Vier Jahre nach ihrer Gründung ist die junge Bundesrepublik organisatorisch aus dem Gröbsten raus. 1953 beschließt das Parlament, es sei an der Zeit, auch dem Regierungschef einen repräsentativen Wohnsitz auf Staatskosten zu genehmigen. Bundeskanzler Konrad Adenauer aber will sein geliebtes Rhöndorf nicht verlassen, und so verschwindet der Beschluss in den Akten.
Erst Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard nimmt das Bauvorhaben 1963 in Angriff. Entstehen soll das Bonner Kanzler-Eigenheim in bester Rheinlage, im Park am Palais Schaumburg, dem Dienstsitz des Regierungschefs. Mit der Ausführung beauftragt Erhard auf dem kleinen Dienstweg einen guten Freund: den Münchener Architekten Sep Ruf, der schon Erhards privates Domizil am Tegernsee gebaut hat.
Maßhaltebunker mit Hundehüttencharme
Rufs Entwürfe schrecken die Öffentlichkeit auf. Denn auf Wunsch des beleibten Zigarrenfreunds Erhard errichtet der Bauhaus-Architekt keine stattliche Kanzler-Residenz, sondern einen modernen, nüchternen Flachbau mit gelben Ziegeln und Glasfassade, in der Mitte ein Atrium mit Swimmingpool. Schnörkellos, aber edel auch das Interieur, mit viel Naturstein, versenkbaren Wänden und Schiebetüren. Zwei Millionen Mark kostet der Bungalow, der Erhard hellauf begeistert und den der Kanzler als sichtbares Symbol für das neue Staatsverständnis der Bundesrepublik verstanden wissen will.
In der Presse aber hagelt es Kritik und Spott über "Ludwigslust" und die "Kanzler-Vitrine" von Bonn. Von einem Maßhaltebunker mit dem Charme einer Hundehütte ist die Rede. Und wozu bitte braucht ein Bundeskanzler einen Swimmingpool? Erst als die Öffentlichkeit bei der Schlüsselübergabe am 12. November 1964 Einblick in den viel geschmähten Bau nehmen darf, verstummt zumindest die Kritik am angeblichen Luxus. "Der Bungalow ist maßgerecht und doch maßvoll", urteilt der Reporter des WDR. Der sichtlich stolze Ludwig Erhard lässt wissen: "Es ist mein redlicher Wille und mein Wunsch, in diesem Haus recht lange zu bleiben."
Meisterwerk der Nachkriegsmoderne
Zu Erhards Bedauern läuft sein Mietvertrag bereits 1966 ab. Nachfolger Kurt Georg Kiesinger kann sich für die Avantgarde-Residenz gar nicht begeistern. Er ändert die Raumstruktur radikal und lässt das kühle Ruf-Ambiente durch behagliches Mobiliar und mittelalterliche Kunst ersetzen. Nur der Pool, nicht viel größer als ein Planschbecken für Kanzler-Kinder, findet Kiesingers Zustimmung. "Täglich sechs Stöße Brust, Purzelbaumwende, sechs Stöße Rücken", schreibt er später in seinen Erinnerungen. Willy Brandt zieht nach seiner Kanzlerwahl 1969 erst gar nicht dort ein, sondern bleibt mit Familie lieber in der Außenminister-Dienstvilla auf dem Venusberg wohnen.
Helmut und Loki Schmidt lassen 1974 das Originalinterieur wiederherstellen. Eine "Kitschecke mit privaten Erinnerungsstücken", so nennt es Schmidt, bleibt die einzige Konzession an Sep Rufs strenges Stilkonzept. Loki Schmidt berichtet in einem Brief an den Architekten sogar begeistert über das Leben im Kanzlerbungalow. Das sieht Helmut Kohl, der 1982 als letzter Mieter einzieht, völlig anders. Zusammen mit Frau Hannelore lässt er das "absurde Bauwerk" innen komplett nach seinen Vorstellungen von pfälzischer Gemütlichkeit umbauen und einrichten. 17 Jahre, bis September 1999, wohnen die Kohls im Kanzlerbungalow, den Architekturexperten heute als Meisterwerk der Nachkriegsmoderne rühmen. Saniert und restauriert beheimatet das Relikt der Bonner Republik seit 2009 eine Dauerausstellung des Hauses der Geschichte.
Stand: 12.11.2014
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