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Pioniertat im OP: Werner Forßmanns Herzkatheter-Selbstversuch

Pioniertat im OP: Werner Forßmanns Herzkatheter-Selbstversuch WDR Zeitzeichen 05.11.2024 13:14 Min. Verfügbar bis 06.11.2099 WDR 5

Mit einem gewagten Eingriff legt Werner Forßmann den Grundstein für die moderne Herzmedizin. Der Patient: Er selbst. Am 5.11.1929 berichtet er erstmals davon. Und viel später wird er dafür mit dem Medizin-Nobelpreis belohnt.

Gefäßverletzungen, Blutungen, Herzinfarkt und Schlaganfall zählen bis heute zu den möglichen Komplikationen einer Herzkatheter-Untersuchung. Doch Werner Forßmann hat Glück: Als der Assistenzarzt 1929 einen solchen Eingriff am eigenen Körper durchführt, bleibt er unbeschadet. Gelassen meint er 30 Jahre später: "Das war gar nicht so schlimm. Ich hatte mir diese Möglichkeiten anatomisch sehr genau überlegt und ich war fest davon überzeugt, dass nichts passieren konnte." *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Professor Dietrich Pfeiffer (Kardiologe in Berlin); Werner Forßmann: Selbstversuch - Erinnerungen eines Chirurgen. Düsseldorf 1972 ***


Am 5. November 1929 erscheint im renommierten Ärzteblatt "Berliner Klinische Wochenschrift" ein Aufsatz von Werner Forßmann. Der Titel lautet "Über die Sondierung des rechten Herzens". Darin schildert der Assistenzarzt, wie er im zurückliegenden Sommer in einem Provinzkrankenhaus im brandenburgischen Eberswalde ein risikoreiches Experiment durchgeführt hat: eine Herzkatheter-Untersuchung am eigenen Körper.

Forßmann legt damit die Grundlage für die Einführung der Herzkatheter-Untersuchung in die klinische Praxis. Doch diese Leistung wird erst Jahre später erkannt. Zunächst wird der Mediziner für seinen Mut nur von der Boulevardpresse gefeiert. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es erst viel später eine entsprechende Resonanz.

In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
  • wie der 25-jährige Werner Forßmann während der Mittagspause heimlich seinen Selbstversuch durchführt,
  • warum er auf die ursprünglich geplanten Patientenversuche verzichtet,
  • wie der Chirurg Ferdinand Sauerbruch angeblich über das Herzkatheter-Experiment spottet,
  • in welcher Beziehung Forßmann zur NSDAP steht,
  • mit welchen beiden US-Ärzten er den Nobelpreis erhält.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Professor Dietrich Pfeiffer (Kardiologe in Berlin)
  • Werner Forßmann: Selbstversuch - Erinnerungen eines Chirurgen. Düsseldorf 1972

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Autorin: Steffi Tenhaven
Redaktion: Christoph Tiegel und Frank Zirpins

Walther Leisler Kiep: Die CDU-Spendenaffäre

Walther Leisler Kiep: Die CDU-Spendenaffäre WDR Zeitzeichen 04.11.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 05.11.2034 WDR 5

Er war beliebt, erfolgreich und verwickelt in die schwerste Krise der CDU: Am 4. November 1999 erlässt die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Walther Leisler Kiep wegen Steuerhinterziehung. Und das ist erst der Anfang.

Einen Tag nach dem Haftbefehl gegen ihn stellt sich Ex-CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep am 5. November den Behörden. Er erklärt, die 1991 vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber in seinem Beisein an den langjährigen CDU-Steuerberater Horst Weyrauch in einem Koffer bar in der Schweiz übergebene Million sei als Parteispende an die CDU gegangen. Ein paar Wochen später wird ein Ermittlungsverfahren gegen Ex-CDU-Parteichef Helmut Kohl eröffnet. *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Andreas Polk (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, Beirat und Mitglied bei Transparency International Deutschland)***


Ende August 1991 auf einem Parkplatz in der Schweiz: CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep und CDU-Steuerberater Horst Weyrauch nehmen einen Koffer entgegen, der eine Million Mark enthält. Es soll sich um eine Parteispende des Waffenhändlers Karl Heinz Schreiber gehandelt haben, so erzählen es die beiden CDU-Männer später. Das Geld taucht dann später auf einem Treuhandkonto der CDU auf und wird verschwiegen.

Gut acht Jahre später wird das Leisler Kiep zum Verhängnis: Am 4. November 1999 erlässt das Amtsgericht Augsburg Haftbefehl gegen ihn. Der frühere CDU-Schatzmeister soll das Geld für die Vermittlung eines Panzergeschäfts der Thyssen AG mit Saudi-Arabien bekommen haben.

Am 5. November 1999 stellt sich Leisler Kiep der Justiz. Seine Aussage bringt
einiges ins Rollen. Es stellt sich schließlich heraus: Unter Parteichef Helmut Kohl existiert ein ganzes System von Auslandskonten und schwarzen Kassen, über das die CDU unter anderem Wahlkämpfe und Parteitage mitfinanziert hat.

In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
  • Welche Rolle der Verein "Staatsbürgerliche Vereinigung" damals bei der Parteienfinanzierung spielt,
  • wie ein Untersuchungsausschuss des Bundestages die CDU-Spendenaffäre beleuchtet,
  • wie sich Ex-CDU-Parteichef Helmut Kohl in der Affäre verhält,
  • welche Regeln das Parteiengesetz heute für Spenden vorsieht.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Andreas Polk (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, Beirat und Mitglied bei Transparency International Deutschland)

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Autorin: Martina Meißner
Redaktion: Frank Zirpins

Gegen Subkulturen: Großbritannien verbietet Open-Air-Raves

Gegen Subkulturen: Großbritannien verbietet Open-Air-Raves WDR Zeitzeichen 03.11.2024 13:09 Min. Verfügbar bis 04.11.2099 WDR 5

Während in Berlin Tausende bei der Love Parade tanzen, feiern Briten wild und unkontrolliert auf dem Land. Ab dem 3.11.1994 ist das gesetzlich verboten. Aber die Party geht weiter.

1988, im zweiten Summer of Love, schwappt Acid House ins Vereinigte Königreich. Angesichts immer größer werdender Open-Air-Events sieht die konservative Regierung sich sechs Jahre später zum Criminal Justice Act veranlasst. Damit werden nicht nur die Freiheiten der Raver stark eingeschränkt. Auch Jagd-Gegner oder Umweltaktivisten geraten ins Visier der Behörden. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Jeremy Gilbert, Professor für Cultural Studies, University of East London ***


Bekannt wird das Gesetz wegen einer Passage über Open-Air-Partys, auf denen Musik läuft, die so definiert wird: "Ihr verübt eine Straftat, wenn ihr verstärkte Musik spielt, die Klänge enthält, die vollständig oder zum Teil charakterisiert sind durch die Ausstrahlung einer Abfolge von sich wiederholenden Beats."

Trotz des Widerstandes konservativer Kreise fahren ganze Karawanen aus den Städten zu den großen Open Air-Events aufs Land. Die Konservative Partei (Tories) entdeckt das Thema für sich.

Der Criminal Justice Act soll die Versammlungsfreiheit einschränken und nicht nur die Raver treffen: Aussteiger, die ihr Leben im Wohnmobil verbrachten, sollen ihr Aufenthaltsrecht auf öffentlichen Flächen verlieren. Menschen, die den Neubau von Straßen blockieren oder eine Fuchsjagd stören, müssen mit empfindlichen Strafen rechnen.

Auf der Straße demonstriert eine bunte Mischung gegen den Criminal Justice Act: Hippies mit Dreadlocks, Raver mit bunten Haaren, Umweltaktivisten und Oppositionspolitiker. Nur erfolgreich ist das Bündnis nicht. Trotz drei großer Demonstrationen zwischen Mai und Oktober wird der Criminal Justice Act am 3.11.1994 im britischen Unterhaus verabschiedet.

In diesem Zeitzeichen erzählt Christian Werthschulte:
  • welche Rolle leerstehende Lagerhallen und Fabriken bei den Entwicklungen der neuen Musik-Kultur spielen,
  • wie die BBC dazu beiträgt, dass ein Festival in einem kleinen Dorf in der Grafschaft Gloucestershire aus dem Ruder läuft
  • dass das Gesetz die Free-Festival-Bewegung zerstörte und Musikfestivals kommerzialisiert wurden.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • Jeremy Gilbert, Professor für Cultural Studies, University of East London
  • Simone Fenney, Mitglied der Techno-Crew Spiral Tribe

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Autor: Christian Werthschulte
Redaktion: Carolin Rückl und Matti Hesse

Pilotinnen-Club Ninety-Nines: Frauen erobern den Himmel

Pilotinnen-Club Ninety-Nines: Frauen erobern den Himmel WDR Zeitzeichen 02.11.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 03.11.2099 WDR 5

Am 2. November 1929 gründeten 99 Pionierinnen die internationale Pilotinnenvereinigung Ninety-Nines. Doch bis heute sind Frauen im Cockpit weltweit eine Ausnahme.

Das Logo der Pilotinnenvereinigung Ninety-Nines besteht aus zwei Neunen, die ineinander verschlungen sind. Das symbolisiert Zusammenhalt, denn Vielfalt ist in den Cockpits der Welt ein rares Wort. Genau deshalb gibt es die 99s. Auch heute vergeben ihre Mitglieder weltweit Stipendien, agieren als Mentorinnen, unterstützen den Nachwuchs bei der Ausbildung, bieten Trainings an und werben für den Beruf. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartnerinnen: Andrea Amberge (Langstreckenpilotin, Hubschrauberpilotin, Mitgründerin der deutschen Sektion der 99s); Ute Hölscher (Pilotin einmotoriger Flugzeuge, Fluglehrerin, Vizepräsidentin der deutschen Sektion der 99s) ***


Privatpilotinnen, Berufsfliegerinnen, Raumfahrerinnen - in der Pilotinnenvereinigung Ninety-Nines sind rund 5.000 Frauen miteinander verbunden. Der Club ist ein weltumspannendes Netzwerk mit Hauptsitz in den USA und Teams in China, Finnland, Indien, Kanada, Nepal, Malawi, Marokko, Polen und Kanada. Auch eine deutsche Sektion gibt es.

Gegründet wird der Zusammenschluss in Long Island im Hangar einer Flugschule. 117 Fliegerinnen mit Lizenz sind eingeladen. 99 Pilotinnen erscheinen - daher der Name Ninety-Nines. Unter den Gründerinnen ist auch eine Deutsche. Thea Rasche, eine der berühmtesten Kunstfliegerinnen der Welt. Die 99erinnen vereinen die besten Fliegerinnen jener Zeit.

In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Friedrich:
  • was das Gründungstreffen der 99s mit dem Puderquastenrennen zu tun hat,
  • welche Strecke die 20 teilnehmenden Pilotinnen in neun Tagen absolvieren müssen,
  • wer zur ersten Präsidentin der 99s gewählt wird,
  • wie viele US-Pilotinnen im Zweiten Weltkrieg im Einsatz sind.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Andrea Amberge (Langstreckenpilotin, Hubschrauberpilotin, Mitgründerin der deutschen Sektion der 99s)
  • Ute Hölscher (Pilotin einmotoriger Flugzeuge, Fluglehrerin, Vizepräsidentin der deutschen Sektion der 99s)
  • Wolfgang Behringer, Constance Ott-Koptschalijski: Der Traum vom Fliegen. Zwischen Mythos und Technik. Frankfurt am Main 1991
  • Gertrud Pfister: Fliegen - ihr Leben. Die ersten Pilotinnen. Berlin 1989
  • Ernst Probst: Thea Rasche - The Flying Fräulein. München 2010

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Autorin: Claudia Friedrich
Redaktion: Matti Hesse

Die Besetzung des Autonomen Zentrums "Rote Flora" in Hamburg

Die Besetzung des Autonomen Zentrums "Rote Flora" in Hamburg WDR Zeitzeichen 01.11.2024 14:35 Min. Verfügbar bis 02.11.2099 WDR 5

Wenn über das Hamburger Schanzenviertel berichtet wird, geht es oft um Protest, Krawall – und die Rote Flora. Am 1.11.1989 wird verkündet: "Die alte Flora ist besetzt".

Die Geschichte des Autonomen Zentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel nimmt mit der Besetzung des ehemaligen Theaters am 1.11.1989 ihren Anfang. In der Flora wollen die Besetzer der Utopie einer Herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft näher kommen, indem sie versuchen, sie zu leben. Von Anfang an gibt es Spannungen mit den Behörden. ***Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Schriftliche Stellungnahme der Roten Flora auf WDR-Anfrage, Prof. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler und Extremismusforscher ****


Das Gebäude im Hamburger Schanzenviertel stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es wird ursprünglich als Konzerthaus konzipiert und im Laufe der Zeit als Theater, Varieté, Kino, Lagerhalle und Kaufhaus genutzt. 1988 lässt ein Musical-Produzent das Gebäude bis auf den dekorativen Eingangsbereich abreißen – er will dort ein riesiges Musical-Theater errichten. Gespielt werden soll "Das Phantom der Oper".

Doch Anwohner, Gewerbetreibende und autonome Gruppen wehren sich gemeinsam gegen das Projekt, das ihrer Ansicht nach die Mieten vor Ort in die Höhe treiben würde. Nach zahlreichen Protestaktionen und Anschlägen auf die Baustelle, lassen die Investoren das Projekt fallen.

Diverse Initiativen und Protestgruppen fordern, dass aus den Resten des Flora-Theaters ein Stadtteilzentrum wird. Die Stadt Hamburg erlaubt ihnen die befristete Nutzung und im September 1989 wird die "Rote Flora" offiziell eröffnet. Ab dem 1. November 1989 heißt es dann schließlich: "Die alte Flora ist besetzt". In der Flora will man der Utopie einer Herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft näher kommen, indem man versucht, sie zu leben.

Die Spannungen zwischen Staat und Autonomen nehmen schnell zu. Einer der Höhepunkte der problematischen Beziehung militanter Autonomer zur Gewalt war in Hamburg 2017 während des G20 Gipfels zu erleben, dem Treffen der führenden Wirtschaftsnationen. Es gibt schwere Krawalle, brennende Autos, Plünderungen sowie hunderte verletzte Polizisten und Demonstranten. Polizei und Demoveranstalter geben sich gegenseitig die Schuld, über die Rolle der Roten Flora gibt es unterschiedliche Ansichten.

In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
  • wie die Autonomen der Roten Flora ihre Grundsätze selbst beschreiben,
  • mit welchen Inhalten und Aktivitäten verschiedenste Gruppen die Räume der Roten Flora nutzen,
  • wie die Autonomen zum Einsatz von Gewalt stehen,
  • wie der Verfassungsschutz das gegenseitige Vertrauen der Autonomen untereinander untergräbt,
  • dass auch die Rote Flora das Hamburger Schanzenviertel nicht vor Gentrifizierung schützen kann.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Prof. Armin Pfahl-Traughber, Politikwissenschaftler, Extremismusforscher und ehemaliger Referatsleiter in der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz
  • schriftliche Stellungnahme der Roten Flora zu WDR-Anfrage
  • Prof. Armin Pfahl-Traughber: Linksextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme. Berlin, 2014
  • A.G. Grauwacke: Autonome in Bewegung: Aus den ersten 23 Jahren. Berlin, 2020

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Autorin: Daniela Wakonigg
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Alexander Buske

"König des Wüstenblues": Ali Farka Touré (geboren am 31.10.1939)

"König des Wüstenblues": Ali Farka Touré (geboren am 31.10.1939) WDR Zeitzeichen 31.10.2024 14:50 Min. Verfügbar bis 01.11.2099 WDR 5

Er brachte den Sound Malis in die Welt, wird als Nationalheld und einer der größten Gitarristen aller Zeiten gefeiert. In der Musik sah Touré seine Berufung jedoch nie.

Wie kaum ein anderer Musiker verbindet Ali Farka Touré traditionelle Musik aus seiner Heimat im Norden Malis mit amerikanischem Blues. Er selbst sagt gelegentlich, dass der Blues "eigentlich unsere Musik" sei – und somit aus Afrika stamme. In Europa und Nordamerika wird Ali Farka Touré als König des "Wüsten-Blues" gefeiert und mit Grammys ausgezeichnet. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Hauke Dorsch, Ethnologe und Leiter des Archivs für Musik Afrikas an der Universität Mainz ***


Er ist das zehnte Kind seiner Mutter, aber er ist das einzige, das überlebt: Am 31. Oktober 1939 wird Ali Farka Touré in Mali geboren. Er wächst mit den Liedern der malischen Griots auf, die von den Mythen am Niger erzählen. Seine erste Gitarre, eine Djurkel, baut Ali Farka Touré aus einem Kuhfell und Pferdehaaren und bringt sich selbst das Spielen bei. Zudem lernt er weitere traditionelle Instrumente.

Die afrikanische Musik inspiriert ihn ebenso wie Albert King, Otis Redding, James Brown oder John Lee Hooker. In seinen Liedern setzt Ali Farka Touré die afrikanische Spielart auf moderne Instrumente wie die E-Gitarre um. Mit dem Pariser Label "SonAfric" bringt er mehrere Platten raus. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, über Mali hinaus findet seine Musik erst kaum Beachtung. Seinen weltweiten Durchbruch verdankt er einem Zufall.

Beim Stöbern in einem Pariser Plattenladen gefallen dem BBC-Moderator Andy Kershaw die Farben auf dem Cover eines Touré-Albums. Der Londoner nimmt die Platte mit und stellt Ali Farka Touré in seiner Sendung auf Radio One vor – die Hörer sind begeistert. Der Blues des Maliers passt perfekt zur aufkommenden "World Music"-Welle Ende der 1980er Jahre - der Gitarrist und Sänger wird zum führenden Musiker der Szene. Für sein Album "Talking Timbuktu" erhält Ali Farka Touré seinen ersten Grammy.

Ein gutes Jahrzehnt lang nimmt Ali Farka Touré erfolgreich Platten auf, gibt weltweit Konzerte und lässt sich als König des Wüsten-Blues feiern. Dann sehnt er sich nach Afrika zurück. Er verschenkt seine Djurkel, die er bis dahin immer bei sich hatte, und zieht sich in sein Heimatdorf zurück. Dort stirbt der Musiker im März 2006 mit 66 Jahren.

In diesem Zeitzeichen erzählt Thomas Mau:
  • über den frühen Tod des Vaters,
  • wie er als Teenager von "bösen Geistern" befallen wurde,
  • warum Ali Farka Touré ein Studio in Hollywood kaum ertragen konnte,
  • wie der Musiker sein malisches Dorf "grün" wie die Schweiz machen will.

Das ist unser wichtigster Interviewpartner und die wichtigsten Quellen:
  • Dr. Hauke Dorsch, Ethnologe und Leiter des Archivs für die Musik Afrikas an der Universität Mainz
  • "A visit to Ali Farka Touré"; Regie Marc Huraux; Frankreich ARTE 2000
  • BBC 3 World Routes „Ali Farka Touré Obituary“; Lucy Duran, Andy Kershaw 2006

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Autor: Thomas Mau
Redaktion: Carolin Rückl, Matti Hesse

Frauenärztin und frühe Sexualreformerin: Anne-Marie Durand-Wever

Frauenärztin und frühe Sexualreformerin: Anne-Marie Durand-Wever WDR Zeitzeichen 30.10.2024 14:51 Min. Verfügbar bis 31.10.2099 WDR 5

In der Weimarer Republik kämpft sie gegen das Abtreibungsverbot und gründet später Pro Familia mit: die Ärztin Anne-Marie Durand-Wever, geboren am 30.10.1889 in Paris.

Anne-Marie Durand-Wever engagiert sich als Ärztin schon in der Weimarer Zeit in der Sexualreformbewegung und fordert die Streichung des § 218. Sie führt mit anderen Akteurinnen in der Frauenbewegung Debatten und wird mit zur Wegbereiterin der Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung. *** Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin: Dr. Jessica Bock, Historikerin, Digitales Deutsches Frauenarchiv ***


Anne-Marie Durand-Wever sagt bereits Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine Frau sollte immer die Wahl haben, ob sie ihre Schwangerschaft tatsächlich austrägt. Sie gehört zu der ersten Riege von Gynäkologinnen in Deutschland. In einer Zeit, wo nur sehr wenige Frauen zum Studium zugelassen werden.

Anne-Marie Durand-Wever kämpft als Ärztin auch in der Zeit der Weimarer Republik in der Sexualreformbewegung und fordert die Streichung des § 218. Sie führt mit anderen Akteurinnen in der Frauenbewegung Debatten und wird mit zur Wegbereiterin der Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung.

1933 schließen die Nationalsozialisten die politisch engagierte Ärztin wegen ihrer konträren Ansichten über Geburtenkontrolle, Verhütung und Sexualerziehung aus der Reichsschrifttumskammer aus. Ihre Schriften landen auf dem Index.

Im Juni 1945 eröffnet Durand-Wever eine neue Praxis in Berlin und engagiert sich auch wieder ehrenamtlich. 1952 wird sie Mitbegründerin von Pro Familia in Kassel und für zehn Jahre auch Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung.

