs an einen schnellen Sieg im Westen glauben, erklären sie auch Frankreich, das mit Russland verbündet ist, den Krieg. Mit dem Einmarsch in Belgien wiederum ist der Bündnisfall für England gegeben. Mit der englischen Kriegserklärung vom 4. August 1914 sind schließlich alle hochgerüsteten Großmächte Europas im Krieg. In den nächsten vier Jahren sterben insgesamt rund zehn Millionen Soldaten und geschätzt sieben Millionen Zivilisten.
Auch Gavrilo Princip stirbt in diesem Krieg. Ihm wird in Sarajewo vor einem österreichischen Gericht der Prozess gemacht. Er bereue nichts, sagt er: "Ich bin kein Verbrecher. Ich habe den beseitigt, der Böses tat." Da er zum Tatzeitpunkt noch minderjährig ist, entgeht er dem Strang. Er wird im Festungsgefängnis Theresienstadt inhaftiert. Drei Jahre lang verbringt er ohne Licht angekettet in einer ungeheizten Zelle. Knochen-Tuberkulose zerfrisst seinen Körper. Ein Arm wird ihm deshalb amputiert. Gavrilo Princip stirbt ein halbes Jahr vor Kriegsende.
Stand: 28.06.2014
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