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Webers „Freischütz“ auf der Seebühne bei den Bregenzer Festspielen 2024

21.07.2024 – Carl Maria von Weber, "Der Freischütz" bei den Bregenzer Festspielen

Stand: 21.07.2024, 09:30 Uhr

Im sommerlichen Bregenz blickt man auf ein arg heruntergekommenes winterliches hügeliges Dorf mit schiefen Hütten, toten Bäumen und einem unter Wasser stehenden Friedhof. Darüber eine tief hängende Mondscheibe, die - man ahnt es - später noch in blutroter Farbe leuchten wird, aber auch ein zwinkerndes Gottesauge zeigt oder eine Taube. Das ist der Schauplatz der sehr eigenwilligen, spektakulären Inszenierung von Webers "Freischütz" auf der Bregenzer Seebühne von Philipp Stölzl.

Die Oper beginnt mit dem Begräbnis von Agathe, die bei Max‘ Probeschuss zu Tode kam. Er selbst kommt an den Galgen, zittert im Todeskampf und wird im Dorfteich versenkt.

Dann tritt Samiel – ein Teufel im roten Catsuit – auf als Conferencier und Lenker der Ereignisse und startet in einer Rückblende alles von vorn. Jetzt erst erklingt die Freischütz-Ouvertüre (als Livezuspiel der Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola von nebenan) – allerdings gekürzt um den fulminanten Schluss. Kürzungen, auch Eingriffe in die Arientexte gehören zum Konzept dieser Inszenierung, für die Jan Dvořák komplett neue Dialoge geschrieben hat. So singt Ännchen "Männer sind wie böse Geister", denn sie ist lesbisch und liebt Agathe. Die ist mindestens bisexuell, längst schwanger von Max, küsst inniglich ihre Freundin und will mit ihr fliehen. Max ist kein Jägerbursche, sondern ein sensibler Stadtschreiber. Deswegen hat sich Agathe für ihn interessiert und nicht für den grobschlächtigen Kilian, der hier zum Nebenbuhler aufgewertet ist. Fürst Ottokar wird in einem zuckerbäckerartig verzierten Schlitten hereingezogen, gibt sich seiner Lüsternheit und seinem Sadismus hin, indem er Max ein nicht erreichbares Ziel für den Probeschuss auferlegt. Als der gesteht, Freikugeln gegossen zu haben, singt der Fürst (anders als bei Weber und Friedrich Kind) "Dein harrt der Henker", womit man wieder beim Anfang wäre.

Jetzt tritt Samiel erneut auf den Plan und bestimmt ein Happy End. Der Eremit tritt in opulentem Ornat und Kopfschmuck auf und sieht aus wie eine Mischung aus orthodoxem Patriarch und Dumbledore bei Harry Potter. Tatsächlich steckt darunter aber wiederum der Teufel.

Samiels neu gedichtete, gereimte Verse ahmen ein wenig den Tonfall von Goethes "Faust" nach, ein wenig auch altertümliches Boulevardtheater, alles nicht ungeschickt und weil Moritz von Treuenfels so gut rezitiert auch kurzweilig. Auf der Bühne spielt noch eine kleine Basso-Continuo-Gruppe, die die gesprochenen Dialoge gelegentlich untermalt. Die Gesangssolisten machten ihre Sache ordentlich. In der besuchten Vorstellung ragte Oliver Zwarg als Kaspar heraus, besonders in seiner Arie "Schweig, damit dich niemand warnt", die er auf einem vom einem Pferdegerippe gezogenen Wagen darbot. Ein schauerlicher Anblick, wie auch die gesamte Wolfsschluchtszene, die wie eine überdimensionierte Geisterbahn wirkt mit zum Leben erweckten Leichen, die aus ihren Wassergräbern entsteigen, einer gewaltigen, drachenartigen Schlange und irisierenden Lichteffekten, die am Ende in ein schwarzweißes Stillbild einfrieren, womit sich das Ganze nur als Traum von Agathe erweist.

Die Bühnentechnik und das Licht funktionieren auch in anderen Szenen perfekt. Das Ganze macht dann oft den Eindruck eines lebendigen Wimmelbilds á la Hieronymus Bosch.

Dass sich bei diesem Überwältigungstheater die Musik nur schwach behauptete, nicht nur wegen der Eingriffe in das, was man Werkgestalt nennt, nahm das Publikum genauso in Kauf, wie die vielen Neu- und Umdeutungen der Figuren. Denn insgesamt hat die Produktion eine innere Stimmigkeit, weil die szenische Opulenz nicht nur Dekor ist, sondern so etwas wie Samiels diabolisch gutes Arrangement.

Premiere: 17.07.2024, besuchte Vorstellung: 20.07.2024, noch bis zum 18.08.2024

Besetzung:
Ottokar: Johannes Kammler
Kuno: Raimund Nolte
Agathe: Elissa Huber
Ännchen: Gloria Rehm
Kaspar: Oliver Zwarg
Max: Thomas Blondelle
Samiel: Moritz von Treuenfels
Ein Eremit: Frederic Jost
Kilian: Philippe Spiegel
Brautjungfern: Sarah Kling, Sarah Schmidbauer

Wired Aerial Theatre
Statisterie der Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspielchor, Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker

Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung, Bühne: Philipp Stölzl
Kostüme: Gesine Völlm
Licht: Philipp Stölzl, Florian Schmitt
Stunt- und Bewegungsregie: Wendy Hesketh-Ogilvie
Mitarbeit Bühne: Franziska Harm
Chorleitung: Lukáš Vasilek, Benjamin Lack
Ton: Alwin Bösch, Clemens Wannemacher
Toneffekte: Jan Petzold
Dramaturgie: Olaf A. Schmitt

Dialogfassung von Jan Dvořák nach einem Konzept von Philipp Stölzl
Zusatzmusik von Ingo Ludwig Frenzel