In diesem Zeitzeichen erzählt Melahat Simsek:
  • welchen positiven Einfluss ihre Geburt als Diplomatenkind auf Anne-Marie Durand-Wevers Leben hat,
  • wie Durand-Wever mehrere Jahre als Assistenzärztin in der Gynäkologie verschiedener Münchner Kliniken tagtäglich hautnah die Auswirkungen des § 218 erlebt,
  • warum Durand-Wever nur ein Jahr nach ihrer Wahl das Amt der Bundesvorsitzenden des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands wieder niederlegt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Dr. Jessica Bock, Historikerin, Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • Regine Wlassitschau, Pro Familia, Frankfurt
  • Anne-Marie Durand-Wever: Als die Russen kamen. Tagebuch einer Berliner Ärztin, unveröffentlichtes Manuskript
  • Atina Grossmann: Juden, Deutsche, Alliierte - Begegnungen im besetzten Deutschland. Göttingen 2012
  • Jutta Buchin: Ärztinnen im Kaiserreich. Charité Berlin 2005

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Autorin: Melahat Simsek
Redaktion: Christoph Tiegel, Frank Zirpins
Technik: Thomas Bleul

Albert von Rothschild: der reichste Mann Europas

Albert von Rothschild: der reichste Mann Europas WDR Zeitzeichen 29.10.2024 14:21 Min. Verfügbar bis 30.10.2099 WDR 5

Albert von Rothschild (geb. am 29.10.1844) wird Oberhaupt der Wiener Linie der jüdischen Bankiersfamilie. Sein Reichtum macht ihn zur antisemitischen Projektionsfläche.

Zu Lebzeiten ist er der reichste Mann Europas. Und gehörte als jüdischer Bankier trotzdem nie ganz zur vornehmen Gesellschaft dazu, wurde vom Adel geschnitten und in der Politik zur antisemitischen Projektionsfläche. *** Das ist unserer wichtigster Interviewpartner: Roman Sandgruber (Historiker, Linz) ***


Die Wurzeln des Hauses Rothschild reichen zurück bis zu Mayer Amschel Rothschild, geboren 1744 in Frankfurt am Main. Eigentlich will er Rabbiner werden, doch der Vater zwingt ihn ins Geschäft, einen kleinen Laden mit angeschlossener Wechselstube. Viel anderes als Handel und Geldwechsel bleibt Juden zu der Zeit nicht übrig. Denn in die Handwerker-Zünfte dürfen sie nicht, Grund und Boden kaufen auch nicht.

Mayer Amschel Rothschild erkennt früh: Die Zukunft des Bankgeschäftes liegt nicht allein in Frankfurt, sondern in Europa. Seine fünf Söhne werden in verschiedenen Ländern tätig. So gründet sein Sohn Salomon 1821 in Wien die Privatbank S. M. v. Rothschild und wird damit zum Begründer des österreichischen Zweigs der Familie. Da Salomons jüngster Sohn am besten mit Geld umgehen kann, wird dieser nach ihm die Geschäfte fortführen: Albert Salomon Freiherr von Rothschild, geboren am 29. Oktober 1844 in Wien.

Albert hat nicht nur ein Händchen für Geld, sondern auch einen seltsamen Kosenamen: aus "Salomon Albert" wird "Salbert". Er ist es, der die Rothschild-Bank zu wahrer Größe bringt. Im Laufe seines Lebens kauft und baut er insgesamt acht Schlössser in Österreich. Sein Reichtum ist unermesslich, doch persönlich ist er bescheiden - und unglücklich. Er stirbt mit 66 Jahren in Wien als gebrochener Mann.

In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
  • wie auf beruflichen Erfolg privates Unglück folgt,
  • mit wem Salbert eine fast verhängnisvolle Affäre eingeht,
  • dass auch Kaiserin Sisi ihr Geld von den Rothschilds anlegen lässt,
  • warum sein Riesen-Palast in Wien eher eine Riesen-Gruft ist,
  • warum mit Salberts Tod der Niedergang des Hauses beginnt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Roman Sandgruber (Historiker, Linz)
  • Sandgruber, Roman: Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses. 2018

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Autor: Heiner Wember
Redaktion: David Rother
Technik: Moritz Raestrup

Erasmus von Rotterdam: Der Fürst der Humanisten

Erasmus von Rotterdam: Der Fürst der Humanisten WDR Zeitzeichen 28.10.2024 14:36 Min. Verfügbar bis 29.10.2099 WDR 5

Erasmus von Rotterdam war einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Mit seinem "Lob der Torheit" eckte der Humanist bei vielen Zeitgenossen an, besonders bei Martin Luther.

"Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand." Das sagt Erasmus von Rotterdam, der bedeutendste Humanist des 16. Jahrhunderts. Er spricht aus Erfahrung, denn er hat selbst rund 150 Bücher geschrieben. Die "Erasmus-Bibel" dient später Martin Luther als Grundlage für seine deutsche Bibel-Übersetzung. *** Das ist unsere wichtigste Quelle: Anton J. Gail: Erasmus von Rotterdam (1974) ***


Es sind die letzten Jahre vor der Reformation. Noch spricht in ganz Europa niemand von Martin Luther. Alle sprechen von Erasmus von Rotterdam. In England, in Frankreich, in Italien, vor allem auch in Spanien ist er das Idol der studierenden Jugend. Keiner weiß wie er, das neue Medium Buchdruck zu nutzen.

Damit Europa zurückfinde "ad fontes", zu seinen besten Quellen, erarbeitet er die großen Werke der Antike, die christlichen und die heidnischen, fast alle neu und lässt sie drucken. So auch das Neue Testament in jener griechischen Urfassung, auf die sich Luther stützen wird. Trotzdem bleibt Erasmus gegenüber Luther, mit dem er eine Korrespondenz unterhält - und der ihn als glitschigen Aal, stinkende Wanze und Hornisse beschimpft -, auf Distanz: Dessen aggressives Vorgehen in Fragen der Religion ist ihm zuwider.

Erasmus wird als unehelicher Sohn eines Priesters in Rotterdam geboren. Seine Eltern sterben an der Pest. Danach wird der 16-Jährige unter die Vormundschaft gebildeter Geistlicher gestellt. Später wird er Priester, verbringt eine Zeit im Kloster und studiert anschließend Theologie.

In seinen Schriften gibt Erasmus von Rotterdam seinen Zeitgenossen Ratschläge für richtiges Benehmen. 1509 schreibt er angeblich in nur einer Woche seine Satire "Lob der Torheit", die anschließend das ganze gebildete Europa begeistert. Hierin stellt Erasmus die ironische These auf, dass nur die Dummheit die Menschen glücklich machen kann - um dabei die Vernunft zu preisen. 

Erasmus, der auch "Fürst der Humanisten" genannt wird, gilt als der gescheiteste Mensch seiner Zeit. Im Juli 1536 stirbt Erasmus von Rotterdam in Basel. Er hinterlässt rund 150 Bücher.

In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
  • Wie sich Erasmus von Rotterdam Herrscher und Päpste geschickt zum Freund macht,
  • warum Erasmus sogar christliche Fürsten verspotten kann,
  • von seiner Meinung zu Krieg - und wieso diese aktueller denn je ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • Anton J. Gail: Erasmus von Rotterdam (1974)
  • Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit - deutsche Übersetzung lateinischer Lektüre. Reclam
  • Erasmus von Rotterdam: Die Klage des Friedens. Hrsg. und übers. von Brigitte Hannemann. Nachwort von Stefan Zweig. 2017

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Autor: Hans Conrad Zander
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Annett Bastian

Wildschwein ehrenhalber: Der Naturforscher Heinz Meynhardt

Wildschwein ehrenhalber: Der Naturforscher Heinz Meynhardt WDR Zeitzeichen 27.10.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 28.10.2099 WDR 5

Sein Vorbild ist die Forscherin Jane Goodall. Jahrelang begleitet Heinz Meynhardt aus nächster Nähe eine Wildschweinrotte und gewinnt sensationelle Einblicke in deren Leben. Er stirbt am 27.10.1989.

Vom Elektromeister zum Doktor der Agrarwissenschaften: Heinz Meynhardt erwirbt im Zusammenleben mit Wildschweinen so umfangreiche Kenntnisse, dass er ohne Abitur und Studium an der Universität Leipzig seine Dissertation einreichen kann. *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Hubertus Ostermann (Freund Meynhardts); Heinz Meynhardt: Schwarzwildreport. ARD Archiv; Heinz Meynhardt: Mein Leben unter Wildschweinen. ARD Archiv; Heinz Meynhardt: Wildschweingeschichten. ARD Archiv ***


Bevor Heinz Meynhardt der Chef einer Wildschweinrotte wird, führt er ein bürgerliches Leben im Städtchen Burg in der Nähe von Magdeburg. Zu DDR-Zeiten ist er gelernter Elektromeister und Antennenbauer.

Die Familie Meseberg in Burg fährt jeden Tag um die gleiche Zeit zu einem Militär-Stützpunkt, um Essenreste für ihre Hausschweine abzuholen. Auf dem Weg begegnet ihnen eine Wildschweinrotte. Die wilde Verwandtschaft bekommt auch etwas vom Futter.

Heinz Meynhardt ist fasziniert und will noch mehr über die schlauen Tiere erfahren. Mutig und mit Mais bewaffnet macht er sich zweimal täglich auf den Weg in den Wald, um sich bei den Schwarzkitteln beliebt zu machen.

Die Rotte akzeptiert ihn. Er ist der erste Forscher in Europa, den die Bachen beim Wurf ihrer Frischlinge dulden. Er sitzt am Wurfkessel und prägt die Frischlinge damit auch auf sich. Der Nachwuchs hört jetzt neben den Prägelauten der Mutter auch seine Stimme.

Meynhardt erwirbt im Zusammenleben mit den Borstenviechern so umfangreiche Kenntnisse, dass er ohne Abitur und Studium an der Universität Leipzig seine Doktorarbeit einreicht. Die Arbeit wird auf Herz und Nieren geprüft. Meynhardt bietet allem Paroli und bekommt den Doktor-Titel. Der Elektromeister Heinz Meynhardt ist Doktor der Agrarwissenschaften.

Kurz vor der Wende bricht Meynhardt bei einer Veranstaltung in Frankreich am 27. Oktober 1989 mit nur 54 Jahren am Rednerpult tot zusammen - Hirntumor. Der Freundeskreis "Heinz Meynhardt" setzt ihm in Burg ein Denkmal.

Eine lebensgroße Skulptur neben Wildschweinfiguren und einem Findling mit Gedenkplatte, auf der steht: "Wildschwein ehrenhalber".

In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
  • von den vier goldenen Regeln für Begegnungen mit Wildschweinen,
  • wie Heinz Meynhardt zum Oberhaupt der Wildschweinrotte wird,
  • welche Rolle Jane Goodall bei Meynhardts Forschungen spielt,
  • vom einzigen Grund, warum Wildschweine nicht schreiben können,
  • vom schwierigen Verhältnis Meynhardts zu den Keilern.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Hubertus Ostermann, Freund Meynhardts
  • Heinz Meynhardt: Schwarzwildreport. ARD Archiv.
  • Heinz Meynhardt: Mein Leben unter Wildschweinen. ARD Archiv.
  • Heinz Meynhardt: Wildschweingeschichten. ARD Archiv.
  • Heinz Meynhardt: CD - Die Sprache des Schwarzwildes

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Autorin: Martina Meißner
Redaktion: Frank Zirpins

Karl der Große Britanniens: König Alfred von Wessex

Karl der Große Britanniens: König Alfred von Wessex WDR Zeitzeichen 26.10.2024 15:52 Min. Verfügbar bis 27.10.2099 WDR 5

Als er am 26.10.899 stirbt, hat er die Wikinger bezwungen und Britannien geeint. Kein anderer Brite wird "der Große" genannt. Dabei sollte Alfred gar nicht König werden.

Der heutige König Charles III. ist tatsächlich ein entfernter Nachfahre: Alfred der Große hat im neunten Jahrhundert die Wikinger besiegt - und damit die Grundlage für das Vereinigte Königreich gelegt. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Stephan Bruhn (German Historical Institute, London) und Dominik Waßenhoven (Universität Köln) ***


Sein genaues Geburtsdatum ist nicht überliefert. Irgendwann im Jahr 848 oder auch 849 kommt Alfred zur Welt, als Sohn des Westsachsenkönigs Æthelwulf und dessen erster Frau Osburga. Doch Alfreds Geschichte beginnt eigentlich schon Jahrzehnte vorher: Mit dem Überfall einer kleinen, fremdartigen Flotte furchterregender Kerle auf England - dem Sturm der Wikinger auf das Kloster Lindisfarne.

55 Jahre nach dem Überfall wird Alfred geboren. Als er mit 20 Jahren König der West-Sachsen wird, ist Britannien in einer gefährlichen Krise. Die Wikinger sind inzwischen so mächtig, dass unter ihren Schwertern drei der vier Reiche Britanniens am Boden liegen. Aber sie kommen mittlerweile nicht mehr zum Plündern aus Skandinavien, sondern sind in England, Irland und Frankreich aktiv. Das macht sie angreifbar.

Die Schlacht von Edington führt 878 schließlich zur Wende. Alfred kann die Wikinger überraschend schlagen. Es ist der Anfang vom Ende des ersten Wikingerzeitalters. Und der hauchdünne, zarte Beginn einer Entwicklung, aus der später ein geeinigtes Großbritannien hervorgehen wird. Alfred stirbt vorher, am 26. Oktober 899, mit 50 oder 51 Jahren.

In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
  • was Alfred der Große und Karl der Große gemeinsam haben,
  • warum die Wikinger als brutale Gestalten in die Geschichtsbücher eingegangen sind,
  • dass Alfred eigentlich ein anderer Weg vorbestimmt war,
  • was die Gruppe Abba mit Charles III. zu tun hat.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Stephan Bruhn (German Historical Institute, London)
  • Dominik Waßenhoven (Universität Köln)
  • Simon Keynes, Michael Lapidge: Asser’s Life of King Alfred and other contemporary sources. London 1983.
  • Dorothy Whitelock (Hrsg.): English Historical Documents. Band 1. London 1955.

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Autor: Wolfgang Meyer
Redaktion: Carolin Rückl und Frank Zirpins

John Peel: Der Radio-DJ, der unbekannte Bands zu Stars machte

John Peel: Der Radio-DJ, der unbekannte Bands zu Stars machte WDR Zeitzeichen 25.10.2024 14:44 Min. Verfügbar bis 26.10.2034 WDR 5

Jimi Hendrix, David Bowie und The White Stripes: Sie alle hat der legendäre britische Radio-DJ John Peel (Todestag 25.10.2004) entdeckt oder bekannt gemacht.

In den BBC-Musiksendungen von John Peel ist alles möglich: Auf Reggae folgt Weltmusik, Folk, Punk, Rock oder ein experimentelles Stück aus dem 19. Jahrhundert. Rund vier Jahrzehnte spielt Peel auf Radio One was ihm gefällt, Playlisten und Marketingkampagnen interessieren ihn nicht. So fördert John Peel Popgrößen wie David Bowie und Indie-Stars wie Pulp und The Smiths. Für sein Engagement wird er sogar von der Queen geehrt. *** Für dieses Zeitzeichen haben wir unter anderem gesprochen mit: Louise Kattenhorn, BBC-Redakteurin ***


Geboren wird der spätere BBC-Starmoderator als Robert Parker Ravenscroft 1939 in der Nähe von Liverpool. Mit 21 Jahren schickt ihn sein Vater, ein Baumwollhändler, zur Ausbildung in die USA. Doch John wird schnell klar, dass ihm Musik wichtiger ist als Baumwolle. Das bringt ihn zum Radio, wo er nachts Musiksendungen moderiert.

1965 kehrt er nach Großbritannien zurück und arbeitet beim illegalen Piratensender Wonderful Radio London. Um unentdeckt zu bleiben, ändert er seinen Nachnamen in Peel. Dann holt ihn die BBC für den neu gegründeten Jugendsender Radio One – und seine Karriere nimmt Fahrt auf.

John Peel begeistert mit seiner ungewöhnlichen Auswahl abseits des Mainstreams bald eine große Fangemeinde. Auch Plattenlabels und Talentscouts vertrauen auf sein Gespür. Nur seine Vorgesetzten bringt der Radio-DJ häufiger ins Schwitzen, weil er sich nicht an Vorgaben hält: Als die BBC einen Song der Punkband "The Sex Pistols" auf den Index setzt, weil er sich gegen die Monarchie richtet, spielt Peel ihn trotzdem.

Auf der Suche nach neuen Bands durchstreift John Peel wöchentlich große und kleine Londoner Plattenläden – und hört sich unzählige Demo-Bänder an. Legendär sind seine "Peel Sessions": Konzerte junger Bands, die live im Radio ausgestrahlt werden. Am 14. Oktober 2004 verabschiedet sich der Moderator in den Urlaub. Es ist seine letzte Sendung: John Peel stirbt am 25. Oktober 2004 in Peru an einem Herzinfarkt.

In diesem Zeitzeichen erzählt Amy Zayed:
  • warum sich John Peel manchmal wünscht, dass gute Bands unbekannt bleiben,
  • dass Königin Elizabeth II. John Peel einen Orden für seine Verdienste für die Popmusik verleiht,
  • warum ein Moderator heute nicht mehr eine solche Verbindung zu Hörern aufbauen kann wie seinerzeit John Peel,
  • wie nach seinem Tod Vorwürfe über Affären mit minderjährigen Teenagern seinem Image schaden.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • John Peel, O-Töne (Archiv),
  • Louise Kattenhorn, BBC-Redakteurin
  • Peter Flore, Redaktionsleiter WDR Rockpalast

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Unser Hör-Tipp: "USA - Der Riss"
Am 5. November 2024 wird bei den US-Präsidentschaftswahlen nicht nur über den nächsten Präsidenten, sondern auch über die demokratische Entwicklung des Landes entschieden. Vieles deutet darauf hin, dass diese je nach Gewinner sehr unterschiedlich verlaufen könnte. Dabei spielt der tiefe Riss, der die US-Gesellschaft durchzieht, eine wichtige Rolle. Die Podcastserie "USA - Der Riss" hört Ihr überall, wo es Podcasts gibt und als Download in der ZDF-Mediathek.

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Autorin: Amy Zayed
Redaktion: Frank Zirpins
Technik: Annett Bastian

Werner Seelenbinder: Ein Ringer gegen das NS-Regime

Werner Seelenbinder: Ein Ringer gegen das NS-Regime WDR Zeitzeichen 24.10.2024 14:43 Min. Verfügbar bis 25.10.2099 WDR 5

24.10.1944: der Ringer und Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder wird hingerichtet. Wer steckt hinter der Legende, die im Osten verklärt, im Westen fast vergessen wurde?

Nach seinem Tod wird Werner Seelenbinder zur Legende - aber nur im Osten, wo seine Biografie verklärt wird. Im Westen gerät er in Vergessenheit. Zu Lebzeiten ist er erfolgreicher Ringer und Verbindungsmann für die kommunistische Sache in Europa. *** Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin: Jutta Braun (Historikerin) ***


Werner Seelenbinder wird 1904 in Stettin geboren, zieht dann mit der Familie nach Berlin. Dort betreibt die Mutter einen Krämerladen, während der Vater bald in den Ersten Weltkrieg zieht. Seelenbinder ist früh auf sich selbst gestellt.

Das Nachkriegsleben lässt Seelenbinder keine Zeit, einen Beruf zu erlernen. Mit harter körperlicher Arbeit hält er sich und seine Familie über Wasser. Dabei entdeckt er sein Talent fürs Ringen. Aus dem Arbeiterkind Werner Seelenbinder wird ein Arbeitersportler. Besuche in der Sowjetunion festigen seine politischen Überzeugungen und Seelenbinder tritt in die Kommunistische Partei Deutschlands ein. 1933 erringt er seinen ersten deutschen Meistertitel, verweigert bei der Siegerehrung aber den Hitlergruß.

Seelenbinder ist erfolgreicher Ringer und gleichzeitig Verbindungsmann für die kommunistische Sache in Europa. Er nutzt seine Reisen zu Wettkämpfen ins europäische Ausland, um wichtige Papiere zu schmuggeln und zu überbringen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs intensiviert er seine Untergrundarbeit - und wird 1942 verhaftet. 33 Monate lang versucht die Gestapo, Informationen über die Arbeit des kommunistischen Untergrunds aus ihm herauszuprügeln. In Potsdam wird er schließlich im Eilverfahren zum Tod durch das Fallbeil verurteilt und am 24. Oktober 1944 hingerichtet.

In diesem Zeitzeichen erzählt Burkhard Hupe:
  • warum Seelenbinder in der DDR zur Legende wird,
  • was er mit der Widerstandsgruppe um Robert Uhrig zu tun hat,
  • dass es bis heute in der russischen Ringer-Sprache den Wurf "Seelenbinder" gibt,
  • warum Seelenbinder nie geheiratet hat,
  • und warum er nicht als Märtyrer sterben wollte.

Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin und die wichtigsten Quellen:
  • Jutta Braun, Historikerin am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam,
  • Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Neukölln. Berlin 1990.
  • Friedel Schirm: 33 Monate. Erinnerungen an Werner Seelenbinder. Berlin 1984.
  • Walter Radetz: Der Stärkere. Ein Buch über Werner Seelenbinder. Berlin 1962.
  • Film "Einer von uns" (Regie: Helmut Spieß). DEFA-Studio für Spielfilme 1959/60.

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Die Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Burkhard Hupe
Redaktion: Matti Hesse

Göbekli Tepe: ein Social Hub der Jungsteinzeit

Göbekli Tepe: ein Social Hub der Jungsteinzeit WDR Zeitzeichen 23.10.2024 13:29 Min. Verfügbar bis 24.10.2099 WDR 5

Ein deutscher Archäologe macht am 23.10.1994 im Südosten der Türkei eine bedeutende Wiederentdeckung: ein Monumentalbau, viel älter als Stonehenge oder die Pyramiden.

Ein einsamer Maulbeerbaum, mitten auf einem Hügel. Göbekli Tepe ist ein perfektes Fotomotiv. Doch der Heidelberger Archäologe Klaus Schmidt sieht mehr in dem Hügel - und lässt graben. Dabei wird klar: Er birgt eine Sensation. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Jens Notroff (Archäologe und Prähistoriker) und Klaus Schmidt (Entdecker von Göbekli Tepe) ***


Göbekli Tepe - diesen Namen geben irgendwann in jüngerer Zeit die einheimischen Bauern dem Hügel. "Bauchiger Berg" bedeutet das, oder "Berg mit Nabel" - und er sieht aus der Ferne tatsächlich aus wie ein Bauchnabel.

Wie auf einer Kitschpostkarte steht mitten auf dem Hügel ein einsamer Maulbeerbaum, an dem hunderte kleiner bunter Stoffstreifen im Wind wehen: Geheime Wunschbändchen der einheimischen Frauen.

Anfangs ragen Steinbrocken aus dem Feld heraus, an denen sich die Bauern abmühen. Dabei sind sie nicht zimperlich. Die Brocken sind beim Pflügen im Weg und sollen aus dem Weg geschafft werden.

Der Heidelberger Archäologe Klaus Schmidt sieht mehr in dem Hügel - und lässt graben. Wenige Wochen nach Beginn der Ausgrabungen ist klar: Der Hügel von Göbekli Tepe birgt eine Sensation. Die Monumentalität dieses Platzes erwartet man nicht für die Zeit des zehnten Jahrtausends vor Christus, als die Menschen noch auf der Stufe von Jäger und Sammler-Kulturen sind und gerade erst beginnen, die sesshafte und nahrungsproduzierende Lebensweise zu erlernen.

Jüngst wurden Überreste von Wohngebäuden gefunden, mit zahlreichen Steingefäßen, Feuerstein-Werkzeugen, verkohlten Wildsamen und Gräbern unter den Fußböden der Wohnhäuser. Göbekli Tepe ist demnach kein reiner Kultplatz, sondern auch ein Siedlungsplatz. Und zwar von der ersten Phase an.

In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
  • wer vor etwa 12.000 Jahren in Mesopotamien die ersten Monumentalbauten der Menschheit errichtet,
  • warum die Bauern mit ihren Versuchen scheitern, die aus den Äckern ragenden Steinbrocken zu entfernen,
  • welches Grundnahrungsmittel seine Ur-Heimat in der Region um Göbekli Tepe hat,
  • was die Darstellungen von zähnefletschenden Raubtiereßn und kopflosen Männer bedeuten könnten.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • O-Ton Jens Notroff, Archäologe und Prähistoriker, Deutsches Archäologisches Institut.
  • O-Ton Klaus Schmidt †, Entdecker von Göbekli Tepe, Deutsches Archäologisches Institut (WDR Archiv)

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autorin: Marfa Heimbach
Redaktion: Christoph Tiegel/Matti Hesse
Technik: Sarah Fitzek

Jean-Paul Sartre lehnt den Nobelpreis ab (am 22.10.1964)

Jean-Paul Sartre lehnt den Nobelpreis ab (am 22.10.1964) WDR Zeitzeichen 22.10.2024 14:46 Min. Verfügbar bis 23.10.2099 WDR 5

Der Kommunist Sartre will sich nicht von einer bürgerlichen Institution auszeichnen lassen, lehnt Preis und Geld ab. Jahre später kommt wieder Bewegung in den Skandal.

"Der diesjährige Nobelpreis für Literatur ist dem französischen Schriftsteller Jean-Paul Sartre zuerkannt worden", teilt die Königlich-Schwedische Akademie am 22. Oktober 1964 in Stockholm mit. Doch statt Freude und Lobreden folgt ein Eklat: Sartre lehnt die Auszeichnung ab. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Hans-Martin Schönherr-Mann, Professor für politische Philosophie an der Universität München


Es ist ein Skandal, als Jean-Paul Sartre am 22. Oktober 1964 den Nobelpreis für Literatur ablehnt. Er selbst sagt dazu, er sehe nicht ein, dass ihn fünfzig ältere Herren, die schlechte Bücher schreiben, krönen sollten.

Sartre schreibt dem Sekretär der Schwedischen Akademie, dass er nicht auf der Liste möglicher Nobelpreiskandidaten erscheinen möchte. Dies sei "keine Stehgreifentscheidung" schreibt Sartre acht Tage vor der Bekanntgabe. Der Sekretär aber weilt im Urlaub. Die Entscheidung der Jury ist bereits gefallen.

Am 22. Oktober 1964 ist es so weit: Die Nachricht vom neuen Literaturnobelpreisträger Jean-Paul Sartre geht um die Welt. Wenig später folgt ein weiteres Kommuniqué aus Stockholm mit der Bekanntgabe von Sartres Ablehnung.

Sartre ist sich bewusst, dass 250.000 Kronen Preisgeld, damals umgerechnet 220.000 DM, viel Geld sind. Man hätte es, wie er eingesteht, für die Unterstützung von Bewegungen und Organisationen nutzen können. Er denkt da unter anderem an das Londoner Apartheid-Komitee.

Elf Jahre später hat Jean-Paul Sartres spektakuläre Ablehnung des Literaturnobelpreises ein Nachspiel. Presseagenturen berichten, dass eine briefliche Anfrage bei der Nobelstiftung eingegangen sei, ob er das Preisgeld doch noch erhalten könne.

Sartre dementiert das nachdrücklich und hat den Brief wohl auch nicht selbst geschrieben. Das Geld ist den Statuten der Akademie entsprechend auch längst zurück in die Stiftung geflossen.

Wenig später unterläuft Sartre seine Devise, Ehrungen durch Institutionen prinzipiell auszuschlagen. 1976 nimmt er die Ehrendoktorwürde der hebräischen Universität Jerusalem für sein Engagement gegen den Antisemitismus an.

In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:
  • Wie die Jury-Mitglieder der Schwedischen Akademie den Existenzialismus sehen,
  • wie sehr der Kalte Krieg in die Entscheidungen Sartres und des Nobelpreis-Komitees hineinspielt,
  • warum Sartre, seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir und Sartres Verleger, Robert und Claude Gallimard, gemeinsam in einem Auto die Flucht antreten,
  • warum Jean-Paul-Sartre einen Ruf als "großer Nein-Sager" hat.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Hans-Martin Schönherr-Mann, Professor für politische Philosophie an der Universität München
  • Hans-Martin Schönherr-Mann: Sartre. Philosophie als Lebensform. München 2005
  • Annie Cohen-Solal: Sartre 1905-1980. Aus dem Französischen von Eva Groepler. Reinbek 1988
  • Deidre Bair: Simone de Beauvoir. Eine Biographie. Aus dem Amerikanischen von Sabine Lohmann, Uda Strätling und Sonja Hauser. München 1990
  • Jean-Paul Sartre: Die Wörter. Aus dem Französischen von Hans Mayer. Frankfurt am Main 1980
  • Teresa Nentwig: Ein Preis wird vergeben, und ich lehne ihn ab. Jean-Paul Sartre, der Philosoph der Freiheit, nimmt sich die Freiheit, den Literaturnobelpreis abzulehnen. Transcript Verlag

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Autor: Christoph Vormweg
Redaktion: Carolin Rückl und Frank Zirpins
Technik: Christine Reinartz

Hitler und Mussolini: Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler

Hitler und Mussolini: Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler WDR Zeitzeichen 21.10.2024 14:27 Min. Verfügbar bis 22.10.2099 WDR 5

Gehen oder bleiben? Bis Ende 1939 mussten sich die deutschsprachigen Südtiroler entscheiden: Umsiedeln ins Nazi-Reich oder ihre Kultur aufgeben. Viele hat es zerrissen.

Im Oktober 1939 schließen Adolf Hitler und Benito Mussolini Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler. Die deutschsprachigen Bewohner müssen entscheiden, ob sie ins Deutsche Reich auswandern oder bleiben und dann auf ihre Kultur und Sprache verzichten. ***Das ist unsere wichtigste Quelle: Eva Pfanzelter: Option und Gedächtnis. Erinnerungsorte der Südtiroler Umsiedlung 1939. Bozen 2015.***


Im Juni 1939 beschließen Rom und Berlin die Umsiedlung so genannter Volksdeutscher aus der zu Italien gehörenden Provinz Südtirol. Auch Ladiner können optieren. Sie sind eine ethnische Randgruppe mit eigener Sprache, hauptsächlich in den Tälern der Dolomiten, aber auch im Trentino und in Venetien.

Am 21. Oktober 1939 werden drei Verträge geschlossen, sie regeln genaue Details. Die betroffenen Menschen, zwischen 200.000 und 250.000, bekommen Zeit bis zum Jahresende, um sich zu entscheiden: bleiben oder gehen.

Dableiben oder gehen - für viele Südtiroler ist das eine Wahl, die sich innerlich zerreist. Man kann sich für Deutschland entscheiden, fürs "Volkstum", wie das damals heißt, fürs Nazi-Reich - und verliert Haus, Hof und die Heimat.

Oder man entscheidet sich fürs Bleiben, was als Bekenntnis zur italienischen Nation gilt. Dann muss man die Muttersprache aufgeben, Kultur und Traditionen verleugnen. Die große Mehrheit, 86 Prozent, stimmt für Abschied und ein neues Leben auf der anderen Seite des Brenners.

Deutschland lockt mit einer besseren wirtschaftlichen Perspektive. Man verspricht den deutschsprachigen Südtirolern das Blaue vom Himmel.
Die meisten, die gehen, kommen aber grad mal bis Innsbruck oder Kufstein, vielleicht noch nach Niederösterreich. Junge Männer werden gleich von der Wehrmacht geholt. Familien bringt man in eilends gebauten Südtirolersiedlungen unter. Und manchmal tatsächlich auf einem Hof. Gedanken an die Vorbesitzer schieben die Umsiedler beiseite. Die an vertriebene Juden auch.

In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:
  • welche Rolle die Armut und das Höferecht in Südtirol bei der Umsiedlung spielen,
  • welche Landstriche als künftige Siedlungsgebiete in den Köpfen der Umsiedler herumgeistern,
  • weshalb viele Südtiroler Angst vor der Italianisierung haben,
  • wie es den Menschen, die sich eigentlich für das Deutsche Reich entschieden haben, nach dem Stopp der Umsiedlung ergeht.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Eva Pfanzelter: Option und Gedächtnis. Erinnerungsorte der Südtiroler Umsiedlung 1939. Bozen 2015.
  • Günther Pallaver, (Hg.): Einmal Option und Zurück. Die Folgen der Aus- und Rückwanderung für Südtirols Nachkriegsentwicklung. Bozen 2019.

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Autorin: Almut Finck
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Annette Skrzydlo und Sarah Fitzek

Dr. Sommer beantwortet den ersten Bravo-Brief (am 20.10.1969)

Dr. Sommer beantwortet den ersten Bravo-Brief (am 20.10.1969) WDR Zeitzeichen 20.10.2024 14:37 Min. Verfügbar bis 21.10.2099 WDR 5

Ob schwanger vom Küssen oder zu viele Schamhaare: Sexualtherapeut Martin Goldstein nimmt ernst, was Jugendliche umtreibt - und bringt der Bravo eine Millionenauflage.

Unter dem Titel "Was Dich bewegt" beantwortet Dr. Sommer in der Jugendzeitschrift "Bravo" 1969 zum ersten Mal Fragen der Teenager zu Liebe und Sex. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung an der Universität Merseburg. ***


"Sprechstunde bei Dr. Jochen Sommer: Was dich bewegt. Ein Mann von heute spricht mit den'Bravo'-Lesern über ihre Probleme und Sorgen."

Der "Mann von heute" heißt eigentlich Martin Goldstein - und er ist nicht allein. Mit einem dreiköpfigen Team beantwortet der Psychotherapeut aus Düsseldorf so dringliche Fragen wie "Kann man vom Küssen schwanger werden" oder "Ist Onanie schädlich?". Die "Bravo" hat zwar schon vorher eine Aufklärungsrubrik, doch die kommt bei den Jugendlichen nicht an. Sie erhält kaum noch Leserpost.

Goldstein dagegen weiß, wie sein Publikum tickt: Der studierte Mediziner arbeitet in einer Beratungsstelle für Jugendliche, spricht immer wieder mit Schulklassen über Liebe und Sex und schreibt Aufklärungsbücher.

Als die "Bravo" ihn einlädt die Rubrik zu schreiben, ist Martin Goldstein bereit. Die Antworten von ihm kommen an. Von dem Tag an kommen pro Monat 3.000 bis 5.000 Briefe. In den nächsten 15 Jahren avanciert Goldstein unter dem Pseudonym "Dr. Sommer" zum "Aufklärer der Nation".

Obwohl er durch seine "Sprechstunde" für eine rasante Auflagensteigerung sorgt, mag der seriöse Dr. Goldstein die "Bravo" nicht besonders: Das Umfeld aus Kommerz und Starkult bereitet ihm von Anfang an Unbehagen. Er schreibt unter Pseudonym, weil er sich um seinen Ruf sorgt. Doch Goldstein weiß eben auch, dass er auf diesem Weg sehr viele Jugendliche erreichen kann und denen möchte er helfen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:
  • wie "Dr. Sommer" die Jugendlichen einbezieht und so ihr Vertrauen gewinnt,
  • warum Martin Goldstein seine eigene Sexualität als Heranwachsender als Last und nicht Lust erlebt,
  • unter welch unüblichen Bedingungen Martin Goldstein erstmals in seinem Leben eine nackte Frau sieht,
  • welche abenteuerlichen Behauptungen Sittenwächter gegen die Liberalisierung der Sexualaufklärung verbreiten,
  • über welche Fragen das Team herzhaft lachen muss, sie aber trotzdem ernsthaft beantwortet,
  • warum der Kölner Autor Erwin In het Panhuis von einigen Antworten des Beraterteams irritiert ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Martin Goldstein im Deutschlandfunk-Archiv.
  • Heinz-Jürgen Voß, Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung an der Universität Merseburg.
  • Heinz-Jürgen Voß: Einführung in Sexualpädagogik und Sexuelle Bildung: Basisbuch für Studium und Weiterbildung. Stuttgart 2023.
  • Erwin In het Panhuis: Aufklärung und Aufregung: 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO. Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2012

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Autorin: Christiane Kopka
Redaktion: Carolin Rückl und Frank Zirpins
Technik: Theo Kramer

Eine geheime Hochzeit verändert Spanien: Isabella und Ferdinand

Eine geheime Hochzeit verändert Spanien: Isabella und Ferdinand WDR Zeitzeichen 19.10.2024 14:30 Min. Verfügbar bis 20.10.2099 WDR 5

Eine Prinzessin ohne Macht, aber mit viel Machtinstinkt. Ein verliebter Thronfolger im benachbarten Königreich: Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón feiern am 19.10.1469 eine folgenreiche Hochzeit...

Ferdinand und Isabella betrachten die Durchsetzung der religiösen Einheit als eine ihrer zentralen Aufgaben, was zur Verabschiedung des Alhambra-Edikts von 1492 führt. Dieser Erlass zwingt die verbliebenen Mauren und die jüdische Bevölkerung, entweder zum Christentum zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Damit führt er zu einer massiven Verfolgung, die die gesellschaftliche und kulturelle Landschaft Spaniens tiefgreifend verändert. *** Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin: Birgit Aschmann, Historikerin


Was wie ein unbedeutendes Ereignis anmutet, ist ein historisch bedeutsamer Schritt in der Geschichte Spaniens: Die heimliche Hochzeit von Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien im Jahr 1469 ist der Beginn einer entscheidenden politischen Allianz, die die Geschicke Spaniens nachhaltig beeinflusst.

Im Schutz der Nacht schleicht sich der 17-jährige Ferdinand über die Grenze von Aragon nach Kastilien, um die ein Jahr ältere Isabella zu heiraten.

Dabei geht es ihnen weniger um Romantik als um eine strategische Allianz: Die beiden jungen Monarchen vereinen in dieser Nacht nicht nur ihre Territorien, sondern legen auch den Grundstein für ein geeintes Spanien, das den Weg für die Reconquista und die spätere europäische Entdeckung Amerikas ebnet. Die Vereinigung führt zu einer Stärkung der monarchischen Macht - und zu bedeutenden politischen Veränderungen.

Die "Katholischen Könige" regieren fortan mit Entschlossenheit und einem klaren Machtanspruch, der die Geschichte der Neuen Welt für immer verändert und ein ambivalentes Erbe hinterlässt.

In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Katzer:
  • Wie Ferdinand und Isabella die Rückeroberung der iberischen Halbinsel als ihre wichtigste Aufgabe betrachten und welche Bedeutung dies für ihre Herrschaft hat,
  • wie die Vertreibung der Juden und Mauren einen dramatischen Verlust an kulturellem und wirtschaftlichem Wissen für Spanien zur Folge hat,
  • wie die Heiratsallianz die Grundlage für die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus schafft und welche Folgen dies für die indigenen Völker hat.

Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin:
  • Birgit Aschmann, Historikerin und Professorin für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität zu Berlin

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Autorin: Herwig Katzer
Redaktion: David Rother

Hennig Brand: Wenn der Stein der Weisen in der Hose brennt

Hennig Brand: Wenn der Stein der Weisen in der Hose brennt WDR Zeitzeichen 18.10.2024 14:40 Min. Verfügbar bis 19.10.2034 WDR 5

Lässt sich etwa aus Pipi Gold machen? Der Alchemist Hennig Brand macht im Jahr 1669 buchstäblich erleuchtende Experimente und entdeckt dabei: das Element Phosphor.

Phosphor hat auch eine dunkle Vergangenheit. Während des Zweiten Weltkriegs wird es in Brandbomben verwendet, die verheerende Zerstörungen anrichten. Heute sind an deutschen Stränden immer wieder Vorfälle zu verzeichnen, bei denen Phosphorreste angeschwemmt werden und Menschen gefährden. ***Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Thomas Richter, Apotheker, Dr. der Germanistik und Medizin-Geschichte


Im Jahr 1669 macht der deutsche Apotheker Hennig Brand eine bemerkenswerte Entdeckung, die die Wissenschaft revolutioniert: Phosphor.

Eigentlich auf der Suche nach dem sagenumwobenen Stein der Weisen - einem Symbol für die Verwandlung unedler Metalle in Gold - experimentiert Brand mit einer wenig einladenden Quelle: menschlichem Urin. Durch eine aufwendige Destillationsmethode schafft er jedoch eine substanzielle, leuchtende Masse, die sich selbst entzünden kann und in der Geschichte der Chemie bis heute eine bedeutende Rolle spielt.

Trotz seiner bemerkenswerten Entdeckung und der ersten Nutzung des Phosphors in der Herstellung von Streichhölzern gerät Brand schnell in Vergessenheit. Sein Name taucht erst viel später wieder auf, dank des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der sich auf die Suche nach dem wahren Entdecker macht.

Die Geschichte Brands ist nicht nur die eines chemischen Fortschritts, sondern auch eine von Intrigen und Missverständnissen, die zeigen, wie eng Licht und Schatten in der Geschichte der Wissenschaft miteinander verbunden sind.

In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
  • Wie der Alchemist mit menschlichem Urin arbeitet, um Gold zu gewinnen, und dabei Phosphor entdeckt,
  • welche spektakulären Lichtphänomene während Brands Experimenten auftreten,
  • und wie sie seine Entdeckung des "kalten Feuers" beeinflussen,
  • was Phosphor mit Düngemitteln zu tun hat,
  • und welche aktuellen Gefahren von Phosphor-Resten an deutschen Stränden ausgehen.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Hermann Peters: Geschichte des Phosphors nach Leibniz und dessen Briefwechsel, Chemiker-Zeitung, Band 26, 1902, S. 1190–1198.
  • Thomas Richter, Apotheker, Dr. der Germanistik und Medizin-Geschichte

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Autor: Marko Rösseler
Redaktion: Christoph Tiegel und Matti Hesse
Technik: Sarah Fitzek

Das geschmuggelte Herz: Todestag von Frédéric Chopin

Das geschmuggelte Herz: Todestag von Frédéric Chopin WDR Zeitzeichen 17.10.2024 14:29 Min. Verfügbar bis 18.10.2034 WDR 5

Frédéric Chopin gilt als Sänger am Klavier - seine Musik vereint Traurigkeit und traumhafte Leichtigkeit. Nach seinem Tod am 17.10.1849 findet das Herz des Komponisten die letzte Ruhe in seiner Heimat Polen.

