Rechte Gewalt ist mittlerweile an der Tagesordnung: offene und subtile Bedrohung Andersdenkender, Anfeindungen, Übergriffe. Es trifft Menschen mit ausländischer Herkunft, aber auch Politiker, Journalisten und engagierte Bürger, die sich den Rechten entgegegenstellen. Alle vier Tage registrieren die Sicherheitsbehörden statistisch gesehen in Deutschland eine Straftat, bei der sich die Täter ausdrücklich auf den NSU als Vorbild beziehen. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor.
Seit der NSU am 4. November 2011 aufgeflogen ist, wurden demnach bundesweit bislang fast 240 Straftaten mit Bezug zum Terror-Trio verübt. Allein für NRW hat das BKA 45 Straftaten registriert, darunter sind drei Gewalttaten in Duisburg, Essen und Kempen. Die häufigsten Delikte sind Bedrohungen, Propagandavergehen und Sachbeschädigungen. In Düren sprühten zum Beispiel Unbekannte im Mai 2013 an die Wand der Islamischen Gemeinde: "NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein".
Delikte mit NSU-Bezug in NRW seit dem 4. November 2011:
Quelle: Bundesinnenministerium
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Dortmunder Opfer der NSU-Mordserie geschmäht
Dortmund ist in der Statistik neun Mal als Tatort für Delikte mit NSU-Bezug verzeichnet - in keiner anderen NRW-Stadt fielen NSU-Sympathisanten so häufig auf. Allerdings sind offenbar nicht alle Aktionen strafbar: Ende Dezember 2014 brüllten Anhänger der rechtsextremen Partei "Die Rechte" zum Beispiel "Mehmet hat's erwischt". Gemeint war der Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in seinem Geschäft erschossen wurde. Er war das achte Opfer der NSU-Mordserie.
Die Neonazis hatten sich im vergangenen Dezember nur wenige hundert Meter vom Tatort aufgehalten. Ozan Kubat, der oft gegen rechte Umtriebe protestiert, war an jenem Abend vor Ort: "Ich hatte das Bild vom Mehmet Kubasik vor Augen." Er habe aber auch an dessen Familie gedacht, die noch immer in der Nordstadt wohne, sagte er zu WESTPOL. Bislang wurde niemand dafür bestraft. Ozan Kubat kann das nicht nachvollziehen.
Die Dortmunder Polizei hat zwar wegen der "Mehmet hat’s erwischt"-Schmährufe Ermittlungen eingeleitet. Doch die Staatsanwaltschaft verteidigt sich, eine strafrechtliche Verfolgung sei nicht möglich: "Wir haben keine eindeutige Bezeichnung der Tat in diesem Ausruf und auch daher fällt es nicht unter den Straftatbestand des Billigens von Straftaten", so Barbara Vogelsang von der Staatsanwaltschaft Dortmund.
Zynische Anfrage zu Gedenkstein
Dortmunder Neonazis demonstrieren ihre Sympathie für den NSU aber nicht nur mit Sprechchören. Ende des letzen Jahres tauchte ein neues Transparent auf mit der Aufschrift: "Neue, sachliche und demokratische Aktivisten Partei". Liest man nur die Anfangsbuchstaben der ersten drei Worte, ergibt sich das Kürzel NSU. Setzt man alle Anfangsbuchstaben zusammen, wird verklausuliert auf die NSDAP angespielt.
Bereits Ende November 2014 hat Dennis Giemsch von der Partei "Die Rechte" eine zynische Anfrage für eine Sitzung des Dortmunder Stadtrates gestellt. Thema: "Änderung an NSU-Gedenkstein für Mehmet Kubasik". Giemsch wollte wissen, was eine Korrektur der Aufschrift koste, wenn sich herausstelle, dass "der vermeintliche Terror von rechts" tatsächlich "eine staatliche Inszenierung zur Kriminalisierung heimattreuer Deutscher" sei, "die von vorne bis hinten durch den Verfassungsschutz gesteuert wurde."
Für den Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke ist das Verhalten der Neonazis mehr als eine bloße Provokation: "Das ist natürlich nicht nur Effekthascherei, das mag dazu kommen. Aber der Kern ist - und das ist das Unglaubliche -, dass sie das glauben." Die Sympathisanten, sagte er WESTPOL, hätten eine sadistische Lust an der Zerstörung und Gefährdung von Menschen.