Frédéric Chopins Leben ist von Krankheit gezeichnet, und sein früher Tod am 17. Oktober 1849, mit nur 39 Jahren beendet ein kurzes, aber intensives künstlerisches Schaffen. In seinen letzten Tagen, erschöpft schwer krank und frustriert verbrennt er seine letzten Manuskripte und Notizen und hinterlässt nur wenige Fragmente. ***Das ist unsere wichtigste Quelle: Eva Gesine Baur: Chopin oder Die Sehnsucht, München 2009.***


Frédéric Chopin, 1810 im polnischen Żelazowa Wola geboren, gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Romantik. Geprägt von Tänzen wie der Mazurka und der Polonaise sind seine Werke tief in der polnischen Volkskultur verwurzelt.

Er schreibt weder Opern noch Sinfonien, doch prägt er die Musikgeschichte nachhaltig. Vor allem seine einzigartigen, feinsinnigen Klavierwerke, die von einer tiefen Emotionalität und einer unvergleichlichen Zartheit geprägt sind. Am besten zur Geltung kommen diese in der Intimität der Pariser Salons.

Chopins musikalische Karriere beginnt früh: Bereits mit sieben Jahren komponiert er seine erste Polonaise. Nach seiner Ausbildung am Warschauer Konservatorium zieht er 1831 nach Paris, wo er den Rest seines Lebens verbringt. In der französischen Hauptstadt findet Chopin nicht nur seine künstlerische Heimat, sondern wird auch von prominenten Zeitgenossen wie Franz Liszt und Robert Schumann geschätzt.

Obwohl Chopin nie nach Polen zurückkehrt, bleibt seine Musik zutiefst von seiner Herkunft geprägt. Seine Werke, darunter die berühmten Nocturnes, Préludes und Etüden, zeichnen sich durch eine intime und oft melancholische Stimmung aus, die seine Sehnsucht nach der Heimat widerspiegelt. Bis zuletzt gilt der Satz des polnischen Dichters Cyprian Kamil Norwid: "Dem Herzen nach ein Pole, dem Talent nach ein Weltbürger". Seine zerbrechliche Gesundheit setzt dem außergewöhnlichen Schaffen eines der größten Komponisten der Romantik viel zu früh ein Ende.

In diesem Zeitzeichen erzählt Hildburg Heider:
  • wieso Chopins Herz nach dessen Tod heimlich von Paris nach Warschau geschmuggelt wird,
  • welche Rolle traditionelle polnische Tänze wie die Polonaise und Mazurka in Chopins Werken spielen, und
  • wie sie seinem Schaffen den unverwechselbaren Charakter verliehen,
  • wie Chopin sich von seinem geliebten Polen verabschiedet, bevor er in die Fremde geht,
  • warum er dabei eine kleine Kiste mit polnischer Erde mitnimmt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • Eva Gesine Baur: Chopin oder Die Sehnsucht, München 2009.
  • Adam Zamoyski: Chopin: Der Poet am Piano, München 2010.
  • Christoph Rueger: Frédéric Chopin: seine Musik – sein Leben, Berlin 2009.

Und das sind unsere Interviewpartner:
  • Alexander Krichel, Pianist
  • Andrzej Sulek, Musikwissenschaftler
  • Evgeni Kissin, Musiker
  • Piotr Rutkowski, Priester
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Redaktion: Frank Zirpins
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Oscar Wilde: Genie mit größtem Witz und tiefster Tragik

Oscar Wilde: Genie mit größtem Witz und tiefster Tragik WDR Zeitzeichen 16.10.2024 14:44 Min. Verfügbar bis 17.10.2099 WDR 5

Ein wirklich witziger Schriftsteller, ein Dandy, ein Rebell im prüden viktorianischen England: Am 16.10.1854 wird Oscar Wilde geboren.

Oscar Wilde ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Ein Schriftsteller, der die Wörter tanzen lässt wie ein Feuerwerk die Funken. ***Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Norbert Lennartz, Professor für Anglistik, Universität Vechta***


Oscar Wilde stammt aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus, die Mutter ist eine Individualistin, sie nennt sich selbst "Speranza", das heißt Hoffnung. Sie hat literarische Ambitionen, unterhält einen Salon und liebt extravagante Kostüme.
In ihrem Salon begegnet der junge Oscar Künstlerinnen und Schriftstellern. Er studiert zunächst in Dublin, dann in Oxford. Ab 1887 entstehen seine literarischen Meisterwerke: Etwa seine Theaterstücke "Salomé", "Ein idealer Gatte" und "Bunbury - Ernst sein ist alles". Wilde schreibt Essays und sein berühmtes Buch "Das Bildnis des Dorian Gray".

Darin verführt der Dandy Lord Henry Wotton als Mephistogestalt den faszinierend schönen Dorian dazu, seine Jugend rücksichtslos auszuleben und stattdessen sein von einem Maler geschaffenes Bildnis altern zu lassen. Dorian Gray ist bereit, einen hohen Preis für die ewige Jugend zu zahlen. "Dorian Gray" schockiert das damalige England noch auf eine andere Weise: Oscar Wilde lässt im Text Homosexualität mitschwingen.

Er selbst hat zahlreiche Verhältnisse mit jungen Männern. Seine Liebe zu Alfred Lord Douglas aber läutet seinen Untergang ein. Der Vater des Lords beschuldigt Wilde der "Sodomie", wie homosexuelle Handlungen damals diffamierend genannt werden. Oscar Wilde wehrt sich mit einer Ehrenbeleidigungsklage. Ein sinnloses Aufbäumen auf juristisch wackligen Beinen - und erfolglos.

Im Mai 1895 wird Wilde zu zwei Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit wegen "homosexueller Unzucht" verurteilt. Der Genussmensch verschwindet hinter den dicken Mauern des berüchtigten Gefängnisses Reading Gaol. Als Wilde nach zwei Jahren frei kommt, ist er gesundheitlich, finanziell und gesellschaftlich ruiniert, und als Künstler getilgt. Oscar Wilde existiert nicht mehr.

In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:
  • warum Oscar Wilde seine irische Heimat verlässt und nach London zieht,
  • was Oscar Wilde dazu bewegt, die Amerikaner in Sachen Stil und Manieren zu belehren,
  • wie Wilde im "Gespenst von Canterville" die traditionslosen Amerikaner parodiert,
  • wie Wilde in seinem letzten Werk seine Zeit im Zuchthaus verarbeitet.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:

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Autorin: Andrea Klasen
Redaktion: David Rother
Technik: Sarah Fitzek

Die Erfindung des Countdowns am 15.10.1929

Die Erfindung des Countdowns am 15.10.1929 WDR Zeitzeichen 15.10.2024 14:12 Min. Verfügbar bis 16.10.2099 WDR 5

Zum ersten Mal wird 1929 nachweislich ein Countdown verwendet - im Film "Frau im Mond" des deutschen Regisseurs Fritz Lang. Bei echten Raketenstarts wird die Idee dann übernommen...

Countdowns sind aus unserer heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Das laute Rückwärtszählen steigert die Spannung. Erfunden hat den Countdown aber kein Raketenbauer, sondern wahrscheinlich der Regisseur Fritz Lang. Er setzt ihn erstmals in seinem Stummfilm "Die Frau im Mond" ein - als dramaturgisches Mittel. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Daniel Mellem, Autor und Physiker


Im Film "Frau im Mond" von Regisseur Fritz Lang startet die Rakete "Friede" mit einigen Menschen an Bord Richtung Mond. Kurz vor dem Zünden der Triebwerke wird der Bildschirm schwarz und ein Schriftzug erscheint: "Noch zehn Sekunden!" Wenig später dann: "Noch sechs Sekunden!" Ab drei Sekunden vor dem Start ist nur noch die Zahl zu sehen. Am Ende steht in Großbuchstaben das Wort "JETZT". Dann hebt die Rakete ab.

Mit seiner Idee rückwärts bis Null - oder in diesem Fall bis "Jetzt" - zu zählen, erfinden Lang und sein wissenschaftlicher Berater quasi nebenbei einen dramaturgischen Standard, der noch heute bei jedem Raketenstart den Höhepunkt darstellt: Den Countdown. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass der Stummfilm "Frau im Mond" seine Premiere am 15. Oktober 1929 feiert, also fast 15 Jahre vor dem ersten Flug einer Rakete in den Weltraum.

Bis dahin zählte man in der Science-Fiction-Literatur und auf ersten Testgeländen entweder gar nicht oder einfach bis zu einem festgelegten Zeitpunkt. Doch da wisse das Publikum ja nicht, wann es losgeht, meint Lang. Nur wenn rückwärts gezählt wird, könne Spannung erzeugt werden. Wahre Worte.

Damit ist der Siegeszug des Countdowns nicht mehr aufzuhalten. Spätestens 1969 zählt dann die ganze Welt von zehn bis null herunter, als sich von Cape Canaveral aus drei Männer auf den Weg zum Mond machen. Der Rest ist Geschichte.

In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
  • Wie Physiker Hermann Oberth mit seinem Raketenwissen bei der Filmproduktion hilft,
  • was ein Kameramann mit der Erfindung des Countdowns zu tun hat,
  • wie sich die Nationalsozialisten, aber auch unzählige Regisseure, die Sportwelt und letztlich die gesamte Menschheit den Countdown zu Nutze machen,
  • warum ein Countdown technisch sinnvoll ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Daniel Mellem, Autor und Physiker
  • Daniel Mellem: "Die Erfindung des Countdowns" (2020)

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Autor: Ralph Erdenberger
Redaktion: David Rother

Der Kölner in Hollywood: Udo Kier wird 80

Der Kölner in Hollywood: Udo Kier wird 80 WDR Zeitzeichen 14.10.2024 14:40 Min. Verfügbar bis 15.10.2099 WDR 5

Unheimlich schön wirkt er in jeder Rolle, ob als Drag Queen, Dracula oder Hitler: der Schauspieler Udo Kier. Am 14.10.1944 wird er geboren. In einen Bombenangriff hinein.

Er ist einer der wenigen deutschen Hollywood-Stars: Seit den 1960er-Jahren ist Udo Kier in über 250 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Oft glänzt er in skurrilen Nebenrollen. ***Das ist unsere wichtigste Quelle und Empfehlung: Film-Doku "Der wunderbare Udo Kier" in der ARTE-Mediathek***


Udo Kier wird am 14. Oktober 1944 in Köln geboren. Kurz danach gibt es einen Bombenangriff. Auch das Krankenhaus wird getroffen. Kier und seine Mutter haben Glück. Sie werden zwar verschüttet, aber der Mutter gelingt es, sich und den Neugeborenen zu befreien. Kier wächst mit seiner alleinerziehenden Mutter auf.

80 Jahre später hat Udo Kierspe - wie er bürgerlich heißt - Kultstatus als Charakterschauspieler und Trash-Gott.

Zunächst lernt er aber den Beruf des Großhandelskaufmanns und arbeitet bei Ford am Band. Sein Aussehen und die türkisfarbenen, durchdringenden Augen sind wie geschaffen für Hollywood. Bis er dort Erfolg als Schauspieler hat, dauert es aber noch einige Zeit.

Zunächst geht er nach London, schlägt sich dort als Kellner durch und besucht abends die Schauspielschule. Bald spielt er in Horror- und Trash-Filmen mit, die Titel tragen wie "Hexen bis aufs Blut gequält". Kier spielt in Filmen, die mit B-Movie-Ironie vermarktet werden: Zur Kinokarte wird auch mal direkt eine Tüte bei aufkommenden Brechreiz verkauft.

1991 gelingt Udo Kier als "Hans" in "My Private Idaho" an der Seite von River Phoenix und Keanu Reeves der Durchbruch in den USA. Kier wird ein Weltstar und dreht mit großen Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Werner Herzog, Christoph Schlingensief, Gus van Sant, Lars von Trier und Quentin Tarantino.

Anfang der 1990er-Jahre zieht Kier von Köln nach Kalifornien und lebt dort in einem Haus in Palm Springs.

In diesem Zeitzeichen erzählt Martina Meißner:
  • warum Udo Kier seinen Vater nur am Telefon kennenlernt,
  • warum Kier nicht der "Vampir vom Dienst" sein will,
  • wie Kier in einer Kneipe am Kölner Neumarkt Rainer Werner Fassbinder trifft,
  • warum herrenlose Hunde in Palm Springs Udo Kier besonders mögen.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • ARD Archiv
  • Exklusive WDR-Interviews 2023 und 2024

Unsere Empfehlung:

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Autorin: Martina Meißner
Redaktion: Christoph Tiegel und David Rother
Technik: Alexander Buske

Seemann, Sklave, Schatzmeister im Orient: Hark Olufs Abenteuer

Seemann, Sklave, Schatzmeister im Orient: Hark Olufs Abenteuer WDR Zeitzeichen 13.10.2024 15:16 Min. Verfügbar bis 14.10.2099 WDR 5

Von der Insel Amrum nach Algerien, von Piraten versklavt und reich zurückgekehrt: Das Leben von Hark Olufs (gestorben am 13.10.1754) liest sich wie ein friesisches Märchen aus 1001 Nacht...

Hark Olufs ist 15 Jahre alt, als sein Schiff 1724 von türkischen Piraten gekapert wird. Er wird nach Algier entführt und als Sklave an einen Provinzfürsten verkauft. Dort macht er eine erstaunliche Karriere. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Jens und Georg Quedens (Ur-Ur-Enkel von Hark Olufs); Martin Reinheimer (Autor)


Amrum ist karg. Darum müssen im 18. Jahrhunderte viele Bewohner die Insel verlassen, um über die Runden zu kommen. Die Hälfte der damals knapp 600 Amrumer lebt von der Seefahrt. Dazu gehört auch Hark Olufs, der 1708 geboren wird. Er ist zwölf Jahre alt, als er sich von seinen Eltern verabschiedet und sich zum Schiffsjungen ausbilden lässt.

1724 fährt der 15-jährige Hark auf der "Hoffnung". Der Dreimaster nimmt in Nantes Ladung auf und segelt nach Hamburg. Doch gut 40 Kilometer vor der Südwestspitze Englands wird das Schiff von türkischen Piraten gekapert. Sie schleppen die "Hoffnung" bis nach Algier. Dort wird Hark als Sklave verkauft und landet bei einem Provinzfürsten.

Es ist Kalyan Hassan, der Bey von Constantine. Er schätzt an Hark Olufs offenbar dessen Treue und Begabungen. Nach etwa dreieinhalb Jahren wird Hark zum Schatzmeister ernannt. Er reist mit seinem Herrn durch das Land und treibt Steuern ein.

Als Hark 22 Jahre alt ist, ernennt ihn der Bey zum Befehlshaber der Leibgarde. Mit dem Geld, das er für seine Dienste erhält, kann sich Hark Olufs schließlich freikaufen. 1736 trifft er in Hamburg ein, wo sein Vater auf ihn wartet.

In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
  • Zu welchem Preis die Piraten Hark Olufs auf dem Sklavenmarkt verkaufen,
  • was eine "Sklavenkasse" ist,
  • warum der Vater von Hark Olufs einen falschen Jungen freikauft,
  • welche dunklen Punkte es in der Biografie von Hark Olufs gibt,
  • weshalb er den Bey nach gut zwölf Jahren unbedingt verlassen muss.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Jens und Georg Quedens (Ur-Ur-Enkel von Hark Olufs)
  • Martin Reinheimer (Autor)
  • Martin Reinheimer: Der fremde Sohn - Hark Olufs Wiederkehr aus der Sklaverei. Neumünster 2007
  • Martin Reinheimer (Hg.): Hark Olufs' Autobiographie. Deutsche Übersetzung. Flensburg 1751
  • Udo Weinbörner: Der General des Bey - Das abenteuerliche Leben des Amrumer Schiffsjungen Hark Olufs. Bad Honnef 2010

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Autor: Wolfgang Meyer
Redaktion: David Rother

Die Buchela: Bekannteste Wahrsagerin im Nachkriegsdeutschland

Die Buchela: Bekannteste Wahrsagerin im Nachkriegsdeutschland WDR Zeitzeichen 12.10.2024 14:47 Min. Verfügbar bis 13.10.2099 WDR 5

Es gab viele Politiker und Prominente, die angeblich bei ihr Rat suchten: Die Wahrsagerin Margaretha Goussanthier, bekannt als die Seherin von Bonn (geboren am 12.10.1899).

Ihren Durchbruch als Seherin von Bonn hat Madame Buchela 1953. Die Wahlen zum zweiten Deutschen Bundestag stehen an. Umfragen sehen die SPD-Opposition deutlich vorn. Doch Margarethe Goussanthier behält mit ihrer Vorhersage Recht: Die regierende CDU gewinnt die Wahl. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartnerinnen: Monika Littau (Schriftstellerin und Autorin); Marie-Therese Feist (Historikerin und Kuratorin einer Ausstellung zur Wahrsagerei in Europa und Ostasien) ***


Madame Buchela, mit bürgerlichem Namen Margaretha Goussanthier, beginnt ihre Karriere als Wahrsagerin in der frühen Bundesrepublik. Es ist eine Zeit, in der die Gesellschaft mit vielen Unsicherheiten befasst ist.

Auch Politiker nehmen angeblich ihre Dienste in Anspruch. Beweise gibt es dafür allerdings nicht. Das findet alles sehr diskret statt.

In den 1960er- und 1970er-Jahren ist die Buchela die berühmteste Wahrsagerin der Bundesrepublik. Margaretha Goussanthier lebt seit 1961 in Remagen am Rhein.

Das kleine Häuschen vererben ihr zwei dankbare ältere Schwestern, die bei ihr Kundinnen gewesen sind. Sie, die Sintezza, die "Zigeunerin", wie sie sich selbst nennt, ist nun endgültig sesshaft geworden.

Ihren Durchbruch als Seherin von Bonn hat die Buchela, als 1953 der zweite deutsche Bundestag gewählt wird. Umfragen sehen die SPD-Opposition deutlich vorn.

Bundeskanzler Konrad Adenauer bangt um seine Wiederwahl. Doch die Buchela sagt einen Wahlsieg der regierenden CDU voraus - der dann auch tatsächlich eintritt.

Buchela verdient gut mit ihrer Wahrsagerei, oder besser gesagt ihrer "psychologischen Lebensberatung". Sie stirbt am 8. November 1986 im Alter von 87 Jahren. Ihre Beerdigung in Remagen ist ein großes Ereignis. So viele Gäste hat man dort zu einer Beerdigung noch nie gesehen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
  • welche Rolle eine Buche bei der Namensgebung für Madame Buchela spielt,
  • auf welch tragische Weise sie erste Erfahrungen mit der Hellsichtigkeit macht,
  • wie der französisch klingende Name des Ehemanns Madame Buchela möglicherweise das Leben rettet,
  • wie Madame Buchela in einer DDR-Dokumentation als "Bundeswahrsagerin" dargestellt wird,
  • dass Vorhersagen sportlicher Ergebnisse nicht so ihr Metier sind,
  • warum Madame Buchela die letzten Monate ihres Lebens unter Polizeischutz steht.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartnerinnen:
  • Monika Littau, Schriftstellerin und Autorin
  • Marie-Therese Feist, Historikerin und Kuratorin einer Ausstellung zur Wahrsagerei in Europa und Ostasien

Und das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • Madame Buchela: Ich aber sage euch. Das Vermächtnis einer großen Seherin. München 1983
  • Monika Littau: Die sehende Sintiza: Buchela - Pythia von Bonn. Zell-Mosel 2020.

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Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?
Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de
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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autorin: Andrea Kath
Redaktion: Matti Hesse

Der große Sturm 1634: Die Nordsee verschlingt die Insel Strand

Der große Sturm 1634: Die Nordsee verschlingt die Insel Strand WDR Zeitzeichen 11.10.2024 13:48 Min. Verfügbar bis 12.10.2099 WDR 5

Ein verheerende Sturmflut zerreißt am 11.10.1634 die damals größte deutsche Nordsee-Insel Strand. Auf der soll sich Jahrhunderte zuvor auch Rungholt befunden haben, das mythische "Altlantis der Nordsee"...

Mehr als zwei Drittel der nordfriesischen Bevölkerung fallen am 11. Oktober 1634 einer Flutkatastrophe zum Opfer. Die Wassermassen zerreißen die Insel Strand vor Husum in zwei Teile. Die gesamte Küste von Nordfriesland wird verändert. Heute schätzt man, dass damals bis zu 15.000 Menschen starben. ***Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Ralph Weisse, Leiter der Abteilung Küstenklima am Helmholtz Zentrum Hereon in Geesthacht


Der Name der einst größten deutschen Nordseeinsel weist auf die Herkunft als ehemaliger Teil der Küste hin: Strand. Sie ist vor der Küste Husums durch mehrere Sturmfluten abgeschnitten vom Festland und durch Deiche befestigt. Im Jahr 1198 wird die Insel erstmals urkundlich erwähnt.

Der Inselboden muss ständig entwässert werden, doch das scheint sich zu lohnen: Die Menschen von Strand sind wohlhabend. Besonders reich sollen die Bewohner der Strander Siedlung Rungholt sein. Deren Übermut führt angeblich 1362 dazu, dass der Pfarrer des Ortes sie verflucht und damit eine schwere Sturmflut heraufbeschwört, die tausende Strander das Leben kostet.

Nach der "Groten Mandränke" ("Der großen Menschenertränkung") von 1362 erlebt die Insel Strand weitere Sturmfluten. Doch die verheerendste trifft sie mitten im Dreißigjährigen Krieg. Und wieder soll ein Fluch daran Schuld sein.

Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottdorf, zu dessen Herzogtum Strand gehört, will auf der Insel zwei Kompanien zum Schutz vor den kaiserlichen Truppen einquartieren. Doch die Strander widersetzen sich. Aus Wut soll der Herzog die aufmüpfigen Inselbewohner verflucht haben.

Am Samstag, den 11. Oktober 1634, wird die Insel von einem mächtigen Sturm und einer Springflut getroffen. Die Menschen flüchten auf die Dächer ihrer Häuser, doch unter der Wucht des Sturms zerbrechen diese oder werden durch aufgewirbeltes Kaminfeuer entzündet.

Wieder sterben tausende Menschen an der Küste Nordfrieslands, mehr als 6.000 allein auf der Insel Strand - zwei Drittel der Strander Bevölkerung. Hinzu kommen über 50.000 Nutztiere, die in den Fluten zugrunde gehen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Daniela Wakonigg:
  • Wie ein betrunkenes Schwein 1362 angeblich zum Auslöser einer schweren Sturmflut wird,
  • warum der Ort Rungholt auch "Atlantis der Nordsee" genannt wird,
  • aus welchen Naturereignissen sich eine Sturmflut zusammensetzt,
  • was nach der schweren Sturmflut von 1634 noch von der Insel Strand übrig bleibt,
  • warum neben Sturmfluten inzwischen auch der Klimawandel eine Bedrohung für die Nordseeinseln ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Ralph Weisse, Leiter der Abteilung Küstenklima am Helmholtz Zentrum Hereon in Geesthacht
  • Ralf Clausen, dessen Familie seit Jahrhunderten auf der nordfriesischen Insel Pellworm lebt
  • Die erschreckliche Wasser-Fluth 1634. Die Flut vom 11. Oktober 1634 und ihre Folgen nach zeitgenössischen Berichten und Dokumenten mit einer Darstellung über den Einfluss der Sturmfluten auf die historische Entwicklung des nordfriesischen Küstenraumes. Hrsg. im Auftrage des Nordfriesischen Vereins für Heimatkunde und Heimatliebe von Andreas Reinhardt. Heimatkundliche Schriften des Nordfriesischen Vereins Heft 9. Husum 1984
  • Robert Brauer, André Wilckerling, Cornelia Mertens: Im Meer vergangen. Rungholt und die Insel Strand. 2009
  • Hellmut Bahnsen, Robert Brauer, Cornelia Kost: Im Meer versunken. Rungholt, die Insel Strand und das geheimnisvolle Abalus. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2014

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Autorin: Daniela Wakonigg
Redaktion: David Rother
Technik: Moritz Raestrup

Wettlauf gegen die Zeit: Die Schwalbenrettung von 1974

Wettlauf gegen die Zeit: Die Schwalbenrettung von 1974 WDR Zeitzeichen 10.10.2024 15:43 Min. Verfügbar bis 11.10.2099 WDR 5

Herbst 1974: Der plötzliche Wintereinbruch kommt für mehrere Millionen Schwalben unerwartet: Zu geschwächt für ihre Reise nach Süden schauen sie dem sicheren Tod entgegen.

Rolf Gogné aus Bruchköbel-Roßdorf bei Hanau gehört zu den ersten Vogelschützern, die Alarm schlagen. Sie organisieren Flüge unter anderem mit der Lufthansa und bewahren damit die Tiere vor dem drohenden Massentod. Rund zwei Millionen Schwalben werden über die Alpen transportiert. *** Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Rolf J.A. Gogné (Vogelschützer und Mitinitiator der Schwalbenrettung 1974)***


Es ist ungemütlich in Mitteleuropa im Herbst 1974: Ein von Meteorologen und Schwalben gleichermaßen unerwarteter, plötzlicher Einbruch des Winters. Normalerweise machen sich die Vögel zwischen Ende August und Anfang Oktober auf den Weg nach Süden. Zuvor fressen sie Fluginsekten und tanken so die nötige Energie für die lange Reise.

Doch dieses Mal ist die Natur durcheinander. Landwirte melden bei Vogelschützern haufenweise Rauchschwalben und Mehlschwalben, die sich in den Ställen sammeln und nicht losfliegen. Die frühe Kälte hat die Insekten getötet - die Schwalben haben keine Chance, Energiepolster anzulegen. Die ersten Tiere sterben.

Rolf Gogné aus Bruchköbel-Roßdorf bei Hanau gehört damals zu den ersten, die das Ausmaß der Schwalben-Katastrophe erkennen. Er trommelt alle Vogelschützer zusammen, die er kennt. Schließlich spricht sich die Schwalbenrettungsaktion deutschlandweit herum.

Bald starten Flugzeuge von Frankfurt am Main, Echterdingen bei Stuttgart, aus dem Saarland, Baden-Württemberg und der Schweiz. Insgesamt werden wohl fast zwei Millionen Schwalben transportiert. Aber nicht alle Schwalben fliegen in den Süden, manche reisen - etwa von Freiburg aus - per Bahn über die Alpen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Wolfgang Meyer:
  • warum es normalerweise schwierig ist, Mehlschwalben einzufangen,
  • womit die Vogelschützer die abgemagerten Tiere für den Flug aufpäppeln,
  • wie viele Maschinen allein von Frankfurt am Main nach Genua fliegen,
  • wie die Schwalben von Italien aus mit eigener Kraft weiter nach Afrika ziehen,
  • welche kritischen Reaktionen es 1974 auf die Rettungsaktion gibt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Rolf J.A. Gogné (Vogelschützer und Mitinitiator der Schwalbenrettung 1974)
  • Rolf J.A. Gogné: Ich flog mit den Schwalben. In: Wir und die Vögel, Heft 1/1975. S. 18

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Autor: Wolfgang Meyer
Redaktion: Matti Hesse

Geheimnisvolle Zeitreise: Die Weltkarte des Piri Re'is von 1513

Geheimnisvolle Zeitreise: Die Weltkarte des Piri Re'is von 1513 WDR Zeitzeichen 09.10.2024 14:50 Min. Verfügbar bis 10.10.2034 WDR 5

Am 9.10.1929 machten Forscher eine verblüffende Entdeckung: Eine Karte aus dem Jahr 1513, die bereits Teile der Welt zeigt, die zu der Zeit noch gar nicht entdeckt waren.

Mit seinem Bestseller "Erinnerungen an die Zukunft" macht Erich von Däniken 1968 die Weltkarte von Piri Reis weltberühmt. Seine Behauptung, Außerirdische hätten dafür Fotos aus dem Weltall zur Verfügung gestellt, mögen allerdings nicht alle glauben. Zumal es plausiblere Erläuterungen gibt. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Tobias Trebesius (Geschichtsblogger); Peter Mesenburg (emeritierter Professor für Kartografie und Geodäsie, Universität Duisburg/Essen)


Für Erich von Däniken gibt es nur eine Antwort: Die Weltkarte, die der osmanische Admiral Piri Reis 1513 erstellt hat und auf der scheinbar überraschend detailliert Südamerika und die Antarktis eingetragen sind, muss auf Luftaufnahmen basieren. Nur Außerirdische seien damals in der Lage gewesen, die Küstenlinie aus großer Höhe zu fotografieren.

Doch es gibt auch rationale Erklärungen für viele der Rätsel um die Entstehung der Karte, die nicht komplett erhalten ist. Gezeichnet auf Pergament aus Kamelhaut, zeigt das Fragment auf einer Fläche von 85 mal 60 Zentimetern die Westküsten von Europa und Afrika, den Atlantik und die Ostküste Amerikas.

Auf der Karte sind rund 20 unterschiedliche Karten aufgeführt, die zur Konstruktion dieser Weltkarte beigetragen haben sollen. Unter anderem auch eine angebliche Karte von Kolumbus und anderen weniger bekannten Seefahrern.

In diesem Zeitzeichen erzählt Martin Herzog:
  • Wie Piri Reis mithilfe seines Onkels angeblich an eine Karte von Kolumbus kommt,
  • wie Paul Kahle, Spezialist für alte Handschriften, die verschollene Weltkarte von Piri Reis entdeckt,
  • wer als Erster behauptet, die Karte basiere möglicherweise auf Luftaufnahmen prähistorischer Flugzeuge,
  • wie genau die Karte tatsächlich ist,
  • welche Rätsel um die Karte heute noch immer existieren.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Tobias Trebesius (Geschichtsblogger)
  • Peter Mesenburg (emeritierter Professor für Kartografie und Geodäsie, Universität Duisburg/Essen)
  • Susanne Billig: Die Karte des Piri Reis - Das vergessene Wissen der Araber und die Entdeckung Amerikas. München, 2017
  • Erich von Däniken: Erinnerungen an die Zukunft - Ungelöste Rätsel der Vergangenheit. Düsseldorf, 1968

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Autor: Martin Herzog
Redaktion: Matti Hesse

Der Populist von Rom: Aufstieg und Fall des Cola di Rienzo

Der Populist von Rom: Aufstieg und Fall des Cola di Rienzo WDR Zeitzeichen 08.10.2024 13:33 Min. Verfügbar bis 09.10.2099 WDR 5

Ein Freiheitskämpfer. Ein früher Faschist, sagen andere. Am 8.10.1354 wird der Volkstribun Cola die Rienzo ermordet, nachdem er dem verfallenen Rom zu neuer Größe verholfen hatte...

Cola di Rienzo ist das Paradebeispiel eines Volksführers. Er ist besessen von Macht und will mit den überkommenen Eliten Schluss machen. Gut 500 Jahre später wird er so auch zum Vorbild von Adolf Hitler. Der NS-Diktator ist überwältigt vom Aufstieg di Rienzos, der wie Hitler selbst aus einfachen Verhältnissen stammt. ***Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Andreas Rehberg, Mittelalter-Experte am Deutschen Historischen Institut in Rom ***


Einfach ist es nicht, die historische Rolle von Cola di Rienzo zu bewerten. Für Richard Wagner, der den italienischen Gastwirtssohn zur Titelfigur seiner Oper macht, ist di Rienzo ein Freiheitskämpfer mit guten Absichten, der den Intrigen seiner Gegner und seiner eigenen Volksverbundenheit zum Opfer fällt. Historiker sehen in ihm heute eher einen Populisten, der das Elend der Bevölkerung ausnutzt, um mit autokratischen Mitteln seine Macht auszubauen.

Der Aufstieg des Volkstribunen beginnt mit der Analyse der Zustände, in die er hineingeboren wird. Als Cola di Rienzo im Jahr 1313 in Rom das Licht der Welt erblickt, hat seine Heimatstadt viel von ihrem Glanz als einstige Hauptstadt der Welt eingebüßt. Weite Teile des Stadtgebiets sind entvölkert, Monumente wie der Circus Maximus verfallen. Di Rienzo ergreift den Notar-Beruf - und setzt sich ein Ziel. Das lautet: "Make Rome great again!"

Mit Hilfe der Kirche steigt er zum einflussreichen Politiker auf, stürzt 1347 die adlige Senatsherrschaft und versucht, als selbsternannter Tribun eine volksnahe, an alte römische Traditionen anknüpfende Herrschaft zu errichten. Doch sein Plan scheitert, als das Volk und die Wirtschaftsbosse von Rom ihm die Gefolgschaft versagen. Ende 1347, nach nur sieben Monaten, flieht di Rienzo aus der Stadt und führte ein Eremitendasein in den Bergen.

Unerwartet bekommt er 1354 eine zweite Chance, in Rom für Ordnung zu sorgen - die er letztlich mit dem Leben bezahlt. Cola di Rienzo regiert selbstherrlicher denn je, bis er schließlich vollkommen isoliert ist. Am 8. Oktober 1354 wird er von einer aufgebrachten Volksmenge regelrecht massakriert.

In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Struck-Schloen:
  • warum Cola di Rienzo zum Vorbild Adolf Hitlers wird,
  • von den mafiösen Zuständen im Rom des frühen 14. Jahrhunderts,
  • wie di Rienzo die Rolle der Frau sieht,
  • von der Wiederentdeckung Cola di Rienzos in der Musik des 19. Jahrhunderts.

Das ist unser wichtigster Interviewpartner:
  • Andreas Rehberg, Mittelalter-Experte am Deutschen Historischen Institut in Rom

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Autor: Michael Struck-Schloen
Redaktion: David Rother
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Gründung der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (7.10.1929)

Gründung der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (7.10.1929) WDR Zeitzeichen 07.10.2024 14:39 Min. Verfügbar bis 08.10.2099 WDR 5

Ihren Ursprung hat die Scouting-Bewegung in England. In Deutschland wird aus zuerst losen katholischen Sankt-Georgs-Gemeinschaften 1929 ein Pfadfinder-Bundesverband.

"Jeden Tag eine gute Tat" - dieses Motto gilt auch für die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG). Daneben zählen für sie aber auch noch ein paar katholische Werte: Nächstenliebe, Ehrlichkeit gegenüber einander, Gemeinschaft und Spiritualität. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartnerinnen: Annkathrin Meyer (Bundesvorsitzende der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg); Professorin Sabine Maschke (Erziehungswissenschaftlerin Uni Marburg) ***


In der Weimarer Zeit wird die Bündische Jugend vielfach umworben. Ihre Gruppen spiegeln alle politischen Strömungen der Zeit wider - von extrem rechts bis ganz links. Auch die Kirchen wollen Einfluss gewinnen und gründen Ableger. Erste katholische Pfadfindergruppen entstehen 1928 parallel an verschiedenen Orten.

Am 7. Oktober 1929 schließen sich diese losen Gruppen in Altenberg im Bergischen Land zur Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) zusammen. Der heldenhafte Drachentöter Sankt Georg wird ihr Symbol. Doch die Eigenständigkeit währt nicht lange. Ab 1933 beginnt die Gleichschaltung der Bündischen unter die Hitler Jugend. Ab 1938 ist der katholische Jugendbund verboten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machen sich die Pfadfinder wieder auf den Weg. 1947 zählen die Georgsritter 10.000 Mitglieder, heute sind es 80.000 - und die Wartelisten lang. Die DPSG gehört zu den Gründern des Dachverbandes "Ring der Pfadfinderverbände".

In diesem Zeitzeichen erzählt Doris Arp:
  • wie der Brite Robert Baden-Powell 1908 die erste Pfadfinderbewegung gründet,
  • wer die Idee nach Deutschland bringt,
  • warum die deutschen Pfadfinderinnen zunächst eng mit der Frauenbewegung verbunden sind,
  • was die Wandervogelbewegung mit den Pfadfindern zu tun hat,
  • weshalb Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt auch bei katholischen Pfadfindern ein Thema sind.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Annkathrin Meyer (Bundesvorsitzende der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg)
  • Professorin Sabine Maschke (Erziehungswissenschaftlerin Uni Marburg)
  • Jürgen Oelkers: Eros und Herrschaft - Die dunklen Seiten der Reformpädagogik. Weinheim 2011
  • Thomas Koebner (Hrsg.): "Mit uns zieht die neue Zeit" – Der Mythos Jugend. Frankfurt am Main 1985

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Autorin: Doris Arp
Redaktion: Christoph Tiegel und David Rother
Technik: Petra Laubach

Ritalin: Hilfreiche Droge oder Doping fürs Gehirn?

Ritalin: Hilfreiche Droge oder Doping fürs Gehirn? WDR Zeitzeichen 06.10.2024 14:48 Min. Verfügbar bis 07.10.2099 WDR 5

Fast 58 Millionen Tagesdosen Ritalin werden jedes Jahr in Deutschland verschrieben. Ausgangsdiagnose: ADHS. Seit seiner Zulassung am 6.10.1954 stellt sich die Frage: Ist das Medikament Fluch oder Segen?

Der Wirkstoff Methylphenidat existiert bereits seit 1944. Zehn Jahre später wird daraus das Präparat Retalin - benannt nach Rita, der Frau des Erfinders. Ritalin kommt bei gesteigerter Ermüdbarkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, depressiver Verstimmungen, bei Antriebsarmut und bei Narkolepsie zum Einsatz. *** Für das Zeitzeichen haben wir unter anderem gesprochen mit: Alexander Häge (Kinder- und Jugendpsychiater, Leitender Oberarzt Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim) ***


In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen immer mehr Wirkstoffe, die auf die Nervenzellen des Gehirns Einfluss nehmen. Dem jungen Chemiker Leandro Panizzon gelingt 1944 in einem Labor der Schweizer Firma CIBA einen neuen Wirkstoff zu synthetisieren: Methylphenidat.

Auch Panizzons Gattin versucht das Mittelchen. Sie hat den Namen Marguerite, Spitzname Rita, und nimmt es zur Verbesserung ihres Tennisspiels, weil sie sich damit besser auf ihre Aufschläge konzentrieren kann. Ihr zu Ehren nennt man das Präparat Ritalin. 1954 lässt CIBA es sich patentieren.

Ritalin kommt bei gesteigerter Ermüdbarkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, depressiver Verstimmungen, bei Antriebsarmut und bei Narkolepsie zum Einsatz. Schon in den 1930er Jahren stellt man fest, dass Amphetamin unruhige Kinder von jetzt auf gleich aufmerksamer macht, ohne sie zu sedieren. Methylphenidat ist zwar selbst kein Amphetamin, wirkt aber ähnlich.

Ritalin und andere Psychostimulanzien stellen sich in klinischen Tests als wirkungsvoll und auch langfristig sicher in der Anwendung heraus. Die Diagnose stellen erfahrene Fachärzte und approbierte Therapeuten. Denn eine Manipulation des Hirnstoffwechsels stellt trotz allem einen massiven Eingriff dar.

In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
  • wieso Ritalin in den 1950er-Jahren bevorzugt gegen Depressionen eingesetzt wird,
  • welches Medikament in den 1960er-Jahren strengere Arzneimittel-Regulierungen zur Folge hat,
  • auf welche Botenstoffe Methylphenidat im Gehirn wirkt,
  • wie sich die Zahl der verschriebenen Tagesdosen Ritalin deutschlandweit entwickelt,
  • warum die Diagnose ADHS bis heute häufig mit einer Stigmatisierung einhergeht.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • Axel Helmstädter, Pharmahistoriker und Apotheker.
  • Dr. Philipp Bode, Philosoph Schwerpunkt Ethik, Literatur- und Medienwissenschaftler.
  • PD Alexander Häge, Kinder- und Jugendpsychiater, Leitender Oberarzt Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim.

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Autorin: Jana Magdanz
Redaktion: Frank Zirpins
Technik: Christina Gabriel

Filmklassiker "Apocalypse Now": Die Inszenierung des Wahnsinns

Filmklassiker "Apocalypse Now": Die Inszenierung des Wahnsinns WDR Zeitzeichen 05.10.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 06.10.2099 WDR 5

Am 5.10.1979 feiert "Apocalypse Now" Deutschlandpremiere. Der Film zeigt eindrucksvoll den Wahnsinn des Vietnamkriegs und bleibt bis heute ein filmisches Meisterwerk.

Als US-Regisseur Francis Ford Coppola 1979 zu den Filmfestspielen nach Cannes fährt, hat er - wie er meint - einen zwar geschnittenen, aber noch unfertigen Film im Gepäck: der Antikriegsfilm "Apocalypse Now". Doch dafür wird er Preise bekommen: Goldene Palme, Oscars, Golden Globe. *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Professor Norbert Finzsch (Historiker für amerikanische Geschichte, Berlin); Professor Joachim Friedmann (Professur Serial Storytelling, Internationale Filmschule Köln); Joseph Conrad: Herz der Finsternis. Blackwood's Magazine, 1899. ***


Vor und während der Dreharbeiten zu "Apocalypse Now" ahnt wohl niemand, dass hier ein filmisches Meisterwerk entsteht. Viele berühmte Schauspieler wie Jack Nicholson, Clint Eastwood oder auch Robert Redford sagen im Vorfeld ab. Hauptdarsteller Martin Sheen ist zu dieser Zeit ein kleiner TV-Star und dem Alkohol verfallen.

Sheen bekommt die Rolle des Captain Willard, der in Vietnam auf besondere Mission geht. Er wird beauftragt, Colonel Kurtz ausfindig und unschädlich zu machen. Kurtz gilt als abtrünnig und wahnsinnig. In seinem eigenen diktatorischen Reich im Dschungel vernichtet er alles, was ihm nicht in den Kram passt.

Die Drehbedingungen sind schrecklich. Hitze und Mücken machen die Arbeit zur Tortur. Ein Taifun zerstört ein Großteil des Equipments. Das Warten auf Ersatz und die Langeweile sorgen für schlechte Laune am Set, und es kommt noch schlimmer. Martin Sheen erleidet einen Herzinfarkt und ist sieben Wochen außer Gefecht gesetzt. Die Kosten für den Film explodieren. Coppola geht davon aus, durch seine Kassenschlager Der Pate I und II genug Geld für dieses Projekt zu haben. Irrtum. Die Szenen sind aufwendig.

Die Strapazen werden belohnt, der Film wird mehrfach ausgezeichnet: Goldene Palme, Oscars, Golden Globe. Der Film wird als einer der besten überhaupt gefeiert. Mit der Premiere von "Apocalypse Now" zeigt sich auch, dass der Song "The End" der Doors über Abschied in der Liebe für einen martialischen Anti-Kriegsfilm taugt und dass Francis Ford Coppola ein begnadeter Filmemacher ist, der deshalb wieder zu Geld für neue Projekte kommt.

In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:
  • wie "Apocalypse Now" und die Erzählung "Heart of Darkness" (Herz der Finsternis) des Autors Joseph Conrad zusammenhängen,
  • dass der Vietnamkrieg auch als Folge der Kolonialzeit verstanden werden muss,
  • welcher Satz aus "Apocalypse Now" als eines der berühmtesten Zitate in die Filmgeschichte eingeht,
  • welchen persönlichen Beitrag Francis Ford Coppola zur Finanzierung des Projekts leistet,
  • mit welchen filmischen Kunstgriffen Marlon Brandos Übergewicht kaschiert wird.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Prof. Dr. Norbert Finzsch, Historiker für amerikanische Geschichte, Berlin.
  • Prof. Dr. Joachim Friedmann, Professur Serial Storytelling, Internationale Filmschule Köln.
  • Joseph Conrad: Herz der Finsternis. Blackwood's Magazine, 1899.

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Autorin: Irene Geuer
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Annett Bastian

Erbsenzählen auf dem Weg in die weite Welt

Erbsenzählen auf dem Weg in die weite Welt WDR Zeitzeichen 04.10.2024 13:07 Min. Verfügbar bis 05.10.2099 WDR 5

Als der Verleger Karl Baedeker am 4.10.1859 stirbt, ist sein Name schon ein Synonym für den Reiseführer schlechthin geworden. Steht es nicht im "Baedeker", dann lohnt es nicht die Anreise.

Der Name des Verlegers Karl Baedeker ist Synonym für Reiseführer. Mit seinem ersten Reiseführer namens "Rheinreise" leitet Baedeker eine neue Form des Reisens ein. *** Das sind unsere wichtigste Interviewpartnerinnen: Dr. Susanne Müller, Medienwissenschaftlerin an der Universität Potsdam Andrea Baumeister, Reisekauffrau aus Viersen ***


Karl Baedeker wird am 3. November 1801 in Essen geboren. Der Sohn eines Buchhändlers absolviert eine Ausbildung im väterlichen Geschäft, studiert Geschichte und Philosophie in Heidelberg und macht in Berlin eine Buchhändlerlehre.

Mit 25 Jahren gründet er am 1. Juli 1827 eine eigene Buchhandlung in Koblenz. Bald bemerkt Baedeker, dass sich dort das Buch "Die Rheinreise von Mainz bis Köln. Ein Handbuch für Schnellreisende. Von Johann August Klein" extrem gut verkauft.

Baedeker erkennt das Potenzial, kauft nach dem Tod von August Klein die Rechte an dessen Handbuch und bringt 1835 eine Neuauflage heraus. Vier Jahre später hat er den Reiseführer nach seinen eigenen Ideen komplett überarbeitet und legt damit den ersten richtigen Baedeker vor: Rheinreise.

Baedekers Maxime: Überprüfe alles, wenn nötig doppelt! Dafür wird er bald berühmt. In der englischen Übersetzung von Jaques Offenbachs Oper "Pariser Leben" heißt es, Könige und Parlamente könnten sich irren - nicht aber Herr Baedeker.

Als Karl Baedeker am 4. Oktober 1859 in Koblenz stirbt, haben seine zahlreichen Reiseführer schon einige Neuauflagen erlebt. Sein Sohn Fritz führt das erfolgreiche Unternehmen weiter, verlegt es nach Leipzig und bringt schließlich die Bände heraus, die den Baedeker endgültig weltweit berühmt machen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:
  • warum Karl Baedeker ein Erbsenzähler im besten Sinn ist,
  • wie es sich viele Deutsche zum Reiseziel gemacht haben, Fehler in den Reiseführern zu finden,
  • was Karl Baedeker über Trinkgelder in Gasthöfen denkt,
  • wie Baedekers Reiseführer auch militärisch genutzt werden,
  • was Lawrence von Arabien, Karl May, Sigmund Freud, Jule Verne und Mark Twain gemeinsam haben.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Dr. Susanne Müller, Medienwissenschaftlerin an der Universität Potsdam
  • Andrea Baumeister, Reisekauffrau aus Viersen
  • Susanne Müller: Die Welt des Baedeker. Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830-1945.
  • Mark Twain: Bummel durch Europa. Zürich 1990.
  • Zimmer mit Aussicht Verfilmung des gleichnamigen Romans von E.M. Forster, 1908.

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Autorin: Maren Gottschalk
Redaktion: Christoph Tiegel und Frank Zirpins
Technik: Nicolas Dohle

Akio Morita - Der Vater des Walkman

Akio Morita - Der Vater des Walkman WDR Zeitzeichen 03.10.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 04.10.2099 WDR 5

Es ist ein Meilenstein in der Art, wie wir Musik konsumieren - und vielleicht der größte Diebstahl in der Geschichte der Unterhaltungselektronik. Die ganze Wahrheit hat Akio Morita am 3.10.1999 mit ins Grab genommen.

Anfang der 1970er Jahre gibt es einen Wandel auf dem Weltmarkt der Unterhaltungselektronik: Japanische Unternehmen, die bis dahin eher zu den USA und Europa aufgeschaut haben, übernehmen jetzt die Führung. So auch Sony. 1979 bringt Firmengründer Akio Morita den Walkman auf den Markt. *** Das ist unser Interviewpartner: Florian Lukas Staffel (Historisches Institut/Zeitgeschichte, Universität Paderborn)***


Akio Morita wächst im Japan der Vorkriegszeit auf. Geboren wird er 1921 als ältestes von vier Kindern einer wohlhabenden Familie. Seiner Mutter ist es zu verdanken, dass der kleine Akio schon früh die Liebe zur Musik und gutem Sound entdeckt. Sie hört leidenschaftlich gern auf einem alten Grammophongerät Schallplatten der klassischen europäischen Meister.

Als Akio Morita kurz vor dem Abschluss seines Physikstudiums steht, befindet sich Japan mitten im Zweiten Weltkrieg. In einer Forschungsgruppe trifft er den 13 Jahre älteren Ingenieur und Geschäftsmann Masaru Ibuka . Mit ihm gründet er nach dem Krieg die Firma mit dem unaussprechlichen Namen Tokyo Tsushin Kogyo, das spätere Sony.

Ibuka und Morita orientieren sich dabei von Anfang an in Richtung Westen. Sony will seine Produkte weltweit vermarkten. 1955 bringen sie ihr erstes Transistorradio heraus. Der erste größere Erfolg des noch jungen Unternehmens.

Anfang der 70er Jahre gibt es einen Wandel auf dem Weltmarkt der Unterhaltungselektronik. Die japanischen Unternehmen, die bis dahin eher zu den USA und Europa aufgeschaut haben, übernehmen jetzt die Führung. Und 1979 - 33 Jahre nach der Gründung des Unternehmens - erlebt Sony den Durchbruch und bis dahin größten Erfolg: die Erfindung des Walkmans. Damit trifft Sony den Nerv der Zeit. Der Walkman verkauft sich von Anfang an in rasanter Geschwindigkeit. Und wird zum Super-Hit.

Anfang der 80er Jahre schwimmt Sony auf einer Welle des Erfolgs. Der Konzern entwickelt ein Highlight nach dem anderen - die Digitalkamera Mavica, die CD mit mobilem Player und später auch die erste Playstation. Sony steigt auch ins Film- und Musikgeschäft ein.

Zwischen 2007 und 2020 muss Sony starke Umsatzeinbußen hinnehmen. Doch das erlebt sein Gründer nicht mehr. Akio Morita stirbt am 3. Oktober 1999 in Tokio an den späten Folgen eines Schlaganfalls.

In diesem Zeitzeichen erzählt Hanna Immich:
  • warum Akio Moritas Eltern in seiner Schulzeit immer mal wieder zum Direktor bestellt werden,
  • warum aus "Tokyo Tsushin Kogyo" die Firma Sony wird,
  • warum die Firma die Hemdtaschen einiger Mitarbeiter vergrößern lässt,
  • warum Akio Morita sich nicht viel um Marktforschung kümmert,
  • dass Sony sich jahrelang mit Andreas Pavel um die Rechte am Walkman streitet.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:

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Autorin: Hanna Immich
Redaktion: Frank Zirpins

Eine Pionierin der Geschlechterforschung: Helge Pross

Eine Pionierin der Geschlechterforschung: Helge Pross WDR Zeitzeichen 02.10.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 03.10.2099 WDR 5

Ihr Fokus liegt auf dem Forschungsfeld Frau und Familie. Ihre Männerstudien kann die Soziologin Helge Pross nicht mehr vertiefen. Sie stirbt am 2.10.1984, mit 57 Jahren.

Die Soziologin Helge Pross ist eine Pionierin im Bereich der Geschlechterforschung. In zahlreichen Studien belegt sie die strukturelle Benachteiligung von Frauen und Mädchen. Als eine von wenigen Wissenschaftlerinnen erwirbt sie in der Nachkriegszeit die Lehrberechtigung an einer Universität. Sie unterrichtet bis zu ihrem Tod am 2. Oktober 1984. *** Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin: Sabine Hering, Sozialwissenschaftlerin und Mitgründerin des Archivs der deutschen Frauenbewegung


Helge Pross prägt die gesellschaftspolitischen Reformen der 1970er und 80er Jahre in Deutschland. Mit kritischem Blick erforscht die Soziologin die Lebenswirklichkeit von Hausfrauen, die Bildungschancen von Mädchen und das Rollenbild von Männern. Mit ihren Ergebnissen formt sie die öffentliche Debatte - fast immer als einzige Frau unter Männern.

Die Publizistin und Soziologin lebt selbstbestimmt und emanzipiert. Dabei wächst die Düsseldorferin, geboren 1927 als Helge Agnes Nyssen, mit dem Frauenbild der Nationalsozialisten auf.

Als erste Frau in ihrer Familie beginnt sie 1946 ein Studium. Unterstützt und ermutigt wird sie von ihrem Vater, der seine Tochter vor der "Abhängigkeit der Ungelernten" bewahren will. 1950 promoviert Helge und heiratet Harry Pross. Doch die Ehe hält nur vier Jahre. "Sie wollte eine berühmte Soziologin werden. Sie ist es als Helge Pross auch geworden; aber da waren wir längst voneinander geschieden", schreibt der Publizistikwissenschaftler später in seiner Autobiografie.

Am 2. Oktober 1984 stirbt Helge Pross mit nur 57 Jahren an Krebs. Wer heute ihre Texte, Kolumnen, Forschungsarbeiten und Studien liest, hat aber kaum das Gefühl, in der Vergangenheit zu wühlen. Denn vieles, was sie damals erforschte und forderte, ist noch immer nicht erreicht.

In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:
  • wie der Krieg ihr Elternhaus und auch die schulische Laufbahn von Helge Pross beeinflusst,
  • von ihrer prägenden, aber tragisch endenden Ehe mit Staatsrechtler Franz Leopold Neumann,
  • wie eine verlorene Landtagswahl ihre Karriere in der Politik verhindert,
  • wie die Universität Siegen bis heute ihre Leistungen ehrt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Sabine Hering, Sozialwissenschaftlerin und Mitgründerin des Archivs der deutschen Frauenbewegung
  • Sabine Hering/Elke Hüwel: Helge Pross - Wegbereiterin der Frauenforschung. Universität Siegen, 2018
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Helge Pross
  • Universität Siegen: Helge-Pross-Preis

Weiterführender Link:

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autoren: Ulrich Biermann und Veronika Bock
Redaktion: Christoph Tiegel und David Rother

Das Urteil im "Lesben-Mord-Prozess" fällt (am 1.10.1974)

Das Urteil im "Lesben-Mord-Prozess" fällt (am 1.10.1974) WDR Zeitzeichen 01.10.2024 14:43 Min. Verfügbar bis 02.10.2099 WDR 5

Als Monika Ihns und Judy Andersen wegen Mordes vor Gericht stehen, macht die Presse aus ihrer Liebe einen Skandal. Für die Frauenbewegung wird der Prozess zum Wendepunkt.

Weil sie einen gewalttätigen Ehemann umbringen lassen, werden zwei Frauen am Landgericht Itzehoe verurteilt. Die Boulevardpresse macht aus dem Mordprozess einen "Lesben-Prozess". Er wird zum Schlüsselereignis der Frauenbewegung. *** Das sind unsere Interviewpartnerinnen: Dr. Sarah Bornhorst (Kuratorin für Zeitzeugenarbeit, Stiftung Berliner Mauer) Monne Kühn (Aktivistin und Teilnehmerin an den Protesten in Itzehoe)***


Anfang der 1970er Jahre gründen sich überall in Deutschland Schwulen- und Lesbengruppen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Im Gegensatz zur männlichen ist weibliche Homosexualität zwar nicht verboten, aber in den Siebzigern gesellschaftlich ein großes Tabu. Und nicht nur Homosexualität, auch die Gleichberechtigung von Frauen wird nur zögerlich akzeptiert. Gewalt in der Ehe ist Privatsache, Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand.

Das muss auch Marion Ihns erfahren. Als sie sich von ihrem Mann Wolfgang scheiden lassen will, willigt dieser nicht ein. Jahre später lernt Marion Ihns bei einem Besuch in Dänemark die zehn Jahre jüngere Judy Andersen kennen - und lieben. Doch Wolfgang verweigert ihr weiterhin die Scheidung. Wenig später ist er tot, getötet von einem Auftragsmörder.

Doch für die eigentliche Tat interessiert sich kaum jemand, der Mörder wird schnell zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Stattdessen wird die lesbische Liebe der Frauen zum Skandal. Die Boulevardpresse macht aus dem Mordprozess einen "Lesben-Prozess". Lange bevor er überhaupt losgeht, macht die BILD-Zeitung schon Stimmung. Die Texte sind voller homophober Klischees. Die Berichterstattung eskaliert mit dem Prozessauftakt im Sommer 1974.

Doch die Frauen der Bundesrepublik lassen sich die Diffamierung nicht gefallen. Der Prozess wird zum Schlüsselereignis der Frauenbewegung. Während des Prozesses kommt es zu Protesten und Tumulten vor und auch im Gerichtssaal.

Am 01. Oktober 1974 werden beide Frauen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess macht Gewalt gegen Frauen zu einem Kernthema der zweiten Frauenbewegung und regt unter anderem Alice Schwarzer dazu an, die "Emma" zu gründen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Laura Dresch:
  • wie Frauen in den 1970er Jahren von ihren Ehemännern abhängig sind,
  • mit welchen Schlagzeilen die Presse gegen die lesbischen Frauen hetzt,
  • wie die beiden Frauen beim Prozess regelrecht vorgeführt werden,
  • dass während der Verhandlung zum ersten Mal fotografiert werden darf,
  • wie wichtig der Prozess für die Frauenbewegung ist.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Dr. Sarah Bornhorst (Historikerin Berlin)
  • Monne Kühn (Aktivistin und Teilnehmerin an den Protesten in Itzehoe)
  • Urteil des Prozesses, Landgericht Itzehoe, 1974
  • Pressedokumentation zum Mordprozess gegen Marion Ihns und Judy Andersen, Berichtszeitraum: 1973-1987, einsehbar im Archiv FrauenMediaTurm, Köln, Signatur: Pressedokumentation / PD-LE.11.07 / Objekt-Nr.: 13431
  • Bornhorst, Sarah: 1974. Lesben vor Gericht und auf den Barrikaden: Der Itzehoe-Prozess und die Lesbenbewegung, in: Agnes Bresselau von Bressensdorf, Jürgen Finger, et. al (Hg.): Kipppunkte. Momente des Wandels im 20. Jahrhundert, Göttingen 2024, S. 245-258.
  • Bayramoğlu, Yener: Die kriminelle Lesbe. Die Kriminalisierung des lesbischen Subjekts in den 1970er-Jahren in der BILD-Zeitung, in: Ders. [Hg.]: Queere (Un-)Sichtbarkeiten. Die Geschichte der queeren Repräsentationen in der türkischen und deutschen Boulevardpresse, Bielefeld 2018, S. 223-235.

Weiterführende Links:
Unser Hör-Tipp: “Der Zerfall Babylons” - Im Podcast geht Volker Kutscher, Bestseller-Autor der Gereon Rath-Reihe und damit der Vorlagen für “Babylon Berlin”, auf eine Zeitreise in die Jahre 1929-1938: Was hat die Menschen damals angetrieben und wie kam es zur Machtergreifung Hitlers.

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Autorin: Laura Dresch
Redaktion: Carolin Rückl und David Rother

Umstrittener Vorläufer des THW: die Technische Nothilfe

Umstrittener Vorläufer des THW: die Technische Nothilfe WDR Zeitzeichen 30.09.2024 14:48 Min. Verfügbar bis 01.10.2034 WDR 5

Nach ihrer Gründung am 30.9.1919 wurde die Technische Nothilfe im Deutschen Reich zur Streikbekämpfung eingesetzt. Erst später kam der Schwenk zum Katastrophenschutz.

Bereits bei seinem ersten Auslandseinsatz im Jahr 1953, als das THW bei einer Flutkatastrophe in den Niederlanden hilft, positioniert es sich als humanitäre Organisation. Diese frühen Einsätze legen den Grundstein für die internationale Anerkennung, die das THW heute genießt. Doch die Auseinandersetzung mit den Altlasten des Vorläufers, der Technischen Nothilfe, bleibt wichtig. *** Das sind unser wichtigster Interviewpartner: Dr. Andreas Linhardt, Historiker ***


"Treu helfen wir" – ein Versprechen, das das Technische Hilfswerk (THW) seit seiner Gründung 1950 prägt. Doch hinter diesem modernen Selbstbild verbirgt sich eine tiefere Geschichte, die in den Wirren der Weimarer Republik beginnt und bis heute nachhallt.

Die Technische Nothilfe (TN) wird nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen und agiert meist im Dienst des Staates: in Zeiten politischer Unruhen, als Streikbrecher oder Schützer lebenswichtiger Infrastrukturen. Während des Zweiten Weltkriegs unter der SS sogar im Bereich ziviler Luftschutz. Nach dem Krieg wird die TN von den Alliierten verboten, doch 1950 entsteht das THW – in klarer Abgrenzung zur umstrittenen Vergangenheit.

Statt politischer Einsätze steht seit seiner Neugründung der humanitäre Zivil- und Katastrophenschutz im Vordergrund. Mittlerweile zählt das THW zu den wichtigsten Akteuren und setzt dabei vor allem auf freiwillige Helfer, die weltweit im Einsatz sind, um bei Naturkatastrophen, Großschadensereignissen oder humanitären Krisen zu unterstützen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Susanne Rabsahl:
  • warum der Begriff "lebenswichtige Versorgung" in der Weimarer Republik so dehnbar ist,
  • wie die Technische Nothilfe für politische Zwecke instrumentalisiert wird,
  • wie Otto Lummitzsch, Gründer sowohl der TN als auch des THW, eine zentrale Rolle in beiden Organisationen spielt,
  • welche politischen Verwicklungen ihn prägen,
  • und warum die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wichtig bleibt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Andreas Linhardt: Die technische Nothilfe in der Weimarer Republik, 2006.
  • Dr. Andreas Linhardt, Historiker
  • Bernd Müller-Strauss, THW-Historische Sammlung

Weiterführende Links:

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Autorin: Susanne Rabsahl
Redaktion: Christoph Tiegel und Sefa Inci Suvak
Technik: Holger Märten

Vera Figner: Strategin des Attentats auf Zar Alexander II.

Vera Figner: Strategin des Attentats auf Zar Alexander II. WDR Zeitzeichen 29.09.2024 14:34 Min. Verfügbar bis 30.09.2099 WDR 5

Für das Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. wird Vera Figner zu lebenslanger Haft auf der Schlüsselburg verurteilt. Nach 20 Jahren kommt sie frei - und ist es dennoch nicht.

Der Kampf des russischen Volkes gegen die despotische Zarenherrschaft dauert fast 100 Jahre. Vera Figner ist die Strategin hinter dem Attentat auf Zar Alexander II., bei dem er stirbt. Dafür wird Vera Figner 1884 zu lebenslanger Zwangsarbeit in der berüchtigten Festung Schlüsselburg verurteilt. 1904 wird sie begnadigt, jedoch nicht in die Freiheit entlassen. *** Das ist unsere Interviewpartnerin: Prof. Dr. Anke Hilbrenner (Osteuropahistorikerin, Universität Düsseldorf) ***


"Sie werden gewiss verstehen, meine Herren: Es ist besser, die Leibeigenschaft von oben abzuschaffen, als zu warten, bis sie sich selbst von unten abschafft." So begründet der russische Zar Alexander II. 1861 die Abschaffung des jahrhundertealten, grausamen Systems der Leibeigenschaft. Die Reformen helfen den Bauern jedoch kaum.

Vera Figner ist damals 9 Jahre alt. Sie wächst mit drei Schwestern und zwei Brüder in einer adligen, wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie auf. Sie liest sehr viel, vor allem sozialkritische Romane über das schwere Los der russischen Bauern. Beim Studium in der Schweiz gerät sie in revolutionäre Zirkel. Zusammen mit hunderten jungen Intellektuellen zieht sie bis in die entlegensten Dörfer Russlands, um den Bauern zu helfen.

Doch der "Gang ins Volk scheitert" am Misstrauen der Bauern. Die Geheimpolizei von Zar Alexander II. reagiert mit Massenverhaftungen und öffentlichen Schauprozessen. Und die revolutionäre Bewegung antwortet ebenfalls mit Gewalt.

Eine Handvoll Revolutionäre gründet das Exekutivkomitee der Narodnaja Volja ("Volkswille"). Mit dabei ist Vera Figner. Drei Attentate der Gruppe auf den Zaren misslingen, das vierte kostet Alexander II. das Leben. Vera Figner wird 1884 zu lebenslanger Zwangsarbeit in der berüchtigten Festung Schlüsselburg verurteilt. 1904 wird sie begnadigt und unter Polizeiaufsicht in den hohen Norden ans Weiße Meer verbannt. 1917 wird sie amnestiert und leitet noch viele Jahre das "Komitee zur Hilfeleistung für befreite Sträflinge und Verbannte".

In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
  • warum Vera Figner ihre Kindheit als "Kasernenatmosphäre" beschreibt,
  • warum ihre einzige Ehe nach nur drei Jahren scheitert,
  • warum sich eine adlige Gutsherrentochter radikalisiert und zur Terroristin wird,
  • wieso Figner nach dem Zarenattentat nicht hingerichtet wird.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Prof. Dr. Anke Hilbrenner (Osteuropahistorikerin, Universität Düsseldorf)
  • V. Figner: Nacht über Russland, Hamburg 1988
  • A. Hilbrenner: Gewalt als Sprache der Straße. Terrorismus und die Suche nach emotionaler Gemeinschaft im Russischen Reich vor 1917, Stuttgart 2022
  • S. Rindlisbacher: Leben für die Sache. Vera Figner, Vera Zasulič und das radikale Milieu im späten Zarenreich, Wiesbaden 2014

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Autorin: Marfa Heimbach
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Sarah Fitzek

Brigitte Bardot: Menschenfeindin voller Tierliebe

Brigitte Bardot: Menschenfeindin voller Tierliebe WDR Zeitzeichen 28.09.2024 14:27 Min. Verfügbar bis 29.09.2099 WDR 5

Ihre Karriere startet als Sexsymbol und französische Filmikone - zuletzt macht die am 28.9.1934 geborene Brigitte Bardot immer wieder mit radikalem Tierschutz und Ausflügen ins rechte Lager von sich reden.

Der Film "Und immer lockt das Weib" macht Brigitte Bardot 1956 zum Star und Sexsymbol Frankreichs. Sie lässt sich ihre Initialen schützen: BB wird zum Mythos und zur europäischen Antwort auf MM – Hollywoods Sexbombe Marilyn Monroe. Doch die ständige Aufmerksamkeit frisst Bardot von innen auf, wie sie sagt. Statt Menschen werden Tiere für sie wichtig. *** Das ist unsere Interviewpartnerin: Andrea Beetz (Diplom-Psychologin, Professorin für Heilpädagogik an der Internationalen Hochschule)


Brigitte Anne-Marie Bardot wird am 28. September 1934 in Paris geboren - in viel Wohlstand und wenig Wohlwollen. Der Vater Ingenieur und Industrieller, die Mutter einer Dame der Gesellschaft, herrisch und hartherzig, die jüngere Schwester vermeintlich hübscher. Brigitte leidet und lutscht Daumen.

Mit 15 Jahren posiert das damals noch brünette Mädchen als Fotomodell für das Cover des Frauenmagazins "Elle". Schon bald ist sie ein gefragtes Mannequin und auf der Leinwand zu sehen. Ihren Durchbruch hat sie 1956 als laszive Lolita im Film "Und immer lockt das Weib".

Doch bereits Anfang der 1960er-Jahre keimt in Brigitte Bardot eine neue Rolle, die der Tierschützerin. 1973 -  nach mehr als 40 Filmen -  zieht sich die Schauspielerin vollständig aus dem Filmgeschäft zurück. Tiere werden zu ihrer Lebensaufgabe: Ob Walfang, Stierkämpfe, Tiertransporte - ihre Stiftung agiert seit Jahrzehnten weltweit.

Sie provoziert auch mit reaktionärer Polemik. Rassistische Äußerungen richten sich beispielsweise gegen muslimische Einwanderer, deren rituelles Schlachten sie als barbarisch beklagt.

In diesem Zeitzeichen erzählt Steffi Tenhaven:
  • weshalb Brigitte Bardot in den 1950er-Jahren von Feministinnen für ihr Privatleben gefeiert wird,
  • wie die spektakuläre Liebeserklärung von Gunter Sachs an die Schauspielerin aussieht,
  • welche Rolle Paparazzis in Bardots Leben spielen,
  • warum Bardot mit Tieren offenbar besser klarkommt als mit Menschen,
  • wie sie ihr Leben in ihren Memoiren "Tränen des Kampfes" bilanziert.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Andrea Beetz (Diplom-Psychologin, Professorin für Heilpädagogik an der Internationalen Hochschule)
  • Brigitte Bardot: B.B. Memoiren. Bergisch Gladbach 1996
  • Brigitte Bardot: Tränen des Kampfes. Autobiografie. München 2018
  • Alice Schwarzer: Brigitte Bardot, Schauspielerin; in: Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder und Idole. Köln 2003
  • Doku "Paparazzi - Die Verfolgung der B.B." (Prime Video)
  • Dokumentarfilm "Brigitte Bardot: l'insoumise" (dt. Brigitte Bardot: die Rebellin). (Canal+)
  • Mini-Serie über "Bardot" (Netflix)

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Autorin: Steffi Tenhaven
Redaktion: Carolin Rückl und Frank Zirpins
Technik: Christina Gabriel

Bier für den ganzen Hof: Der Baubeginn des Hofbräuhauses 1589

Bier für den ganzen Hof: Der Baubeginn des Hofbräuhauses 1589 WDR Zeitzeichen 27.09.2024 14:46 Min. Verfügbar bis 28.09.2099 WDR 5

Herzog Wilhelm V. wird von seinem durstigen Hofstaat ruiniert. Bier als Teil der Entlohnung treibt ihn in den Ruin. Die Lösung: ein eigenes Hofbräuhaus.

Im Dreißigjährigen Krieg ist das Hofbräuhaus eine Goldgrube. Das Bayern-Bier spült so viel Geld in die Staatskasse, dass der Kurfürst damit einen großen Teil seiner Armee finanzieren kann. *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Wolfgang Sperger (Wirt des Hofbräuhauses); Annette von Altenbockum: Das Münchner Hofbräuhaus - Das Wirtshaus, das Bier und andere Glaubensgrundsätze. München 2008 ***


Herzog Wilhelm V. von Bayern steht gegen Ende des 16. Jahrhunderts kurz vor dem Staatsbankrott. Sein Hofstaat ruiniert ihn. 600 Mägde und Knechte, Schreiber, Berater, Leibwachen. Die fressen ihm nicht nur die Haare vom Kopf, sondern sie saufen ihn in die Pleite. Denn Bier ist Teil der Entlohnung, in Bayern ein Grundnahrungsmittel. Freibier für alle am Münchner Hof. Täglich.

Mit den unteren Chargen wird der Herzog noch fertig. Die müssen sich mit Dünnbier aus dem Kloster zufriedengeben. Besonders kostspielig sind aber die höheren Herrschaften. Die feinen Herren und Damen bestehen auf einer Premium-Marke, auf das gute Starkbier aus Einbeck, Niedersachsen.

550 Kilometer weit muss es herangekarrt werden. Durch Zölle und Transport steigt der Preis auf etwa das Dreifache. Also beschließt Herzog Wilhelm am 27. September 1589: Wir machen uns das Luxus-Bier selbst - in einer hofeigenen Braustätte, dem Hofbräuhaus.

In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:
  • wie viele Maß Bier die Untertanen am Hof pro Tag trinken dürfen,
  • warum Bockbier nichts mit Ziegen zu tun hat,
  • auf welches Kapitel in der Geschichte des Hofbräuhauses dort weniger gern geblickt wird,
  • wie viele Besucher aus der ganzen Welt täglich bedient werden,
  • über welche jährlichen Einnahmen sich der Freistaat Bayern heutzutage als Eigentümer freut.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Wolfgang Sperger (Wirt des Hofbräuhauses)
  • Annette von Altenbockum: Das Münchner Hofbräuhaus - Das Wirtshaus, das Bier und andere Glaubensgrundsätze. München 2008

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Die Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Heiner Wember
Redaktion: Matti Hesse

Der Todestag des Malers August Macke (am 26.9.1914)

Der Todestag des Malers August Macke (am 26.9.1914) WDR Zeitzeichen 26.09.2024 14:40 Min. Verfügbar bis 27.09.2099 WDR 5

Auf seinen Bildern ist das Leben ein leuchtend bunter, endloser Sommertag. Sein eigenes Leben endet viel zu früh. Am 26.9.1914 stirbt August Macke mit nur 27 Jahren.

Der Maler August Macke muss ein ungewöhnlich glücklicher Mensch gewesen sein, denn seine Bilder mit ihren hellen, leuchtenden Farben strahlen ungetrübte Harmonie aus. Beeinflusst durch den französischen Impressionismus schafft Macke in knapp zehn Jahren ein Werk von enormem Umfang. *** Das ist unsere wichtigste Interviewpartnerin: Susanne Meyer-Büser, Kunsthistorikerin ***


August Macke ist vielfältig: Er ist Reisender, Vermittler zwischen Künstlergruppen, Ehemann und Vater. Vor allem aber ist Macke einer der bedeutendsten deutschen Maler des Expressionismus.

Obwohl Betrachterinnen und Betrachter - selbst wenn sie keine Kunstkenner sind - Mackes Werke sofort erkennen, ist er nicht auf einen Stil festgelegt. Er malt idyllische Bilder von Spielzeug und Kindern im Garten. Gleichzeitig gibt es Werke, in denen er sich mit der Zersplitterung der Welt um ihn herum beschäftigt. Eines aber haben fast alle seine Bilder gemein: Sie leuchten von Weitem. Denn es gibt kaum einen Künstler, dessen Bilder in so freundlichen und positiven Farben erstrahlen wie die von Macke.

Geboren wird August Macke 1887. Sein Talent zur Malerei zeigt sich früh und er scheut kein Risiko: Er schmeißt die Schule, um mit 17 Jahren an die Düsseldorfer Kunstakademie zu gehen - aber die ist ihm zu altmodisch. Doch er findet
Menschen, die an sein Talent glauben. Letztlich wird die moderne französische Malerei zu seiner Lehrmeisterin.

Macke schafft in kürzester Zeit ein Werk von enormem Umfang. Aber es bleibt unvollendet. Denn der Künstler wird nur 27 Jahre alt. Am 26.09.1914, nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wird August Macke auf dem Schlachtfeld in Frankreich getötet.

In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Dänzer-Vanotti:
  • von Mackes großer Liebe Elisabeth und ihrer gleichberechtigten Ehe,
  • davon, dass Macke zu Lebzeiten kaum Bilder verkauft,
  • von seiner Verbindung zur Künstlergruppe "Der Blaue Reiter",
  • vom posthumen Ruhm des Künstlers - mit teuer verkauften Bildern und eigenem Museum.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartnerinnen:
  • Susanne Meyer-Büser, Kunsthistorikerin
  • Klara Drenker-Nagels, Leiterin des August-Macke-Hauses in Bonn
  • Edith Oellers, Malerin
  • Marc, Macke und Delaunay: Die Schönheit einer zerbrechenden Welt (1910 - 1914). Katalog zur Ausstellung im Sprengel Museum Hannover, 2009
  • Museum August-Macke-Haus in Bonn

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Irene Dänzer-Vanotti
Redaktion: Christoph Tiegel und Matti Hesse

Johann Strauß Vater: Der Mann, der Wien in Tanz versetzte

Johann Strauß Vater: Der Mann, der Wien in Tanz versetzte WDR Zeitzeichen 25.09.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 26.09.2099 WDR 5

Johann Strauß Vater (gestorben am 25.9.1849): Walzerkönig und Marketing-Profi. Sein erbitterter Kampf mit Johann Strauß Sohn um die Vormachtstellung freut den Boulevard.

So wie der Name Johann Strauß (Vater) unweigerlich mit dem Radetzky-Marsch verbunden ist, so steht der Familienname Strauß insgesamt für eines der erfolgreichsten Musik-Unternehmen des 19. Jahrhunderts. Und für eine Kunst, die leicht scheint, Musiker aber vor höchste Ansprüche stellt. Als ihr Urvater gilt Johann Strauß (Vater). *** Das ist unsere wichtigste Quelle: Michael Lemster: Strauss. Eine Wiener Familie revolutioniert die Musikwelt. Benevento, 2024 ***


Johann Baptist Strauß musiziert schon als Kind im Wirtshaus seines Vaters. Nach dem frühen Tod seiner Eltern macht er auf Drängen seines Vormunds eine Lehre als Buchbinder. Dort entdeckt er die Lust am Geigenspiel, beginnt kurz darauf, Lieder zu schreiben und in Orchestern zu spielen.

Strauß wird innerhalb kurzer Zeit zur führenden Figur der Wiener Unterhaltungsmusik. Das liegt zum einen an seiner unverwechselbar temperamentvollen Bühnenpräsenz. Er hat aber auch Talent: Fürs Musizieren und dafür, Werbung für sich und seine Musik zu machen.

Auch im Ausland wird er gefeiert. Allein in England gibt Strauß knapp 80 Konzerte. Doch hinter der erfolgreichen Fassade knirscht es im privaten Leben des nervösen, leicht reizbaren Komponisten gewaltig. Er verlässt seine Frau und beginnt mit seinem Sohn, selbst ein erfolgreicher Musiker, einen Streit um die musikalische Vormachtstellung in der Familie.

Kurz vor seinem Tod schreibt Johann Strauß, genannt Johann Strauß Vater, sein wohl bekanntestes Stück: den Radetzky-Marsch. Am 25. September 1849 stirbt er mit nur 45 Jahren an einer heute harmlosen Infektionskrankheit: Scharlach.

In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vratz:
  • wie die jüdischen Wurzeln der Familie Strauß in der Zeit der Nationalsozialisten zum Problem werden,
  • von der tragischen Kindheit des Vaters Johann Strauß und wie diese ihn beeinflusst,
  • von Wien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es Metropole und musikalische Hauptstadt ist,
  • von der Rivalität zwischen Johann Strauß senior und junior, und wer den Streit gewinnt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Michael Lemster, Biograf
  • Michael Lemster: Strauss. Eine Wiener Familie revolutioniert die Musikwelt, 2024
  • Anton Mayer: Johann Strauß. Ein Pop-Idol des 19. Jahrhunderts, 1998
  • Kurt Pahlen: Johann Strauß und die Walzerdynastie, 1975
  • Eduard Strauss: Erinnerungen, 2018
  • Johann Strauß (Sohn): Leben und Werk in Briefen und Dokumenten. Im Auftrag der Johann-Strauß-Gesellschaft Wien gesammelt und kommentiert von Franz Mailer, 1983-2007

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Christoph Vratz
Redaktion: Matti Hesse

Der Schatz von Staffordshire: Zeitreise mit dem Metalldetektor

Der Schatz von Staffordshire: Zeitreise mit dem Metalldetektor WDR Zeitzeichen 24.09.2024 13:44 Min. Verfügbar bis 25.09.2099 WDR 5

Die Entdeckung des größten angelsächsischen Schatzes wurde am 24.9.2009 bekanntgegeben. Dem Entdecker brachte er große Belohnung - und den Fluch des Goldes.

Mit seinem alten Metalldetektor stößt der arbeitslose Sondengänger Terry Herbert auf rund 3.500 Objekte, die vermutlich aus dem 7. Jahrhundert stammen. Während der Finder für den Fund fürstlich entlohnt wird, rätseln Wissenschaftler noch immer über seine Deutung. ***Das ist unser wichtigster Interviewpartner: Carsten Conze, Sondengänger ***


Das ist der Traum eines jeden Hobby-Archäologen: Der arbeitslose Sondengänger Terry Herbert entdeckt auf einem Acker in Staffordshire im Sommer 2009 den bisher größten Schatz aus der angelsächsischen Zeit. Mithilfe eines 14 Jahre alten Metalldetektors findet er über 3.500 einzelne Objekte, darunter aufwendig dekorierte Schwertgriffe, Helm-Teile und sogar Kreuze.
Insgesamt besteht der Fund aus fünf Kilogramm Gold und 1,3 Kilogramm Silber.

Fünf Tage buddelt Herbert auf dem Acker eines Bauern, der ihm dies eher widerwillig erlaubt hat, dann ruft er Archäologen hinzu. Die sind sich sicher, die Objekte stammen aus dem 7. Jahrhundert nach Christus. Am 24. September 2009 wird die Entdeckung des Sensationsfundes bekanntgegeben. Die Nachricht geht um die Welt, denn der Fund ist ein Meilenstein für die britische Archäologie und Geschichtsschreibung. Die Stücke bringen Licht in eine geheimnisvolle Zeit - zwischen dem Ende des römischen Reiches und der Landung von Wilhelm des Eroberers.

Allerdings gibt es bis heute viele offene Fragen: Sind es Trophäen eines hohen Kriegsherrn oder stammt der Schatz aus einer großen Plünderung? Auch darüber, wie das Edelmetall unter die Erde gelangte, lässt sich bislang nur spekulieren. Der Schatz von Staffordshire selbst ist inzwischen restauriert, katalogisiert und ausgestellt - in Museen in Birmingham und Stoke-on-trent.

In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:
  • wie die Schatzsuche per Sonde funktioniert,
  • vom Gefühl, wenn man als erster etwas aus dem Boden holt,
  • wie viel Geld Terry Herbert für den Fund erhält, und warum es am Ende für schlechte Stimmung sorgt,
  • wie unterschiedlich ein Fund in Deutschland je nach Bundesland entlohnt wird.

Das ist unser wichtigster Interviewpartner:
  • Carsten Konze, Sondengänger

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Ralph Erdenberger
Redaktion: Matti Hesse

Stigmatisiert und weggesperrt: Das Schicksal der "Typhus-Mary"

Stigmatisiert und weggesperrt: Das Schicksal der "Typhus-Mary" WDR Zeitzeichen 23.09.2024 14:50 Min. Verfügbar bis 24.09.2099 WDR 5

Die Köchin Mary Mallon (geboren am 23.9.1869) erlangte als erste gesunde Typhus-Dauerausscheiderin in den USA traurige Berühmtheit. 26 Jahre wurde sie insgesamt isoliert.

Mary Mallon, irische Immigrantin und hervorragende Köchin, macht Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA Schlagzeilen. Für die Presse ist sie "Typhoid Mary", die "Typhus-Mary", die eine Todesspur hinterlässt. Ein Ungeheuer, das "menschliche Schädel in die Pfanne wirft". Dabei kann Mary Mallon gar nichts für ihre Berühmtheit. Sie wird lediglich als eine der ersten als symptomfreie Übertragende von Typhus ausgemacht – und deswegen zeitlebens eingesperrt. *** Das sind unsere wichtigsten Gesprächspartner: Judith Leavitt, Medizinhistorikerin, Autorin einer Biographie über Mary Mallon Heiner Fangerau, Medizinhistoriker, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ***


Als alle Mitreisenden außer ihr erkrankt sind, steht fest: Mary Mallon, die am 23. September 1869 geboren wurde, ist eine sogenannte Dauerausscheiderin. Sie trägt das Typhus-Bakterium in sich, ohne selbst zu erkranken. Aber sie kann andere infizieren. Ihr Recht auf persönliche Freiheit spielt nun keine Rolle mehr. Die US-Behörde stuft die irische Einwanderin als Gefahr für die Allgemeinheit ein, die Angst vor Typhus ist groß. Kurzerhand wird die Köchin auf die Quarantäne-Insel North Brother Island im East River gebracht.

Dort wird Mary Mallon zum Versuchsobjekt. Anfangs werden ihr Urin, ihr Stuhl und ihr Blut fast täglich auf Typhus-Erreger getestet. Sie soll neue Medikamente ausprobieren und sich die Gallenblase entfernen lassen. Mary Mallon klagt gegen ihre Verbannung – und verliert. Dabei ist sie längst nicht die einzige symptomfreie Überträgerin von Typhus. In New York sind 1918 schon 70 Personen bekannt. Doch Mary Mallon ist die Einzige, die man einsperrt. Als sie 1938 in der Isolation stirbt, hat sie als "Typhoid Mary", als "Typhus-Mary", traurige Berühmtheit erlangt.

In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:
  • von George Soper, der als Ermittler Mary Mallon als mögliche Verbreiterin von Typhus ausfindig macht,
  • wie Mary Mallon untertaucht und mit anderem Namen in einer Klinik kocht,
  • über ihr Leben in der Isolation
  • und warum sie als Mann wohl nicht isoliert gewesen wäre.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autorin: Andrea Kath
Redaktion: Matti Hesse
Technik: Sascha Schiemann          

Schweizer Bauernjungen gewinnen 1499 gegen Ritterheere

Schweizer Bauernjungen gewinnen 1499 gegen Ritterheere WDR Zeitzeichen 22.09.2024 14:04 Min. Verfügbar bis 23.09.2099 WDR 5

Der Friede von Basel beendet am 22.9.1499 den Schweizerkrieg – ein frühes Beispiel für das, was heute "asymmetrische Kriegsführung" heißt.

Nachdem seine Verbündeten, der Schwäbische Bund, ein halbes Dutzend Schlachten gegen die Schweizer erbärmlich verloren hatten, greift König Maximilian I. ein. Er zieht mit seinem Heer gen Süden, um die Eidgenossen zur Räson zu bringen. Vergeblich. Ungestüm und furchtlos vertreiben die jungen, wilden Schweizer die adeligen Ritter. Der Sieg verschonte die Schweizer unter anderem davon, die neu eingeführte Reichssteuer zu zahlen. *** Das ist unsere wichtigste Quelle: Historischer Verein des Kantons Solothurn: Jahrbuch für solothurnische Geschichte. Gedenkschrift 500 Jahre Schlacht bei Dornach. Solothurn 1999. ***


Über den Namen wird bis heute gestritten: Schwabenkrieg nennen ihn die Schweizer, Schweizerkrieg die Deutschen. Unstrittig ist, dass die bäuerlichen Eidgenossen die hochgerüsteten Kämpfer des Königs bei der Schlacht in Dornbach besiegen. Dem Krieg vorausgegangen ist ein langes Gerangel um die Vorherrschaft im Südwesten des Reiches.

Schließlich erklärt aus Mainz König Maximilian I. der Eidgenossenschaft den Reichskrieg. Vor Konstanz lässt er sein stattliches Heer und die Truppen seiner Verbündeten aufziehen. Da seine Kriegskasse aber leer ist, schickt er einen Teil seine Ritter westlich zur Plünderung der kleinen, aber reichen Stadt Solothurn.

Das wollen die Einwohner freilich nicht so hinnehmen. Und so stürmt am 22. Juli 1499 eine Horde junger Schweizer auf die königlichen Truppen bei Dornbach zu. Das Kämpfen hatten die Dorfjungen in blutigen Streits mit Nachbardörfern gelernt, während die Gegner das Kriegshandwerk zur hohen Kunst des Adels entwickelt haben. Doch waren die Adeligen erst einmal vom Pferd, waren sie in ihren starren Rüstungen leicht zu schlagen.

So nehmen die edlen Schwaben vor der geballten Streitlust der schweizerischer Knaben Reißaus. Maximilian I. muss sich geschlagen geben. In seinem Auftrag lässt er Mönche noch einmal nachfragen, ob er wohl seine Toten vom Schlachtfeld holen kann. Die Antwort der Schweizer ist schroff: "Die Edlen müssen bei den Bauern liegen." Zwei Monate nach der Schlacht, am 22. September 1499, wird in Basel der Schweizer-/Schwabenkrieg offiziell beendet.

In diesem Zeitzeichen erzählt Hans Conrad Zander:
  • warum König Maximilian I. die Schweizer als "böse Bauern" betitelt,
  • und sie durch Hochmut und Unverstand falsch einschätzt,
  • warum nach der Schlacht bei Dornbach die Schweizer ihre Besiegten laufen lassen,
  • was der Krieg mit dem Kampf der USA gegen die Taliban gemein hat.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:

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Autor: Hans Conrad Zander
Redaktion: David Rother
Technik: Christine Reinartz

Ein Hallelujah in Millionen Kehlen

Ein Hallelujah in Millionen Kehlen WDR Zeitzeichen 21.09.2024 14:45 Min. Verfügbar bis 22.09.2034 WDR 5

Leonard Cohen wird am 21.09.1934 geboren - und lebt ein Leben voller Brüche: Ein früher Erfolg mit einer einzigartigen Stimme, ein bemerkenswerter Dienst im Krieg - und eine tiefe Rastlosigkeit in den persönlichen Beziehungen.

Leonard Cohen ist nicht nur Musiker, sondern auch ein Suchender. Diese Suche führt ihn Ende der 1990er Jahre für fünf Jahre in ein Zen-Kloster in den Bergen Kaliforniens, wo er versucht, inneren Frieden und eine Antwort auf die Rastlosigkeit seines Lebens zu finden. ***Das sind unsere wichtigsten Quellen: Matti Friedman: Wer durch Feuer. Krieg am Jom Kippur und die Wiedergeburt Leonard Cohens, Leipzig 2023.***


Leonard Cohen beginnt seine musikalische Karriere vergleichsweise spät, nachdem er bereits als Schriftsteller Erfolge feiert. Ermutigt von der Folk-Sängerin Judy Collins wagt er sich mit Anfang 30 selbst ans Mikrofon und legt mit Songs wie "Suzanne" den Grundstein für eine Karriere, die ihn zu einer Ikone der Melancholie und Reflexion macht.

Seine Musik ist von einer tiefen Spiritualität und einem ständigen Ringen mit den großen Fragen des Lebens geprägt. Persönliche Erfahrungen und universelle Themen wie Liebe, Verlust, Sehnsucht und Erlösung spielen eine zentrale Rolle. Geboren und aufgewachsen in Montreal, prägt ihn auch seine jüdische Herkunft.

Die Komplexität des menschlichen Seins drückt er in einfachen, aber kraftvollen Worten und Melodien aus. Sein Werk bleibt zeitlos und wird auch in Zukunft Menschen berühren, die in seiner Musik Trost, Verständnis und vielleicht auch ein wenig Licht finden – in den Rissen, durch die das Licht hindurchscheint.

In diesem Zeitzeichen erzählt Uwe Schulz:
  • wie Leonard Cohen während des Jom-Kippur-Krieges spontan an die Front geht und seine Gitarre als Friedensinstrument einsetzt,
  • warum der Sänger fünf Jahre in einem Zen-Kloster in Kalifornien verbringt und was er dort sucht,
  • welche Bedeutung die Stadt Montreal für ihn hat und warum die Menschen ihn dort bis heute verehren,
  • warum Cohen seine Muse Suzanne Verdal nie wieder kontaktiert, obwohl sie ihn zu einem seiner berühmtesten Lieder inspiriert,
  • und wie das Lied "Hallelujah" erst durch den Film "Shrek" weltberühmt und damit zum Symbol einer ganzen Generation wird.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • Matti Friedman: Wer durch Feuer. Krieg am Jom Kippur und die Wiedergeburt Leonard Cohens, Leipzig 2023.
  • Wolfgang Haberl: Leonard Cohen: Die Macht der Worte, Waiblingen 2018.
  • Erminia Passannanti: Leonard Cohen. A Jewish Mind Fascination with Jesus of Nazareth, Oxford 2023.
  • Sylvie Simmons: I’m Your Man. Das Leben des Leonard Cohen., München 2014.

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Autor: Uwe Schulz
Redaktion: Frank Zirpins

Vor 50 Jahren: Erzbistum Köln startet Dialog mit dem Islam

Vor 50 Jahren: Erzbistum Köln startet Dialog mit dem Islam WDR Zeitzeichen 20.09.2024 14:28 Min. Verfügbar bis 21.09.2099 WDR 5

Fast 2.000 Jahre ignoriert die katholische Kirche Judentum und Islam. Am 20.9.1974 entsteht im Bistum Köln die erste "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen".

Heute ist der Fachbereich Dialog in Köln ein wichtiges Netzwerk für interreligiöse Kontakte und Bildungsprogramme. Was einst als soziale Hilfestellung beginnt, entwickelt sich zu einer tiefen und nachhaltigen Zusammenarbeit, die weit über den reinen Austausch von Informationen hinausgeht. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Weihbischof Rolf Steinhäuser, Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln, Prof. Dr. Thomas Lemmen, Kath. Theologe und Islamwissenschaftler, Kath. Hochschule NRW ****


Im September 1974 gründet Kardinal Josef Höffner die "Ökumenische Kontaktstelle für Nichtchristen", die heute als "Fachbereich für interreligiösen Dialog" bekannt ist. Als Plattform für Begegnungen, Austausch und soziale Unterstützung ist die Einrichtung wegweisend und setzt ein starkes Zeichen für das Miteinander der Religionen.

Dieser Schritt hat seinen Ursprung im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das einen tiefgreifenden Wandel in der katholischen Kirche markiert. Erstmals wird eine Öffnung gegenüber anderen Religionen, insbesondere dem Judentum und später auch dem Islam, eingeleitet und der Grundstein für den interreligiösen Dialog gelegt.

Das Erzbistum Köln leistet mit dem Fachbereich Dialog schon früh Pionierarbeit, und zeigt seit nun über 50 Jahren, dass der interreligiöse Austausch und das Miteinander der Religionen unverzichtbare Instrumente für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.

In diesem Zeitzeichen erzählt Marfa Heimbach:
  • wie das Erzbistum Köln die Einladung zum muslimischen Gebet im Dom zunächst als "Betriebsunfall" bezeichnet,
  • und wie diese Geste Jahre später dann doch den Weg für den interreligiösen Dialog ebnen kann,
  • was die "Nostra Aetate" ist und was Papst Paul VI damit zutun hat,
  • welchen Einfluss globale politische Ereignisse, wie der Nahostkonflikt, auf die Arbeit des Erzbistums haben,
  • und warum der interreligiöse Dialog heute länst nicht mehr nur aus Gesprächen besteht und welches Ziel damit verfolgt wird.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • Weihbischof Rolf Steinhäuser, Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln
  • Prof. Dr. Thomas Lemmen, Kath. Theologe und Islamwissenschaftler, Kath. Hochschule NRW
  • Dr. Werner Höbsch, Kath. Theologe, ehem. Leiter der Fachstelle Interreligiöser Dialog am Erzbistum Köln
  • Anna Maria Fischer, Kath.Theologin, Islamwissenschaftlerin, Leiterin der Fachstelle Interreligiöser Dialog am Erzbistum Köln
  • Ute Gau, Diplompädagogin, seit 1983 an der Fachstelle Interreligiöser Dialog am Erzbistum Köln
  • Dunya Elemenler, Politikwissenschaftlerin, Muslimische Vorsitzende der Christlich-Islamischen Gesellschaft
  • Werner Heidenreich, Ingenieur, Mitglied der Deutschen Buddhistischen Union

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Autorin: Marfa Heimbach
Redaktion: Christoph Tiegel und Matti Hesse
Technik: Sarah Fitzek

Marek Edelman: Kämpfer des jüdischen Widerstands

Marek Edelman: Kämpfer des jüdischen Widerstands WDR Zeitzeichen 19.09.2024 14:44 Min. Verfügbar bis 20.09.2099 WDR 5

Marek Edelman kämpft beim Aufstand des Warschauer Ghettos und steht auch nach dem Krieg als Arzt in Polen für die Freiheit ein. Sein Geburtstag am 19.09.1919 allerdings ist nur Spekulation.

"Mit der Waffe in der Hand zu sterben war schöner als ohne Waffe", sagt Marek Edelmann über den jüdischen Widerstand im Warschauer Ghetto gegen die SS. "Alles, was zählte, war, sich nicht abschlachten zu lassen, wenn es so weit war." *** Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner: Professor Hans-Jürgen Bömelburg (Historiker mit dem Schwerpunkt neuere Geschichte Polens); Marek Edelman: Erinnerungen an das Warschauer Ghetto - Das Ghetto kämpft. Stuttgart 2024 ***


Seine Eltern gehören zu den Juden Osteuropas und müssen vor den Bolschewiki fliehen. Darum ist nicht überliefert, wann und wo Marek Edelman zur Welt kommt. Geboren wird er vermutlich zwischen 1919 und 1922, wahrscheinlich in Gomel im heutigen Belarus.

Als die Deutschen 1939 Polen überfallen, lebt Edelman in Warschau. Er muss wie andere Jüdinnen und Juden in das Ghetto ziehen, dass die Nationalsozialisten einrichten und mit einer Mauer umschließen. Geschätzt werden 400.000 Menschen auf weniger als zweieinhalb Prozent der Stadtfläche zusammengepfercht.

Als im Februar 1942 die ersten Nachrichten von einem Vernichtungslager das Ghetto erreichen, beschließen Edelman und andere, sich nicht ohne Widerstand in den Tod führen zu lassen. Es konstituiert sich das Kommando der Jüdischen Kampforganisation. Im April 1943 greifen SS und Wehrmacht an. Knapp vier Wochen kann sich der Widerstand halten. Dann steckt die SS Haus um Haus in Brand. Nur wenige können durch die Kanalisation entkommen, darunter auch Marek Edelmann.

In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:
  • in welchem jüdischen Milieu Marek Edelman in Warschau aufwächst,
  • wie er aus dem niedergebrannten Ghetto entkommt,
  • dass er danach auf der Seite des polnischen Widerstandes weiterkämpft,
  • gegen welche Einschränkungen er sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen engagiert,
  • wie Edelman die Rolle Israels und der Palästinenser im Nahost-Konflikt sieht.

Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:
  • Professor Hans-Jürgen Bömelburg (Historiker mit dem Schwerpunkt neuere Geschichte Polens)
  • Marek Edelman: Erinnerungen an das Warschauer Ghetto - Das Ghetto kämpft. Stuttgart 2024

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Die Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Marko Rösseler
Redaktion: Frank Zirpins
Technik: Nico Söllner

Start-up 1819: Harkorts Mechanische Werkstätte in Wetter/Ruhr

Start-up 1819: Harkorts Mechanische Werkstätte in Wetter/Ruhr WDR Zeitzeichen 18.09.2024 14:50 Min. Verfügbar bis 19.09.2099 WDR 5

Friedrich Harkorts Maschinenfabrik war die Keimzelle der Ruhrindustrie. Und Harkort selbst eine schillernde Gestalt: Pionier, Freigeist - und Produktpirat...

Wetter im südöstlichen Ruhrgebiet wird auch Harkort-Stadt genannt und gilt als Wiege der mechanischen Industrie an Rhein und Ruhr. Der Grund: Am 18. September 1819 bringt Friedrich Harkort zusammen mit einem Bankier die "Mechanische Werkstätte Harkort & Co" an den Start, die bald darauf in der Burg Wetter Maschinen herstellt. *** Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner: Ulrich Wengenroth (Wirtschaftshistoriker, emeritierter Professor); Axel Heimsoth (Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ruhrmuseum)***


Seine Leidenschaft ist der technische Fortschritt: Als der Unternehmer Friedrich Harkort in englischen Technik-Zeitungen Dampfmaschinen sieht, hat er den Wunsch, solche Maschinen in Westfalen zu bauen. Im Frühjahr 1819 kann er zusammen mit dem Bankier Heinrich Kamp die Burg Wetter als Fabrikgelände erwerben.

Im September des Jahres geht die "Mechanische Werkstätte Harkort & Co" in Betrieb. Bald stellt er Dampfmaschinen für die Wasserhebung und Kohleförderung in Bergwerken sowie für Spinnereien und Tuchfabriken her. Den Stahl dafür stellt er bald selbst her: Er baut auf der Burg ein Walzwerk und einen Hochofen. So können in Wetter Eisenbahnschienen, Räder für Eisenbahnen und auch die Achsen für die Kohlewagen hergestellt werden.

15 Jahre lang entwirft und produziert Friedrich Harkort in Wetter alle möglichen Produkte aus Eisen. Doch er kümmert sich immer mehr um andere Produkte und vernachlässigt die "Mechanische Werkstätte". Darum drängt ihn sein Kompagnon Kamp 1834 schließlich aus dem Betrieb. Später geht die "Mechanische Werkstätte" in der "Deutschen Maschinenfabrik AG" auf, der Demag. Noch heute werden in Wetter an der Ruhr Maschinen gebaut.

In diesem Zeitzeichen erzählt Jana Magdanz:
  • welche Handwerksbetriebe Friedrich Harkort vor seiner Maschinenfabrik führt,
  • in welchem Land der Unternehmer seine Fachkräfte anwirbt,
  • wie er Industriespionage betreibt,
  • warum Harkort einer der ersten Manager in der Schwerindustrie ist,
  • wie er für seine Arbeiter die betriebliche Krankenkasse erfindet.

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • Ulrich Wengenroth (Wirtschaftshistoriker, emeritierter Professor)
  • Axel Heimsoth (Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ruhrmuseum)
  • Rigobert Suttner (Schiffsführer der MS Friedrich Harkort)

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Autorin: Jana Magdanz
Redaktion: David Rother

Diokletian: Der konservative Revolutionär Roms

Diokletian: Der konservative Revolutionär Roms WDR Zeitzeichen 17.09.2024 13:31 Min. Verfügbar bis 18.09.2099 WDR 5

Im Jahr 284 kommt Diokletian an die Macht - gewaltvoll wie viele vor ihm. Doch dann beendet er das im Römischen Reich herrschende Chaos und schafft einen starken Staat.

Diokletian ist mehr als nur ein weiterer Soldatenkaiser in einer langen Reihe von Herrschern. Er ist ein "konservativer Revolutionär", dessen Reformen die Grundlage für einen funktionierenden Staat schaffen, und der das Römische Reich somit in eine neue Epoche führt. ***Das ist unsere wichtigste Quelle: Alexander Demandt: Diokletian. Kaiser zweier Zeiten. Eine Biographie, München 2022


Es ist das Jahr 284 n. Chr.: Das Römische Reich befindet sich, von Chaos und Machtkämpfen erschüttert, in einer tiefen Krise. Zahlreiche Usurpatoren wechseln in rascher Folge. Bürgerkriege und Intrigen bestimmen den Alltag, und das riesige Imperium scheint kaum noch regierbar.

Inmitten dieses Chaos tritt Diokletian auf die Bühne. Ursprünglich ein Militärbefehlshaber, nutzt er seinen Einfluss geschickt, um die Gunst seiner Truppen zu gewinnen und den Kaiserthron zu erobern. Doch anders als viele seiner Vorgänger verfolgt Diokletian einen Plan.

Statt sich in endlosen Machtkämpfen zu verlieren, setzt er auf eine umfassende Reform des Reiches. Er erkennt, dass ein einziger Herrscher nicht mehr in der Lage ist das gesamte Imperium zu kontrollieren. Daher teilt er die Macht auf: Gemeinsam mit seinem Verbündeten Maximianus regiert er das Reich und führt später sogar eine Viererherrschaft ein, die sogenannte Tetrarchie. Diese Struktur ermöglicht eine effizientere Verwaltung und stärkere Kontrolle über die weit verstreuten Provinzen.

In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayi:
  • Wie Rom im 3. Jahrhundert von einer Welle unzähliger selbsternannter Kaiser und Gegenkaiser überrollt wird,
  • dass die Kommunikation im römischen Reich so langsam ist, dass manche Kaiser erst Monate später erfahren, dass sie gestürzt wurden,
  • wie Diokletian das Erbrecht der Kaisersöhne ignoriert, wie er Steuern "für alle" einführt,
  • wie seine administrative Einteilung des Reiches in Diözesen später von der christlichen Kirche übernommen wird, und mit ihm schließlich eine neue Epoche beginnt.

Das sind unsere wichtigsten Quellen:
  • Hans Peter L’Orange, Max Wegner: Das spätantike Herrscherbild von Diokletian bis zu den Konstantin-Söhnen 284 - 361 n. Chr., Berlin 1984.
  • Karl Christ: Die Römische Kaiserzeit. München 2018.
  • Alexander Demandt: Diokletian. Kaiser zweier Zeiten. Eine Biographie. C. H. Beck, München 2022.
  • Timothy D. Barnes: The New Empire of Diocletian and Constantine. Harvard University Press, Cambridge/MA-London 1982
  • Alan K. Bowman: Diocletian and the first tetrarchy, A. D. 284–305. In: Alan K. Bowman u. a. (Hrsg.): The Cambridge Ancient History 12. The Crisis of Empire, AD 193–337. Cambridge 2005,
  • Alexander Demandt, Andreas Goltz, Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.): Diokletian und die Tetrarchie. Aspekte einer Zeitenwende. Berlin 2004.
  • Andreas Goltz, Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.): Das Zeitalter Diokletians und Konstantins. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Wien/Köln 2022

Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:
  • Prof. Dr. Sabine Panzram, Professorin Alte Geschichte Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Hartwin Brandt, Inhaber Lehrstuhl Alte Geschichte, Universität Bamberg
  • Prof. Dr. John Weisweiler, Professor Alte Geschichte, Ludwig-Maximilian-Universität München

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Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen:
Autor: Murat Kayi
Redaktion: Matti Hesse